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Archer dachte für einen Moment darüber nach. »Sie behaupten also, es geht um irgendwelche wichtigen Dinge.«

»Wie man es betrachtet. Es geht um meine Normalität. Oder um die Normalität ganz allgemein.«

»Auf die Normalität allgemein können Sie pfeifen.«

»Dann eben um meine eigene.«

»Sie wollen, dass ich Sie ernst nehme«, sagte Archer. »Okay. Prima. Aber ich kenne Sie nicht. Sie sind jemand, dem ich ein Haus verkauft habe. Jemand, der eine Klasse unter mir die Sea View Elementary besucht hat. Sie scheinen ein ganz vernünftiger Bursche zu sein. Aber eines sollten wir im Auge behalten, Tom. Sie haben mich gerufen, weil Sie die Bestätigung suchen, normal zu sein. Ich will aber etwas mehr.«

Tom lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte darüber nach. Offenbar hatte die Zeit Douglas Archer nicht gezähmt. Vielleicht war es wichtig, sich daran zu erinnern, dass man ins Gefängnis kommen oder eine empfindliche Geldstrafe dafür bekommen konnte, wenn man Buick-Limousinen mit Steinen bewarf, vor allem, wenn man alt genug war, um sich die Folgen ausmalen zu können. Tom hatte für Belltower nicht besonders viel übrig, aber er wollte auch nicht, dass ein Meer von Purpurwinden unten auf den Parkplätzen den Verkehr zum Erliegen brachte, obgleich Tony sich furchtbar darüber aufregen würde.

Dennoch lag in Archers Haltung etwas Verführerisches, speziell nach einer Nacht größter nervlicher Anspannung, die an Hysterie grenzte. Er sagte: »Kennen Sie einige der alten Wege und Trampelpfade hier oben?«

Archer nickte.

»Dann lassen Sie uns doch mal das Gelände hinter dem Haus untersuchen.« Tom erhob sich. »Danach können wir ja überlegen, was wir tun sollen.«

Sie folgten einem alten, beinahe vollständig zugewachsenen Fußweg in den dichten Wald hinter dem Garten.

Tom hatte vergessen, wie es war, wenn man durch diese nordwestpazifischen Kiefernwälder wanderte, über den dichten Moos- und Farnteppich und die Sumpfflächen. Er folgte dem breiten Rücken von Archers kariertem Holzfällerhemd den Pfad entlang, bückte sich unter tief hängenden Ästen hindurch oder stieg mit einem großen Schritt über kleine, glänzende Regenwassertümpel hinweg. Der Lärm vorbeifahrender Autos auf der Post Road wurde leiser, als sie einen kleinen Abhang nach Westen hinaufstiegen. Das ganze Gerede von Magie — sowohl seines wie auch Archers — erschien hier viel einleuchtender.

Archer sagte: »Vor hundert Jahren lebten hier Indianer. Zwischen den Kiefern stand mal ein Totempfahl, aber den haben sie ins Stadtmuseum geschafft.«

»Wer benutzt diesen Weg?«

»Die Kinder der Hopfners unten an der Straße haben ihn benutzt, aber die zogen schon vor längerer Zeit weg. Wanderer kommen manchmal hier herauf. Es gibt eine Anzahl Wege, die unten von der Siedlung an der Poplar Road hier heraufführen. Unten bei Ihrem Haus sind sie fast alle zugewachsen. Ich glaube nicht, dass heute noch jemand hier vorbeikommt.«

Er blieb hinter Archer stehen, als der Weg sich gabelte und über eine freie Wiese voller Disteln und Feuerkraut führte, vorbei an einem alten Wellblechschuppen, der mit Efeu überwuchert war. Wahrscheinlich hatte jemand hier sein Kaminholz gelagert, dachte Tom, als er den windschiefen, teilweise mit Moos bewachsenen Bau betrachtete. Archer drang weiter in den dichten Wald vor, und Tom folgte ihm, bis sie wieder vom tiefen Schatten der Bäume umgeben waren.

Sie marschierten länger als eine Stunde weiter, stiegen dabei ständig aufwärts durch den Kiefernwald, bis sie eine felsige Kuppe erreichten. Archer kletterte auf den höchsten Punkt, drehte sich um und reichte Tom für die letzten Meter eine Hand. »Wir sind ganz schön hoch hinaufgekommen«, sagte er, und Tom wandte sich um und war überrascht von dem weiten Blick, nicht nur auf die Post Road, sondern bis hin zur Küste. Unter ihm drängte Belltower sich um die Bucht, und über der Papierfabrik stand eine graue Qualmwolke.

»Deshalb kommen die Leute hier herauf«, sagte Archer. »Es ist kein viel begangener Weg, und nur wenige kennen ihn. Wenn wir an der Gabelung dem anderen Arm gefolgt wären, hätten wir schon bald mitten in einem Sumpf gestanden. Hier herauf ist es aber sehr schön.«

»Gibt es einen Namen für diese Stelle?«

»Irgendjemand hat sie sicherlich getauft. Alles hat einen Namen, nehme ich an.«

»Kommen Sie oft hierher?«

»Ab und zu. Ich finde die Aussicht schön. Von hier oben sieht alles wundervoll aus — an schönen Tagen jedenfalls. Sogar dieser verdammte Parkplatz.«

»Sie hassen diese Stadt«, stellte Tom fest.

Archer zuckte die Achseln. »Wenn ich sie hassen würde, wäre ich längst weg. Obgleich ich nach dem, was ich bisher gesehen habe, daran zweifle, dass ich irgendwo etwas deutlich Besseres finden würde. Hass ist ein zu starkes Wort. Aber ich verabscheue sie sehr… manchmal.« Er hielt inne und musterte Tom von der Seite. Dabei schirmte er seine Augen vor der Sonne ab. »Ich gebe allerdings zu, dass ich gerne wissen würde, was Sie hierher zurückgeführt hat.«

»Sie haben mich nie danach gefragt.«

»Das wäre unhöflich. Vor allem dann, wenn jemand ganz eindeutig nicht darüber reden will.« Er wandte sich wieder der Aussicht zu. Die Sonne war intensiv. »Oder wäre es doch nicht so unhöflich?«

»Meine Frau hat mich verlassen«, sagte Tom. »Dann verlor ich meinen Job. Ich habe zu trinken angefangen, um darüber hinwegzukommen.«

Archer betrachtete ihn jetzt etwas eingehender.

Tom hielt dem Blick stand und hob die Schultern. »Sie fragen sich wahrscheinlich, ob man einem Alkoholiker trauen kann, wenn er des Nachts seltsame Dinge gesehen haben will. Kann ich verstehen. Aber es ist schon länger als einen Monat her, dass ich das letzte Mal einen Tropfen Alkohol angerührt habe. Um ganz ehrlich zu sein, es wäre mir fast lieber, wenn ich wüsste, dass das Ganze auf ein Delirium zurückzuführen ist.«

»Wie lange haben Sie getrunken?«

»So richtig? Seit ich aus dem Job geflogen bin. Drei Monate vielleicht.«

Archer nickte. »Dazu fallen mir einige unbequeme Fragen ein.«

»Als da wären?«

»Viele Menschen verlieren ihren Job. Viele Menschen lassen sich scheiden. Nicht alle landen bei der Flasche.«

Es gab viele Antworten auf diese Frage. Die knappste war: Das geht Sie gar nichts an. Aber wahrscheinlich hatte er selbst dafür gesorgt, dass es Archer etwas anging. Er hatte schließlich das Thema seiner eigenen seelischen Stabilität zur Sprache gebracht. Es war keine feindselige Frage.

Er konnte sagen: Ich war zehn Jahre lang mit einer intelligenten, nachdenklichen Frau verheiratet, die ich innig geliebt habe und deren Misstrauen stetig zunahm, bis es wie ein Messer zwischen uns wirkte.

Er könnte von Barbaras politischem Aktivismus erzählen, von ihrer Überzeugung, dass die Welt sich am Rand einer ökologischen Katastrophe befand. Er könnte erklären, dass seine Arbeit als Ingenieur bei Aerotech sie einander entfremdet hatte, dass sie angefangen hatte, ihn als das lebende Beispiel für den Moloch Technik zu betrachten. Seine Intelligenz diente der Kriegsindustrie, die in ihren Methoden so vielschichtig und so einfältig in ihren Zielen war, dass die Erde von ihr völlig ausgelaugt und in eine einzige Wüste verwandelt wurde.

Er könnte vielleicht auch eines ihrer Argumente anführen. Er könnte seine ständige, geduldige Beteuerung wiederholen, dass die Maschinen, die er entwarf, überaus sparsam im Treibstoffverbrauch waren. Dass seine Arbeit, auch wenn sie nicht gerade der Suche nach dem ökologischen Gral geweiht war, immerhin mithelfen könnte, dass die Luft in der Umgebung größerer Städte besser wurde. Für Barbara waren dies billige Rechtfertigungsversuche. Sie warf ihm vor, sich mit untauglichen Lösungen für ein überwältigendes Problem aufzuhalten. Eine bessere Verbrennungsmaschine würde niemals die Regenwälder in Brasilien oder die Redwoods in Kalifornien wiederherstellen. Woraufhin Tom erwiderte, dass es auf jeden Fall verdammt noch mal viel produktiver sei, als sich mit einer Kette an das Tor einer Papierfabrik zu fesseln oder sich irgendwelchen langhaarigen Anarchisten anzuschließen und dicke Nägel in die Bäume der Cascades zu schlagen. An diesem Punkt — und in ihrem letzten Jahr geschah es immer häufiger — glitt ihr Gespräch in gegenseitige Beschimpfungen ab. Barbara fing dann von seiner »selbstzufriedenen Provinzlersippe« an, bei der sie am meisten Tony störte; und Tom, wenn er ausreichend betrunken oder wütend war, dachte laut über die möglichen Gründe ihres zunehmenden Mangels an sexuellem Appetit nach. (»So schwierig ist die Antwort nicht«, erwiderte sie einmal. »Sieh doch nur in den Spiegel.«)