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Billy war der Jüngste, aber er las sehr viel. Piper und Hallowell stellten ihm immer derartige Fragen. Diesmal musste er passen.

»Sir, ich habe keine Ahnung«, sagte Billy.

Bruder Hallowell zuckte die Achseln und sagte: »Nun, wir sind ganz sicher in etwas Seltsames hineingeraten. Ihr wisst, dass sich nebenan eine Frau aufhält?«

Billy machte widerwillig einen Schritt vorwärts. Er empfand Abscheu vor dem Geräusch der Maschinenkäfer, die er unter seinen Füßen zerquetschte. »Eine Frau?«

»Richtig«, sagte Bruder Hallowell, »aber deine Sprenggranate, Bruder Billy, hat sie ausgeschaltet. Sie hat ein Stück Glasscheibe im Kopf. Sie ist nicht tot, ihre Augen sind offen, aber… Na komm, sieh selbst.«

Billy war etwas benommen, aber seine Rüstung hielt ihn funktionsfähig. Sogar Bruder Piper beruhigte sich allmählich. Der Deckflügel nahm seine volle Funktion wieder auf, und Billy hatte das Gefühl, als wäre sein Blut um zwei bis drei Grad abgekühlt. Vielleicht war dieses Haus ein Waffenlager. Vielleicht wurden sie dafür belobigt, dass sie es entdeckt hatten. Es war eine angenehme Vorstellung, aber Billy glaubte nicht daran, noch während er darüber nachdachte — die Maschinenkäfer waren ein zu seltsames Produkt, sogar für brasilianische Sektenführer.

Er folgte Bruder Hallowell ins Zimmer nebenan, wo eine Frau in einer Ecke zwischen zwei Kisten auf dem Fußboden lag. Die Sprenggranate hatte eine gläserne Trennwand zerstört und einen langen grün getönten Keil zwischen rechtem Ohr und rechtem Auge in den Kopf der Frau getrieben. Es war Blut zu sehen, aber nicht so viel, wie Billy erwartet hatte. Der Anblick dieser jungen Frau mit einem Glaskeil, der aus ihrem Schädel ragte wie ein besonders grässlicher Partyhut, rührte Billy seltsam an. Er bückte sich, um den Glaskeil zu berühren — eine fast andächtige Geste —, und als seine Finger dagegenstießen, blinzelte die Frau und atmete zischend ein… nicht vor Schmerzen, dachte Billy, sondern als hätte das Vibrieren seiner Berührung irgendeine angenehme, längst versunkene Erinnerung in ihr geweckt. Sie schaute mit einem Auge, dem linken, zu Billy hoch. Das rechte Auge, blutunterlaufen, starrte gleichgültig auf irgendetwas, das nicht vorhanden war.

»Wie heißen Sie?«, fragte Billy.

»Ann Heath«, erwiderte die Frau einfach.

»Weg da.« Billy machte Platz, während Bruder Hallowell eine Erste-Hilfe-Tasche aus seinem Rucksack holte und ein kardiovaskuläres Gerät heraussuchte. Er riss die Bluse der Frau auf, dann klemmte er das Gerät zwischen ihre Brüste. Als er es einschaltete, hörte Billy, wie die hämotropen Röhren sich in Ann Heaths Körper bohrten. Es war ein furchtbares Geräusch. »Oh«, seufzte die Frau, als das Gerät begann, ihren Atem zu regulieren. Nun würde sie nicht sterben, selbst wenn ihr Herz und ihre Lungen streikten, allerdings konnte sie noch immer ins Koma fallen. Billy erkannte den Zweck dieses Schritts: Sie sollte noch für eine Weile in einem Zustand gehalten werden, in dem man sie verhören konnte.

Bruder Hallowell wartete einen Moment, bis die Maschine einwandfrei funktionierte, dann beugte er sich über Ann Heath. »Ma’am«, sagte er, »können Sie mir genau erklären, was dieses Haus ist?«

Ann Heath antwortete gehorsam, als ob die Glasscherbe den Teil ihres Gehirns, der für Vorsicht und Widerstand zuständig war, abgetrennt hätte, um nur noch Diensteifer und Unterwürfigkeit übrig zu lassen.

»Eine Zeitmaschine«, sagte sie.

Bruder Hallowell verzog in seiner Verblüffung das Gesicht zu einer fast spaßigen Grimasse. »Eine was?«

»Eine Zeitmaschine«, sagte Ann Heath. Die kardiovaskuläre Maschine legte ein Zittern in ihre Stimme, das klang, als hätte sie einen heftigen Schluckauf.

Bruder Hallowell seufzte. »Sie ist durcheinander«, sagte er. »Sie ist hirntot.« Er richtete sich auf. »Bruder Billy, würdest du die Gefangene befragen? Sieh zu, ob du irgendetwas Zusammenhängendes aus ihr herausbekommst. Unterdessen werden Bruder Piper und ich uns umsehen und versuchen, irgendeine Energiequelle in Gang zu setzen.«

Windböen ließen das Gebäude erbeben. Billy setzte sich neben die verletzte Frau und tat so, als sähe er den grünen Glaskeil nicht, der in ihrem Kopf steckte. Er wartete, bis Bruder Hallowell und Bruder Piper den Raum verlassen hatten.

Ann Heath kam ihm nicht wie eine Lügnerin vor. In ihrem Zustand, dachte Billy, ist es wahrscheinlich gar nicht möglich zu lügen.

Er sagte: »Ist dieses Haus wirklich eine Zeitmaschine?«

»Im Keller befindet sich ein Tunnel«, sagte Ann Heath tonlos, nur unterbrochen von dem Schluckauf.

»Wohin führt er?«, fragte Billy.

»In die Zukunft«, antwortete sie. »Oder in die Vergangenheit.«

»Erzählen Sie mir mehr«, sagte Billy.

Der Sturm hielt sie zwei Tage lang in dem Haus fest. Ann Heath wurde zunehmend unverständlicher, aber in dieser Zeit, während Bruder Hallowell und Bruder Piper ihre Rüstung säuberten oder Verpflegungsrationen auf der Wärmepumpe des Gebäudes erhitzten oder Karten spielten, tat Billy das, was von ihm verlangt worden war — er verhörte die Gefangene. Er erklärte Piper und Hallowell, dass sie völlig verwirrt sei, aber dass er hoffe, doch noch etwas Nützliches aus ihr herauszuholen. Piper und Hallowell interessierten sich eigentlich nicht für das, was sie sagte. Sie hatten die toten Maschinenkäfer entfernt und schienen sie als eine besondere Erscheinung der Sturmzone abzutun, etwas, für das das Forschungscorps sich vielleicht interessierte, später. Weder Piper noch Hallowell hatten viel für Geheimnisse übrig. Billy auch nicht. Aber Billy glaubte das, was Ann Heath ihm erzählte.

Was Ann Heath ihm mitteilte, war ein ganzer Katalog von Wundern. Sie redete ohne Leidenschaft und zunächst auch mit großer Klarheit, als ob in ihrem Kopf eine Tür geöffnet worden wäre, durch die die Antworten auf Billys Fragen hervorsprudelten wie ein lange eingesperrter Schatz.

Am Abend des dritten Tages, während der Sturm um das Haus tobte und Bruder Hallowell und Bruder Piper in der angenehmen Wärme ihrer Rüstungen ein Nickerchen hielten, nahm Billy Ann Heath mit hinunter in den Keller. Ann Heath konnte nicht aus eigener Kraft gehen. Die linke Seite ihres Körpers sackte unter ihr weg, als funktionierten ihre Gelenke nicht mehr, daher schlang Billy einen Arm um sie und trug sie. Dabei besudelte er seine Hände mit dem Blut auf ihrer Bluse. Er war vom Keller enttäuscht, denn er war ein ebenso kahler Raum wie die Zimmer oben — hier gab es keine sichtbaren Wunder. Billy hatte sich während des Verhörs einen letzten Rest Skepsis bewahrt, und der Keller schien seine Zweifel zu bestätigen. Aber dann zeigte sie ihm die Kontrolltafel in der glatten Wand, unsichtbar, bis sie ein Wort sagte in einer Sprache, die Billy nicht kannte. Dann legte er seine eigene Hand auf die Tafel, während sie weitere Worte sagte, bis die Tafel Billys Berührung gespeichert hatte. Ann Heath lehrte ihn, welche Worte er aussprechen musste, um die Maschine zu bedienen, und Billy und seine Rüstung merkten sich die seltsamen Laute. Dann sank ihr Kopf herab, und sie begann zu sabbern, und Billy schob ihr ein Polster aus zusammengeknüllten Tüchern hinter den Rücken, damit sie schlafen konnte — falls das überhaupt ein Schlafen war —, während die kardiovaskuläre Maschine stetig gegen ihr Brustbein schlug. Billy öffnete den Tunnel — er erschien sofort, weiß und wunderbar, seine letzte Bestätigung, dass die Wunder echt waren —, und dann schloss er ihn wieder. Ann Heath hatte ihm erklärt, wie sie Vorbereitungen getroffen hatte, den Tunnel für immer zu schließen, und Billy fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er und Bruder Piper und Bruder Hallowell an diesem Haus vorbeigelaufen wären und woanders Unterschlupf gefunden hätten. Er hätte nie etwas geahnt, hätte nie etwas davon erfahren. Er hätte sein Leben gelebt, ohne je etwas von Tunnels zwischen verschiedenen Zeitzonen gehört zu haben. Er dachte darüber nach und über Ohio und über die Infanterie, und wie sehr er sie hasste. Er dachte an seine Rüstung. Dann schaltete er die Rüstung auf volle Leistung und ging nach oben, wo Bruder Piper und Bruder Hallowell schliefen, und er legte seine Hand auf Bruder Pipers bloßen Kopf und brannte einen qualmenden Kanal durch dessen Schädel, dann wandte er sich um und tat das Gleiche bei Bruder Hallowell, ehe er vollständig aufgewacht war. Dann rannte er nach unten und beeilte sich, weil er befürchtete, dass dieser seltsame, aufrührerische Mut sich verflüchtigte und er am Ende weinend zusammenbrechen würde.