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»Sie könnten sie anrufen und eine Nachricht hinterlassen«, schlug Billy vor. »Das wäre doch nicht zu schwierig.«

»Sie könnte mit ihm hierherkommen«, sagte Millstein, und Billy erkannte dies als einen Vorboten der Kapitulation. Nicht dass er jemals daran gezweifelt hätte.

»Sie interessiert mich nicht«, sagte Billy.

Millstein zitterte, als er nach dem Telefonhörer griff.

Danach hätte alles einfacher ablaufen müssen, und Billy hatte keine Erklärung, weshalb es anders geschah. Vielleicht ein Nachlassen seiner Aufmerksamkeit oder der Wachsamkeit der Rüstung.

Er wartete mit Lawrence Millstein den ganzen langen Abend nach dem Sonnenuntergang, während die Luft, die durchs Fenster hereindrang, abkühlte und das Apartment sich mit Schatten füllte. Er lauschte den Stimmen unten im Hof. Nicht weit entfernt rief ein Mann etwas auf Spanisch. Ein Baby quengelte. Ein Plattenspieler spielte La Traviata.

Billy war für einen kurzen Moment von dem einsamen Klang der Musik und dem Rascheln der Vorhänge im Wind abgelenkt. Dies war fast ein Paradies, dachte er, dieses alte Haus, wo Menschen lebten, ohne sich wegen Reis oder Getreide zu streiten, wo niemand erschien, um Kinder mitzunehmen und sie in eine goldene Rüstung zu stecken. Er fragte sich, ob Lawrence Millstein wusste, dass er in einem Paradies lebte.

Dann klopfte es an der Tür.

Billy wandte sich um, aber Lawrence Millstein war bereits aufgesprungen und brüllte etwas. »Nein! Nein! Oh Scheiße, Joyce, lauf weg!«

Dann tötete Billy ihn. Die Tür öffnete sich, und eine Frau stand als Silhouette im Licht des Flurs, eine große, braunhäutige Frau in einem geblümten Kleid. Sie schaute durch dicke Brillengläser in die Wohnung. »Lawrence?«, fragte sie. »Ich bin’s, Nettie — von nebenan.«

Billy tötete Nettie mit seinem Handgelenkstrahler, aber seine Hand zitterte, und der Strahl drang nicht so sauber ein, sondern eher wie ein schartiges Messer, sodass überall Blut umherspritzte, und Nettie gab einen Laut von sich, der wie »Woof!« klang, und kippte nach hinten gegen die verblichene Tapete.

Dann war der Flur voller Stimmen und Rufe, und obgleich Billy seine Rüstung mit diesen Morden besänftigt hatte, wusste er, dass sein eigentliches Vorhaben warten musste.

16

Eine Frau in der Menge zog Joyce von der Tür und den Leichen weg. Tom konnte in ihrem Gesicht lesen, dass Lawrence in der Wohnung war und dass Lawrence nicht mehr lebte.

Aus einem ersten Impuls heraus wollte er sie trösten. Aber die herandrängenden Mieter verhinderten das, und die Sirenen waren nun näher gekommen… Er eilte die Treppe hinunter und hinaus auf den Bürgersteig. Er konnte es sich nicht leisten, sich ausfragen zu lassen. Schließlich hatte er eine Brieftasche voller Ausweise aus der Zukunft und niemanden außer Joyce, der für ihn bürgen konnte.

Eine Menschentraube bildete sich, als die Polizeiwagen vorfuhren. Tom hielt sich unauffällig im Hintergrund. Er verfolgte, wie die Polizisten eine Sperre errichteten. Er sah zwei Sanitäter aus einem Ambulanzwagen springen und ins Haus rennen. Kurz darauf kamen sie zurück, blieben unter einer Straßenlaterne stehen, rauchten und lachten. Die roten Blinklichter auf den Dächern der Streifenwagen schufen in der Straße eine unheimliche und triste Atmosphäre. Tom blieb noch lange auf seinem Platz stehen, nachdem die Menschenmenge sich etwas verlaufen hatte. Er wartete.

Unruhe kam auf, als die Leichen herausgetragen wurden: zwei Gestalten unter Decken.

Joyce erschien wenig später. Ein dicker Mann in einem braunen Anzug geleitete sie zu einem neutralen Fahrzeug. Der dicke Mann, vermutete Tom, war ein Detective. Er hatte sie sicherlich gefragt, ob sie eines der Opfer kennen würde. Ja, hatte sie bestimmt gesagt, den dort… Sie würde mithelfen, weil sie wünschte, dass der Mörder gefunden wurde.

Aber Tom erkannte an der Art und Weise, wie sie ihn ansah und dann den Blick abwandte, dass sie verwirrt war, was seine Rolle in diesem Drama betraf.

Dabei war er mindestens genauso verwirrt. Hing Millsteins Tod irgendwie mit seinen Zeitreisen zusammen? Es gab zu viele Möglichkeiten, dachte Tom. In einer Welt, in der Übergänge von einem Jahrzehnt zum anderen existierten… Jede Art von bösartigem Monstrum hätte ihn bis zu Millsteins Wohnung verfolgen können.

Die Streifenwagen setzten sich in Bewegung und fuhren ab, und die Menschenmenge zerstreute sich endgültig. Eine Wolkenbank hatte sich von Nordwesten über den Himmel geschoben, und die Nacht wurde schlagartig kühler. Eine Windböe heulte aus der Avenue B heran.

Sicherlich regnet es noch vor Tagesanbruch, dachte Tom.

Er überlegte, ob er zu Fuß zu seiner Wohnung zurückkehren sollte, was in diesen nächtlichen Straßen nicht ungefährlich war.

Er spürte eine Hand auf der Schulter… und wirbelte herum, erschrocken. Er rechnete damit, einem Polizisten gegenüberzustehen, oder mit noch Schlimmerem, und erschrak erneut.

»Hey, Tom«, sagte Doug Archer. »Wir müssen schnellstens von hier verschwinden.«

Tom wich einen Schritt zurück und sog zischend die Luft ein. Ja, alles war möglich. Tatsächlich, das war Doug Archer aus Belltower im Staate Washington gegen Ende der Achtzigerjahre. Und in dieser schmutzigen Straße war er mindestens ebenso fehl am Platze wie eine griechische Amphore oder eine ägyptische Urne.

Doug Archer, der irgendwie zu ahnen schien, was hier im Gange war. Das ist wirklich ein tolles Ding, dachte Tom.

Er hatte Mühe, einen Ton hervorzubringen. »Wie haben Sie mich denn gefunden?«

»Das ist eine lange Geschichte.« Archer legte den Kopf schief, als lausche er auf etwas Bestimmtes. »Tom, wir müssen sofort weg von hier. Wir können uns im Wagen unterhalten, ja?«

Tom warf einen letzten Blick auf das Haus, in dem Lawrence Millstein gestorben war. Ein Krankenwagen entfernte sich gerade in Richtung Innenstadt. Joyce war ebenfalls verschwunden.

Er nickte.

Archer zog einen überdimensionalen Avis-Schlüsselanhänger aus der Tasche.

Tom spürte, verstand aber die Dringlichkeit nicht, als Archer ihn in einen Ford-Kastenwagen schob und sofort losfuhr. Die Hitze hatte nachgelassen, und der Regen fiel in einem heftigen Schauer. Bis zum Morgengrauen waren es noch einige Stunden.

Sie fuhren zu einem auch nachts geöffneten Imbissrestaurant im Village und suchten sich einen freien Tisch.

»Ein Mann wurde getötet«, sagte Tom. Er versuchte noch immer, die Tatsache von Millsteins Tod zu verarbeiten. »Jemand, den ich kannte. Jemand, mit dem ich mal getrunken habe.«

»Das hätten auch Sie selbst sein können«, sagte Archer. »Sie hatten Glück, dass es nicht so war.« Er fügte hinzu: »Deshalb müssen wir schnellstens nach Hause zurückkehren.«

Tom schüttelte den Kopf. Er war viel zu müde und niedergeschlagen, um sich eine vernünftige Entgegnung zu überlegen. Er betrachtete Archer, der ihm gegenübersaß. Doug Archer mit einem Bürstenhaarschnitt und einem gestärkten Hemd und schwarzen Lederschuhen; seine Turnschuhe hatte er offenbar im Jahr 1989 zurückgelassen. »Wie kommt es, dass Sie über alles Bescheid wissen?« Millstein tot, und Doug Archer vor dem Haus auf der Straße. Das war kein Zufall. »Was haben Sie hier eigentlich zu suchen?«

»Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig«, sagte Archer. »Ich hoffe nur, dass wir dafür noch genügend Zeit haben.«

Eine Stunde tickte auf der Wanduhr vorbei, während Archer von Ben Collier, dem Zeitreisenden, dem Wächter, erzählte.

Vieles von dem, was Archer berichtete, klang wenig überzeugend. Tom glaubte es trotzdem. Es hatte sich schon seit Langem an Unglaubliches gewöhnt.

Am Ende von Archers Bericht stützte er den Kopf in seine Hände und bemühte sich, wenigstens eine Andeutung von Ordnung in die soeben erhaltenen Informationen zu bringen. »Sie sind hierhergekommen, um mich zurückzuholen?«