In den tiefliegenden Augen des dämonisch wirkenden Gesichts las Jacob geradezu eine Gier auf den Einsatz der Fischbeinpeitsche, die in Stanfords Gürtel steckte. Nicht aus einem bestimmten Grund, sondern aus reiner Blutlust. Schon auf der LUCIFER war Stanford von dieser Blutgier zu seinen Schandtaten getrieben worden, als sei er tatsächlich von einem Dämon besessen.
Als Elihu sich nicht bewegte, ruckte die Hand mit dem Remington-Beals-Revolver vor.
»Ich sag's dir zum letzten Mal, Brown: dort hinüber an die Wand!«
»Geh schon, Eli!« sagte Jacob leise zu seinem neuen Freund. »Der Kerl bringt es sonst fertig, dich abzuknallen wie einen tollen Hund.«
Zögernd und unwillig befolgte der Harpunier den Befehl des rachsüchtigen Steuermannes.
Stanton reichte seine Waffe dem kugelbäuchigen Frenchy und sagte: »Halte Brown in Schach! Wenn er sich rührt, puste ihn um!«
»Mit Vergnügen«, grinste der untersetzte Maat.
Frenchy näherte sich Brown und hielt den Navy-Revolver auf ihn gerichtet.
Petrov gesellte sich zu ihm und machte eine Bemerkung, die beide Männer zu einem dreckigen Lachen veranlaßte. Zweifellos ein Scherz, der auf Kosten von Jacob und Elihu ging.
Stanford zog mit aufreizender Langsamkeit seine geliebte Peitsche und ließ sie mit einer plötzlichen, kaum wahrnehmbaren Bewegung durch die Luft pfeifen.
Jacob spürte den Luftzug dicht vor seinem Gesicht und hörte dann den lauten Knall. Die Peitsche hatte ihn nur um wenige Zoll verfehlt. Wahrscheinlich lag das ganz in Stanfords Absicht. Der Mann wollte mit dem verhaßten Deutschen spielen, wollte seine Angst langsam steigern.
Aber Jacob empfand keine Angst, sondern Abscheu. Abscheu vor dem schnurrbärtigen Seemann und vor der Art, wie er andere Menschen behandelte.
Es war ein erniedrigendes Gefühl gewesen, wehrlos an den Mast der LUCIFER gefesselt zu sein und vor den Augen der versammelten Mannschaft ausgepeitscht zu werden. Dabei hatte Stanford gezeigt, wie gut er die Peitsche beherrschte. Jeder Schlag war schmerzhafter gewesen als der vorausgehende.
Noch immer tat Jacobs Rücken höllisch weh, trotz der lindernden Paste, die Jock Moulder ihm aufgetragen hatte. Das beißende Salzwasser, in dem Jacob eine ganze Nacht verbracht hatte, hatte die Paste abgespült und sich in die blutigen Risse gefressen.
So, wie sich jetzt Stanfords Peitsche wieder in seine Haut zu fressen versuchte. Der zweite Schlag traf Jacobs linken Oberarm und riß den Stoff der Jacke in Fetzen. Der Hieb erfolgte so schnell, daß der Zimmermann ihn nicht kommen sah. Als er auf den getroffenen Arm sah, hatte Stanford die Hand mit dem Fischbeingriff schon wieder leicht zurückbewegt und dadurch die lederne Peitschenschnur weggezogen.
Ein dritter Schlag traf schmerzhaft Jacobs linke Wange. Er wollte nach rechts ausweichen, geriet auf dem Abfallhaufen ins Stolpern und fiel zu Boden.
Stanford begleitete das mit einem rauhen, unecht klingenden Lachen, in das seine beiden Begleiter fast augenblicklich einfielen.
Die Sekunden, in denen Frenchy und Petrov abgelenkt waren, nutzte Elihu Brown. Er sprang vor und riß den rechten Fuß hoch. Sein Stiefel traf Frenchys Unterarm.
Der Revolver flog durch die Luft und schlug in fünf, sechs Yards Entfernung auf den Boden. Der Schuß löste sich, und die Kugel klatschte irgendwo in die hölzerne Wand eines Lagerhauses.
Ein Schlag mit Elihus kräftiger Faust schleuderte Frenchy zu Boden. Der kugelbäuchige Maat schlug dabei einen unfreiwilligen Purzelbaum.
Petrov reagierte rasch und zog ein langschneidiges Haifischmesser.
»Eli, paß auf Petrov auf!« warnte Jacob den Freund und nahm dabei einen weiteren Peitschenhieb in Kauf. Das Leder zuckte über seinen Hals und ließ ein scharfes Brennen sowie einen blutigen Striemen zurück.
Unwillkürlich fuhr Jacob mit der Hand über die Wunde. Blut klebte an ihr, als er sie zurückzog.
Der Harpunier hatte die Warnung gehört und wich dem Messerstoß aus. Bevor Petrov zu einem zweiten Stoß ansetzen konnte, sprang Elihu ihn an und riß ihn zu Boden, wo sie um die Waffe des Russen rangen.
Als Jacob erkannte, daß sein Freund nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte, stürmte er vor, mitten in einen weiteren Peitschenhieb hinein.
Aber der unerwartete Angriff des Deutschen verhinderte, daß die Lederschnur sein Gesicht traf, wie es Stanford eigentlich beabsichtigt hatte. Statt dessen wickelte sie sich um Jacobs Oberkörper.
Und diesmal griff der Deutsche zu. Als Stanford das Leder zurückreißen wollte, hielt Jacob es fest und zerrte seinerseits an der Schnur.
Für Sekunden stand es unentschieden. Dann gewann Stanford die Oberhand und konnte Jacob das Leder entwinden. Der Auswanderer hatte es nicht richtig zu packen bekommen. Das Leder war zu glitschig - von seinem Blut!
Wieder schwang der Menschenschinder mit den dämonischen Zügen die Peitsche, während Jacob auf ihn zuhastete.
*
Susu Wang wand sich vor Schmerzen unter Henry Blacks harten Griffen. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und zogen Furchen in die weiße Schminke. Doch jede Träne schien für den Mann, der auf ihr lag, nichts anderes zu sein als Öl, das die Chinesin auf das in ihm lodernde Feuer goß.
Keuchend und schnaufend nestelten seine feuchten Hände am Hosenbund. Endlich schaffte er es, Hose und Unterhose abzustreifen.
Das Entsetzen in Susu Wangs Katzenaugen steigerte sich noch.
»Genug des Vorgeplänkels«, schnaubte Black. Sein schweißüberströmtes Gesicht war noch stärker gerötet als sonst; fast so wie eine überreife Tomate. »Jetzt probiere ich das Hauptgericht!«
Die Chinesin preßte ihre nackten Beine fest zusammen. Es nutzte nichts. Mit brutalen Griffen drückte Black sie auseinander und zwängte seinen Unterleib zwischen die bronzenen Schenkel.
»Bitte!« flehte die tränenerstickte Stimme der Chinesin. »Lassen Sie das doch!«
»Wart's doch erst mal ab, Susu«, flüsterte Black mit falscher Zärtlichkeit. »Hinterher bittest du mich vielleicht, gar nicht mehr aufzuhören.«
In dem Moment, als er in die Frau eindringen wollte, flog die Tür auf. Eine große dunkle Gestalt stürmte in die Garderobe, packte Black am Kragen, riß ihn hoch und schleuderte ihn quer durch den Raum.
Black stürzte gegen den Schminktisch und rutschte daran hinunter zu Boden. Durch die Erschütterung kippten viele der kleinen Töpfe, Flaschen und Schalen um. Einige regneten auf den völlig perplexen Mann hinunter.
Ängstlich blickte er in das finstere, maskenhafte Gesicht des stummen Eindringlings. Es war der hünenhafte schwarze Leibwächter des Hais, Buster. Er stand mit vorgeneigtem Oberkörper in der Mitte des Raums und starrte den Geschäftsmann an.
Black wollte aufstehen. Seine zitternden Hände griffen nach dem Schminktisch, um sich daran hochzuziehen. Aber er stolperte über seine Hosen, die ihm in den Kniekehlen hingen, und fiel der Länge nach erneut zu Boden. Der schwere Leib schlug mit lautem Krachen auf.
Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Blacks Sturz einen Betrachter zum brüllenden Lachen herausfordern können. Aber keinem der drei Menschen war zum Lachen zumute.
Der Schwarze trat auf Black zu und beugte sich zu ihm hinunter. Busters Gesicht wirkte noch immer emotionslos. Der große knochige Neger schien nichts bei dem, was er tat, zu empfinden. Er handelte wie ein Automat.
Eine von Blacks klobigen, ringbestückten Händen verschwand in einer Jackentasche und kam mit einem kleinen Ding aus Metall wieder zum Vorschein. Es war ein dem Derringer ähnlicher Taschenrevolver der Firma Moore. Er richtete die Waffe auf das Gesicht des Schwarzen.
Aber bevor der Geschäftsmann noch den Hahn spannen konnte, hatte Buster seinen Arm mit beiden Händen gepackt. Durch eine gleichzeitige Drehung der Hände in entgegengesetzte Richtungen verursachte der Schwarze einen immensen Schmerz in Blacks Unterarm. Es fühlte sich an, als stächen tausend Nadeln in seine Haut.