Mit einem Aufschrei öffnete Black in einer reflexhaften Reaktion die Hand, und der Moore-Revolver fiel zu Boden.
Durch einen schnellen Fußtritt beförderte Buster die Waffe außer Reichweite.
Busters Linke verkrallte sich in Blacks Kragen und riß den massigen Mann mit einer angesichts der Körperfülle beeindruckenden Leichtigkeit hoch. Die rechte Faust des Negers krachte mitten in das breite rote Gesicht.
Als die linke Hand des Schwarzen losließ, sackte der Geschäftsmann vor Busters Füßen zu Boden.
Buster griff mit beiden Händen zu, hob ihn hoch und schleppte ihn aus dem Raum. Hinter sich zog der Neger die Tür zu, ohne der nackten Chinesin noch einen Blick zu widmen.
Susu Wang hatte nicht daran gedacht, ihren nackten Körper vor dem Schwarzen zu verhüllen, so schnell war alles gegangen. Außerdem konnte sie vor Buster kaum noch Scham empfinden, nachdem Black sie derart mißhandelt hatte.
Sie kannte den Schwarzen, wenn sie ihn auch noch nicht oft gesehen hatte. Meistens hielt er sich im obersten Stockwerk des Golden Crown auf. Bei seinem Herrn und Meister, dem geheimnisvollen Kompagnon, von dem Black gesprochen hatte.
Susu stand auf und verriegelte mit einer raschen Bewegung die Tür. Vom Gang her hörte sie Blacks jämmerliches Stöhnen.
Ihre Augen starrten auf die Tür, als könnten sie das Holz durchdringen. Haß und Verachtung lagen in ihrem Blick - und eine seltsame Entschlossenheit.
Ruckartig drehte die noch immer nackte Frau sich um, und ihre schönen Katzenaugen suchten den Boden ab. Sie fand, was sie suchte, ging in die betreffende Ecke und hob Blacks Taschenrevolver vom Parkett auf.
Versonnen betrachtete sie die Waffe und trat dann zum Schminktisch mit dem großen Spiegel, der eine ganze Wand einnahm. Sie zog eine Schublade auf, legte die Waffe hinein und schob die Lade rasch wieder zu.
*
Der Hai von Frisco saß vor der Wand mit den vielen Spiegeln und konzentrierte seinen Blick auf eine bestimmte unter den vielen Glasflächen.
Es war der Spiegel, der das Bild aus der Star-Garderobe zeigte. Das Bild der wunderschönen nackten Chinesin, die die Reize ihres Körpers so ungeniert präsentierte, weil sie sich unbeobachtet glaubte.
Schon oft hatte der Hai diesen Anblick genossen, wenn Susu Wang sich umzog. Mit voller Absicht hatte er ihr gerade diese Garderobe zugeteilt.
Heute hatte dieser Umstand noch einen wichtigen Nebeneffekt gehabt: Der Hai hatte die versuchte Vergewaltigung mit angesehen und Buster nach unten geschickt, um Henry Black zur Räson zu bringen.
Diesmal zeichnete sich nicht nur Bewunderung auf dem Gesicht ab, das herb wirkte, gleichwohl aber als gutaussehend bezeichnet werden konnte. Noch etwas anderes lag in den Augen des einsamen Mannes: brennendes Interesse.
Interesse für die recht gefaßte Art, in der die junge Chinesin die Schande ertrug.
Und für den Revolver, den sie in der Schublade versteckte.
Zu welchem Zweck?
Nur aus Angst vor einem weiteren Überfall durch den Geschäftsführer des Golden Crown?
Oder hatte sie noch einen anderen Grund, die Waffe zu behalten?
Im Kopf des Hais begann es zu arbeiten, während seine Augen Susu Wang beim Waschen und Ankleiden zusahen.
*
Buster streckte den Arm aus und zeigte auf die geschlossene Tür mit dem goldenen Stern. Er schüttelte warnend den Kopf. Dann drehte er sich um und ging in seiner lautlosen Raubtierart davon, ohne Henry Black noch einmal anzusehen.
Dieser hatte die Warnung verstanden. Er sollte seine Finger von Susu Wang lassen. Der Hai wünschte es so.
Nein, falsch.
Der Hai befahl es!
Der verkrüppelte Mann, der dort oben hauste, äußerte keine Wünsche, nur Befehle.
Jeder, der sich diesen Befehlen widersetzte, bekam die Antwort des Hais schmerzhaft zu spüren.
So wie jetzt Henry Black.
Er meinte, jeden seiner Knochen zu spüren. Überall hatte er Schmerzen, vom Kopf bis zu den Beinen. Buster hatte sich keine Mühe gegeben, ihn schonend zu behandeln.
Verdammter Nigger! zuckte es durch Blacks Kopf.
Er, der Chef des Golden Crown, mußte sich in seinem eigenen Haus von einem Schwarzen, der eigentlich auf die Baumwollfelder gehörte, herumstoßen lassen.
Weit ist es mit dir gekommen, Henry Black! dachte er bitter.
Vor einigen Monaten hätte niemand so mit ihm umspringen dürfen, kein Weißer und schon gar kein Neger!
Aber mit dem Erscheinen des verfluchten Krüppels hatte sich alles geändert.
Der Hai schien alles zu sehen und alles zu hören. Und er mischte sich in alles ein.
Mochte der Teufel wissen, woher der Hai und Buster gewußt hatten, was Black mit Susu Wang anstellte!
Black dachte wieder an das seltsame Gefühl, das ihn vorhin auf der Treppe überfallen hatte. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Jetzt spürte er es wieder und sah sich um.
Aber der einzige Mensch, den er erblickte, war er selbst -sein Bild in einem der vielen Spiegel.
Ein ziemliches lächerliches Bild, wie Black zugeben mußte. Wie ein verängstigtes Kleinkind lag er auf dem Gang, die Arme schützend vor den Kopf gezogen. Besonders lächerlich wirkte das Bild wegen der herabgelassenen Hosen.
Seine Hände zitterten, als er sich mühsam aufrichtete und anzog. Sie zitterten vor Erregung und vor Zorn.
Er wollte diese Demütigung allen heimzahlen: der widerspenstigen Chinesin, dem Schwarzen und dem Hai.
Trotz des großen Zorns war es zweifelhaft, ob Black diesem Gefühl nachgeben würde. Denn er zitterte noch aus einem anderen Grund: Er empfand Angst, große Angst.
Henry Black, den alle für so mächtig hielten, fürchtete sich wie ein Kind vor der Dunkelheit.
Seine Dunkelheit war der verkrüppelte Mann im obersten Stock, der Hai von Frisco.
*
Cyrus Stanfords Peitsche vollführte einen blutigen Tanz überall auf Jacobs Körper. Immer wieder traf ihn das Leder und fraß sich in seine Haut.
Aber der junge Auswanderer ließ sich davon nicht aufhalten. Ungeachtet der Schmerzen, die der Steuermann ihm verursachte, stürmte er voran.
Er erreichte Stanford in dem Augenblick, als dieser zu einem neuen Schlag ausholte. Jacob umklammerte den Arm mit der Peitsche und schlug ihn gegen sein hochgerissenes Knie. Wie erwartet ließ der Seemann den Fischbeingriff los.
Stanford befreite sich von dem Angreifer, machte zwei Schritte nach hinten, um sich Luft zu verschaffen, und zog eine andere Waffe aus einer langen Lederscheide an seinem Gürtel. Es war ein Haifischmesser, ähnlich dem, mit dem Petrov auf Elihu Brown losgegangen war.
Der Maat und der Harpunier wälzten sich im Kampf um die Waffe noch immer im Dreck.
Jacob hatte keine Zeit, sich länger um den bärtigen Freund zu kümmern. Stanford fletschte seine schlechten dunklen Zähne und kam langsam auf den Deutschen zu. Die gezackte lange Klinge seines Messer blitzte im Licht der Nachmittagssonne auf.
Mit einer blitzschnellen Bewegung hob Jacob die Peitsche vom Boden auf und schlug nach dem Steuermann. Natürlich war der Deutsche im Umgang mit dieser Waffe nicht so geübt wie ihr Besitzer. Aber es reichte, um Stanford zurückzutreiben, als die Lederzunge über seine Schulter leckte.
»Ein netter Versuch, Dutch«, grinste der Mann mit dem großen Messer. »Aber um die Peitsche so zu beherrschen wie ich, mußt du noch ein paar Jahre üben. Und soviel Zeit lasse ich dir nicht!«
Noch während er sprach, stürmte er vor und warf sich mit einem weiten Sprung auf Jacob.
Dieser wich zur Seite aus, allerdings nicht schnell genug. Die gezackte Messerklinge riß Stoff und Haut an seinem rechten Oberarm auf. Blut quoll hervor und begleitete den stechenden Schmerz, den Jacob verspürte.
Beide Männer wirbelten herum und standen sich wieder gegenüber. Um Stanford zuvorzukommen, ließ Jacob erneut die Peitsche sprechen. Es war wohl ein Glückstreffer, aber nur das Ergebnis zählte. Ungläubig beobachteten zwei Augenpaare, wie sich die Peitschenschnur oberhalb von Stanfords Hand um den Messergriff schlängelte.