Durch das hartnäckige Festhalten an diesem Glauben waren allmählich auch die restlichen Wemarer entweder durch eine völlig unzureichende Ernährung oder unnötigerweise auf der Jagd gestorben. Denn die zahmen Tiere, die man einst gehalten hatte und die als Nahrung dienten, waren längst ausgestorben, und die wenigen Lebensformen, die sich durch Anpassung zu nachtaktiven, in Höhlen lebenden Raubtieren entwickelt hatten, waren wieder wild geworden. Eine ähnliche Anpassung hatte sich auch in den Meerestiefen vollzogen, wo sich große Fische gegenseitig angriffen und fraßen, denen auch Wemarer Fischer zum Opfer fielen.
„Doch der gewaltige Bevölkerungsrückgang und der Untergang der gesamten Transport- und Produktionstechnik hat auch eine vorteilhafte Auswirkung gehabt“, erklärte Creethar in feierlichem Ton. „Dadurch hat der kranke Planet die Möglichkeit erhalten, sich wieder zu erholen. Im Laufe der Jahrhunderte hat das gewaltige Lebewesen, unser Heimatplanet, die Gifte auf dem Land und im Meer verteilt und abgebaut und den unsichtbaren Schutzschirm über uns erneuert, der nur Licht und Wärme zur Planetenoberfläche durchdringen läßt. Folglich wachsen die Pflanzen wieder, und die Landtiere und Meeresbewohner werden die Höhlen, Erdlöcher und Meerestiefen verlassen und sich vermehren. Doch wir müssen noch viele Generationen lang mit unseren Nahrungsquelen haushalten, indem wir Tiere züchten und nicht aufgrund unseres unnötigen Hungers auf Fleisch bis zur Ausrottung jagen und essen, und zwar so lange, bis wir die Aufgabe, unserem Planeten den Tier- und Pflanzenreichtum zurückzugeben, abgeschlossen haben.
Allerdings raten die Fremdweltler zur Vorsicht“, fuhr Creethar fort. „Uns längere Zeit ungeschützt dem Sonnenlicht auszusetzen wird uns nach wie vor schaden, wenn auch nicht mehr in gleichem Maße wie früher. Und unseren Kindeskindern werden die Strahlen dann nichts mehr anhaben. Andere Schwierigkeiten stehen den Wemarern bevor, wenn sich die übriggebliebenen Familien und Stämme wieder zusammenschließen, und die Reichen am Äquator müssen wir davon überzeugen, ihre sehr einfache, aber stark umweltbelastende Technik aufzugeben. Das müssen wir, wie die Fremdweltler sagen, auf friedliche Weise bewerkstelligen, indem wir statt der Speere unseren Verstand benutzen, denn für gewaltsame Lösungen des Konflikts sind zu wenig Wemarer übriggeblieben. Und wenn wir eine neue Technik entwickeln, werden uns die Fremdweltler bezüglich der Methoden beraten, sie sauberzuhalten, damit wir unseren Planeten nicht noch einmal verseuchen.“
„Ihr Sohn spricht sehr gut“, merkte Gurronsevas leise an. „Ich bin beeindruckt.“
Remrath tat das Kompliment mit einem unübersetzbaren Laut ab, klang jedoch sehr zufrieden, als er entgegnete: „Lange bevor er erwachsen geworden ist und den Beruf des Jägers ergriffen hat, war Creethar Lehrer und Redner. Er wird es nicht zulassen, daß irgend jemand die Weisheit wieder vergißt, die Sie uns vermittelt haben. Da können Sie und Ihre außerplanetarischen Freunde sich ganz sicher sein.“
„Als ich Creethar von diesen Dingen erzählt habe, wollte ich ihn nur von ein paar ernsten Sorgen ablenken, die ihm zu schaffen gemacht haben“, erklärte Gurronsevas. „Erst heute am frühen Morgen habe ich herausgefunden, daß er beunruhigt gewesen ist, weil er geglaubt hat, demnächst zu sterben. Doch inzwischen versteht er offenbar die Bedeutung dessen, was er gehört hat, besser als ich. Allerdings bin ich auch nur Koch.“
„Ein führender Koch, der die Eßgewohnheiten eines ganzen Planeten verändern wird“, korrigierte ihn Remrath und ließ Gurronsevas Zeit, mit dem unübersetzbaren Laut eines Tralthaners auf das Kompliment zu reagieren, und fuhr dann fort: „Alle, die sich hier versammelt haben, vom Jüngsten bis zum Ältesten, sind eigentlich gekommen, um Creethars Rückkehr zu uns zu betrauern und gleichzeitig zu feiern und um seinen Körper untereinander aufzuteilen und zu verzehren. Doch statt dessen nehmen sie jetzt die Worte von den Fremdweltlern und von Creethar, dem Lehrer und Jäger, in sich auf“
In Gurronsevas’ Kopfhörer meldete sich die Stimme von Prilicla. „Die ganze Sache läuft ausgezeichnet, mein Freund, wie ich es schon im voraus gespürt habe“, ließ der Empath vernehmen. „Sogar die Kontaktspezialisten auf der Tremaar sind mit Ihnen zufrieden. Captain Williamson läßt Ihnen seine Komplimente ausrichten und sagt, es sei ein Geniestreich vom Orbit Hospital gewesen, den Chefdiätisten zum Einsatz auf Wemar mitzuschicken. Außerdem wird der Bericht, den er über den wohl ersten bekannten Fall eines über die Kochkunst hergestellten Erstkontakts ans Orbit Hospital schickt, dort ebenfalls große Zufriedenheit mit Ihnen hervorrufen. Ich dachte, ich sollte Ihnen diese frohe Neuigkeit sofort mitteilen, da Sie vielleicht immer noch wegen Colonel Skemptons Reaktion auf Ihre Rückkehr beunruhigt sind. Es gibt keinen Grund mehr zur Besorgnis. Durch Ihren Erfolg auf Wemar wird man Ihre früheren Fehltritte mit Sicherheit vergessen und vergeben. Na prima, ich kann bereits Ihre große Freude und Erleichterung spüren.“
„Schon sehr bald müssen uns Gurronsevas und die Bewahrer vom Schiff verlassen“, verkündete Creethar der versammelten Menge gerade. „Sie sind Lebewesen von furchterregendem Aussehen, und das trifft insbesondere auf den Meister der Köche zu, der einem Schreckgespenst aus den entsetzlichsten Alpträumen der Kinder gleicht. Doch selbst die Jüngsten haben ihn inzwischen kennengelernt und bezeichnen ihn jetzt als ihren Freund. Die Fremdweltler können nicht mehr lange bei uns bleiben, weil sie viel Arbeit auf anderen Planeten oder in den Trümmern großer Schiffe erwartet, die durch den dunklen Raum zwischen den Sternen fliegen. Dort werden sie benötigt, um zu helfen und kranke oder verletzte Wesen zu heilen, damit deren Leben genauso bewahrt wird wie meins. Wie sie mir erklärt haben, werden die anderen Fremdweltler, die ihnen folgen, ebenfalls nicht lange bleiben, weil man weiß, daß es sich bei den Wemarern um eine stolze und tüchtige Spezies handelt. Man wird uns mit Freuden helfen, aber nicht zulassen, daß wir von dieser Hilfe allzu abhängig werden, denn dadurch könnte sich bei uns eine Gemütskrankheit einstellen, die uns dauerhaft lahmen würde. Statt dessen wird man uns Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Wenn wir so verfahren, sagen die Fremdweltler, werden wir wirklich nur sehr kurze Zeit benötigen, um unserem Planeten den Tier- und Pflanzenreichtum zurückzugeben, die Zivilisation und die Technik wiederaufzubauen und zu guter Letzt loszufliegen, um unsere fremdweltlerischen Freunde in ihrer Heimat zwischen den Sternen zu besuchen.“
„Mein lieber Freund“, sagte Remrath in sehr ernstem Ton zu Gurronsevas, „heute abend werden wir kein Fleisch essen, und darüber sind ich, Druuth und alle anderen sehr froh. Danke.“
Gefühlsäußerungen berührten Gurronsevas unangenehm, besonders, wenn es darum ging, die eigenen Gefühle zu zeigen. Deshalb blickte er sich verlegen zur jubelnden Menge um, als er antwortete: „Eine derartige Änderung der vorgesehenen Speisefolge in letzter Minute stellt das Küchenpersonal möglicherweise vor ein echtes Problem. Können Sie nicht noch einen Hilfskoch gebrauchen?“