„Die Art, auf die Sie das Hauptgericht zubereitet haben, hat mir sehr gefallen“, lobte ihn Prilicla, der immer schwieg, wenn er nichts Schmeichelhaftes sagen konnte. „Obwohl der Geschmack und die Beschaffenheit vollkommen anders sind, würde ich es in der Nähe meines anderen nichtcinrusskischen Lieblingsgerichts, terrestrischen Spaghetti mit Tomatensoße und Käse, einstufen. Aber im Moment habe ich ein starkes Völlegefühl und muß unbedingt noch ein paar Flugübungen draußen vorm Schiff unternehmen. Hätte jemand von Ihnen Lust, mich zu begleiten?“
Er blickte einzig und allein Gurronsevas an.
Prilicla sprach kein weiteres Wort mit ihm, bis sie sich beide außerhalb des Schiffs befanden und der Schutzschirm kurz ausgeschaltet worden war, um sie hindurchzulassen. Zusammen mit dem Empathen, der dicht über seiner Schulter flog, entfernte sich Gurronsevas langsam vom Mineneingang und ging ins Tal hinunter. Der eingeschlagene Weg mußte ihn in einer Entfernung von hundert Metern an einer Arbeitsgruppe von Weimarern vorbeiführen, doch er wußte, daß ihn die aufsichtsführende Lehrerin nicht beachten würde.
„Freund Gurronsevas“, sagte der Empath plötzlich, „allmählich gewinnen wir — doch in noch größerem Maße Sie — Creethars Vertrauen, und da wäre es nicht gerade förderlich, wenn wir ihn von unseren Gesprächen ausschließen, indem wir seinen Translator abschalten. Deshalb wollte ich mich mit Ihnen allein unterhalten.
Sie müssen bereits vermutet haben, daß wir Creethar jetzt aus der Behandlung entlassen können“, fuhr Prilicla fort. „Abgesehen von einem ruhiggestellten Bein, dessen Gipsverband in zwei Wochen abgenommen werden soll, wenn die gebrochenen Knochen wieder vollständig zusammengewachsen sind und das Körpergewicht tragen können, hat sich Creethar gut von seinen Verletzungen erholt. Eigentlich müßte er über die Aussicht, ins normale Leben zurückkehren zu können, glücklich, erleichtert und zufrieden sein, aber das ist er keineswegs. Über die Gemütsverfassung unseres Patienten bin ich alles andere als froh. Irgend etwas mit ihm stimmt ganz und gar nicht, und ich wüßte gerne, was es ist, bevor ich Creethar zu seinen Freunden zurückschicke. Das werde ich in spätestens zwei Tagen tun, denn es liegt kein medizinischer Grund vor, ihn noch länger an Bord zu behalten.“
Gurronsevas blieb stumm. Der Cinrussker formulierte ein bestehendes Problem neu, stellte aber keine Frage.
„Es könnte gut sein, daß all unsere Probleme gelöst sind, wenn wir Creethar zu seinen Freunden zurückschicken“, setzte der Empath seine Ausführungen fort. „Wenn nicht alle Hoffnung trügt, verringert sich dadurch die momentane Feindseligkeit der Wemarer gegen uns. Zudem könnte diese Maßnahme Ihre persönliche Freundschaft mit Remrath wiederherstellen und es uns ermöglichen, den freundschaftlichen Kontakt fortzusetzen. Aber die Wemarer haben irgend etwas an sich, das wir noch nicht ganz begreifen und das bei unserem Patienten unerklärliche Gefühlsreaktionen hervorruft. Bevor wir die Ursachen für diese unnatürlichen Empfindungen nicht vollkommen verstanden haben, ist es vielleicht ein weiterer und noch größerer Fehler, ihn nach Hause zu schicken. Was Sie sagen oder fragen könnten, weiß ich nicht, denn schon ganz allgemeine und flüchtige Erwähnungen seines Vaters Remrath, der Jagdfreunde und des Lebens in der Mine rufen bei Creethar eine unverhältnismäßig starke Gefühlsreaktion hervor, die Ähnlichkeit mit der eines verängstigten Wesens hat, dessen tiefste Überzeugungen unter Beschüß stehen.
Ich weiß, daß Sie kein ausgebildeter Psychologe sind, mein Freund, aber glauben Sie, Sie könnten sich die nächsten zwei Tage ausführlich mit Creethar unterhalten? Sprechen Sie über ungefährliche Gemeinplätze und lauschen Sie dabei — wie wir es alle tun werden — auf die typischen Kleinigkeiten, die meiner Erfahrung nach viele Wesen, die unter dieser Art der emotionalen Anspannung leiden, insgeheim verraten wollen. Falls sich im Gesprächsverlauf etwas ergibt, das das medizinische Team tun oder unterlassen sollte, oder Ihnen ein Einfall kommt, der hilfreich sein könnte, dann setzen Sie uns davon in Kenntnis. Für die nichtmedizinische Behandlung übertrage ich Ihnen hiermit die rechtskräftige Leitung.
Creethar vertraut Ihnen“, schloß Prilicla. „Es ist wahrscheinlicher, daß er Ihnen seine Schwierigkeiten erzählt als uns. Würden Sie mir den Gefallen tun und mit ihm sprechen, mein Freund?“
„Habe ich das nicht schon die ganze Zeit inoffiziell getan?“ antwortete Gurronsevas mit einer Gegenfrage.
„Ja, aber jetzt handelt es sich um ein offizielles Gesuch des Leiters des medizinischen Teams um fachliche Unterstützung in der entscheidenden Phase des Kontakts zu den Wemarern“, entgegnete Prilicla. „Das muß so sein, damit ich allein die Verantwortung trage, falls Sie keinen Erfolg haben. Sie dürfen sich nicht selbst die Schuld geben, wenn etwas schiefgeht, und das übrige medizinische Team wird Ihnen unter diesen äußerst ungewöhnlichen Umständen ebenfalls nichts vorwerfen. Es ist nicht leicht, Sie zu mögen, mein Freund. Sie haben allzu große Ähnlichkeit mit einigen Ihrer neuesten einheimischen Gerichte, und zwar insofern, als man erst Geschmack an Ihnen finden muß. Doch durch Ihre Unterstützung bei Creethar haben Sie sich unsere Achtung und Dankbarkeit erworben, und niemand von uns wird Ihnen auch nur das Geringste vorwerfen, wenn es Ihnen nicht gelingt, ein Problem zu lösen, an dem wir selbst auch schon gescheitert sind. Wie denken Sie darüber, mein Freund?“
Gurronsevas schwieg einen Augenblick lang und antwortete dann: „Ich fühle mich geschmeichelt, ermutigt und beruhigt und möchte gerne alles tun, was in meinen Kräften steht, um zu helfen. Doch da Sie ein Empath sind, kennen Sie ja meine Gefühle schon, und ich glaube, Sie haben von Anfang an vorgehabt, diese Empfindungen in mir hervorzurufen.“
„Da haben Sie allerdings recht“, gestand Prilicla und stieß einen kurzen, gerollten, unübersetzbaren Laut aus, bei dem es sich möglicherweise um die cinrusskische Variante des Lachens handelte. „Aber ich habe nicht an Ihrer emotionalen Ausstrahlung herumgedoktert. Der Wunsch zu helfen war bei Ihnen bereits vorhanden. Jetzt spüre ich, daß Sie noch etwas sagen möchten.“
„Ja, ich möchte ein paar Vorschläge machen“, sagte Gurronsevas. „Ich glaube, Sie sollten den genauen Ort und Zeitpunkt für Creethars Rückkehr festlegen und Remrath und die anderen davon in Kenntnis setzen, falls die irgendwelche Vorbereitungen treffen wollen. Wie wir wissen, sind die Wemarer ganz wild darauf, Creethar wiederzubekommen, und sie über den Zeitpunkt der Übergabe zu informieren wäre ein Akt der Freundlichkeit, durch den sie uns gegenüber vielleicht weniger feindselig auftreten würden. Ich denke, der beste Moment für die Übergabe wäre am frühen Vormittag, wenn die Arbeitsgruppen und die Lehrerinnen zum Mittagessen in die Mine zurückkehren. Das würde viele Zuschauer und die größtmögliche Wirkung garantieren, doch ob diese Wirkung gut oder schlecht sein wird, kann ich nicht sagen.“
„Ich auch nicht“, räumte Prilicla ein. Schnell gab er den Zeitpunkt und die Umstände, unter denen Creethars Entlassung erfolgen sollte, bekannt und fuhr dann fort: „Aber wie wollen Sie die Wemarer davon unterrichten, wo die doch immer gleich die Ohren zumachen, wenn wir mit ihnen zu sprechen versuchen? Haben Sie das Problem schon vergessen? Zumindest spüre ich nicht, daß Sie sich darüber Sorgen machen.“
Gurronsevas hatte sich schon immer bemüht, nichts zu verschwenden, ob es sich nun um Zeit, Material oder Atem handelte. Anstatt die Frage zu beantworten, blieb er stehen, wandte sich mit seinem gewaltigen Körper ein wenig zur Seite, um den Mund auf die Arbeitsgruppe von Wemarern zu richten, die sich weniger als zweihundert Meter entfernt befand, und holte tief Luft.
„Dies ist eine Bekanntmachung der Bewahrer von Creethar auf dem außerplanetarischen Schiff!“ rief er langsam und deutlich und sehr laut. „Der Jäger Creethar wird seinen Freunden übermorgen eine Stunde vor der Mittagszeit am Mineneingang übergeben werden.“