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Er dachte an Barbara, die sich niemals mit der Vergangenheit beschäftigt hatte, sondern nur an die Zukunft dachte… an die Zukunft, in der es keine Sicherheiten gab, sondern nur Möglichkeiten.

Es war überall das Gleiche, dachte Tom. Ob 1962 oder 1862 oder 2062. Jeder Flecken der Welt war übersät mit Gebeinen und Hoffnungen.

Er war unbeschreiblich müde.

Er trat hinaus auf den Flur und sperrte das Apartment ab, in dem sein Glück zu Hause gewesen war, das aber nun leer war. Es wäre besser, wenn er mit Doug im Wagen wartete.

Er verließ das Haus, als ein Taxi am Bordstein anhielt.

Er beobachtete, wie Joyce den Chauffeur bezahlte und in den Regen hinaustrat.

Ihre Kleider waren sofort durchnässt, und das Haar klebte an ihrer Stirn. Ihre Augen waren hinter den vom Regen beschlagenen Brillengläsern nicht zu erkennen.

Es hatte auch geregnet, als sie sich kennenlernten, erinnerte sich Tom, vor zwei Monaten im Park. Sie hatte damals etwas anders ausgesehen. Weniger müde. Weniger verängstigt.

Sie musterte ihn wachsam, dann überquerte sie die Straße. Er legte eine Hand auf ihre nasse Schulter.

Sie zögerte, dann warf sie sich in seine Arme. »Er war tot, Tom«, murmelte sie. »Er lag einfach da und war tot.«

»Ich weiß.«

»Oh Gott. Ich muss schlafen. Ich muss unendlich lange schlafen, nur noch schlafen.«

Sie ging in die Halle. Er hielt sie mit der Hand zurück. »Joyce, das darfst du nicht. Dort drin ist es nicht sicher.«

Sie machte sich von ihm los. Er spürte, wie ihr Körper sich plötzlich spannte, so als wappne sie sich gegen einen neuen Schrecken. »Wovon redest du?«

»Das Ding… der Mann, der Lawrence getötet hat… Ich glaube, er hatte es auf mich abgesehen. Er muss diese Adresse mittlerweile kennen.«

»Ich verstehe das nicht.« Sie ballte die Fäuste. »Was redest du da? Du weißt, wer Lawrence getötet hat?«

»Joyce, das alles zu erklären, würde zu weit führen.«

»Er wurde nicht erstochen, Tom. Er wurde auch nicht erschossen. Er wurde regelrecht verbrannt. Es ist nicht zu beschreiben. Ein riesiges Brandloch klaffte in seinem Körper. Weißt du das auch?«

»Wir können in Ruhe reden, wenn wir einen sicheren Ort gefunden haben.«

»Ist das Ganze noch immer nicht zu Ende? Oh Scheiße, Tom. Ich habe heute Nacht zu viel Hässliches gesehen. Erzähl mir jetzt keinen Scheiß mehr. Du musst ja nicht mit hineingehen, wenn du nicht willst. Aber ich muss schlafen.«

»Hör doch, hör mir zu. Wenn du die Nacht in dieser Wohnung verbringst, könnte es dir so ergehen wie Lawrence. Ich will nicht, dass es so kommt, aber das ist die Realität.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte, ich liebe dich! Ich weiß nicht mal, was du bist!«

»Komm, ich bring dich irgendwohin.«

»Was meinst du mit irgendwohin?«

»Weit weg von hier. Draußen wartet ein Wagen, und darin sitzt ein Freund. Bitte, Joyce.«

Archer schob den Kopf aus dem Seitenfenster des Ford und rief etwas gegen das Rauschen des Regens — die Worte waren nicht zu verstehen —, dann zog er den Kopf zurück und ließ den Motor aufheulen.

Tom fühlte, wie sein Herz heftig klopfte. Er zog Joyce hinter sich her zum Wagen.

Sie sträubte sich und hätte kehrtgemacht, doch ein qualmender Spalt klaffte plötzlich neben ihrer Hand im Beton. Tom starrte ein paar Sekunden lang verständnislos auf die verkohlte Mauer, ehe ihm die Bedeutung dieser Erscheinung klar wurde. Irgendeine Waffe hatte das bewirkt — eine Art Strahlenpistole. Das war zwar absurd, aber durchaus beängstigend. Archer lehnte sich über die Rückenlehne des Beifahrersitzes und stieß die hintere Tür des Wagens auf. Tom schob Joyce darauf zu. Diesmal sträubte sie sich nicht, jedoch war sie zu schockiert, um ihre Beine unter Kontrolle zu bekommen. Sie taumelte in den Wagen, und Tom folgte ihr. Diese Aktion schien eine Ewigkeit zu dauern, und der Regen trommelte auf das Wagendach wie Maschinengewehrfeuer.

Archer lenkte den gemieteten Ford auf die Fahrbahn, ehe Tom die Tür schließen konnte. Er vollführte eine Hundertachtziggradwende und hinterließ Schleuderspuren auf dem Asphalt, wobei die Reifen aufschrien.

Während der Wagen sich drehte, erhaschte Tom einen Blick auf den Mann, der versucht hatte, ihn zu töten.

Wenn »Mann« überhaupt das passende Wort war.

Nicht menschlich, dachte Tom.

Oder, wenn menschlich, dann unter irgendeinem Apparat verborgen, unter einem schnauzenähnlichen Helm, einem alten Mantel, der seinen Rücken bedeckte und im Regen und im Schein einer Straßenlaterne ölig glänzte.

Seine Augen waren durch das Heckfenster des Wagens auf Tom gerichtet. Nichts war von dem Gesicht zu sehen, außer einem breiten, begeisterten Grinsen… das einen Moment später verschwunden war, als Archer den Ford um eine Ecke lenkte.

Sie ließen den Wagen in einer einsamen Straße in der Nähe des Tompkins Square einfach stehen.

Der Himmel schien etwas heller zu sein. Der Regen hatte nachgelassen, aber in den Rinnsteinen sammelte sich das Wasser, und es tropfte auch vom Vordach über der Halle des Mietshauses herab, in dem sich der Tunnel befand.

Tom fasste sich an die Schulter, wo ein furchtbarer Schmerz aufbrandete. Ein Reflex oder ein Streifschuss aus der Waffe des Eindringlings hatte dort eine große Hautfläche verbrannt, auf der sich Blasen bildeten.

Die drei Personen standen für einen Moment ratlos in der Halle.

Tom sagte: »Als wir das letzte Mal hierherkamen, hielt irgendetwas sich im Tunnel auf…«

»Ein Zeitgespenst«, sagte Archer. »Sie sind nicht richtig gefährlich. So hat man es mir erklärt.«

Tom bezweifelte das, ließ es aber auf sich beruhen. »Doug, was ist, wenn er hinter uns herkommt? Es gibt nichts, was ihn aufhalten könnte, oder doch?« Er legte einen Arm um Joyce, die völlig benommen und passiv an seiner Schulter lehnte.

»Er könnte es tun«, gab Archer zu. »Aber wir wissen jetzt, was wir zu erwarten haben. Er kann uns nicht mehr überrumpeln. Das Haus ist eine Festung. Bereite dich darauf vor, dass du es vielleicht nicht wiedererkennst.«

»Demnach ist es noch nicht vorbei«, mutmaßte Tom.

»Nein«, sagte Archer. »Es ist nicht vorbei.«

»Dann sollten wir uns beeilen.«

Tom führte sie in den Keller hinunter, kletterte über den Geröllhaufen und ging durch einen leeren Raum voraus in die Zukunft.

17

Er schlief zwölf Stunden lang in einem Bett, das er niemals als sein eigenes betrachtet hatte. Als er aufwachte, sah er eine fremde Frau, die auf ihn herabblickte.

Zumindest eine unbekannte Frau, dachte Tom — mit dem Wort »fremd« ging er in letzter Zeit etwas sparsamer um.

Sie saß in einem Sessel neben dem Bett und hatte ein Taschenbuch, offenbar einen Liebesroman, in der Hand. Sie legte das Buch aufgeschlagen auf ihre Knie. »Sie sind ja wach«, stellte sie fest.

Noch nicht ganz. »Kenne ich Sie?«

»Nein, noch nicht. Ich bin Ihre Nachbarin. Catherine Simmons. Ich wohne in dem großen Haus oben am Highway.«

Er ordnete seine Gedanken. »Mrs. Simmons, die ältere Frau. Sind Sie ihre Enkelin?«

»Richtig! Sie kannten Grandma Peggy?«

»Ich habe ihr ein- oder zweimal zugewunken. Hab ihr immer die Zeitung gebracht, als ich zwölf Jahre alt war.«

»Sie ist im Juni gestorben… ich bin hierhergekommen, um mich um alles Notwendige zu kümmern.«

»Oh. Das tut mir leid.«

Er sah sich in dem Zimmer um. Das gleiche Zimmer, das gleiche Haus, nicht sehr verändert, zumindest nicht diese Ecke.

Er erinnerte sich nicht, wie er hierhergekommen war. Die Schulterwunde hatte nicht nur Schmerzen verursacht, sondern ihn völlig bewegungsunfähig gemacht, und er hatte die letzten fünfzig Meter des Tunnels mit geschlossenen Augen zurückgelegt, wobei Doug Archer ihn stützen musste.