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Glasscherben regneten auf die Wiese herab. Sie bildeten einen glitzernden Schauer im grellen Licht der Sicherheitsleuchten.

Tom zog sich einen Schritt in den Schutz des Waldes zurück. Er bemerkte, dass Joyce seinem Beispiel folgte.

Aber es gab keinen richtigen Rückzug.

Hier war der absolute Mittelpunkt des Geschehens, die absolute Gegenwart, dachte Tom, und man konnte nichts anderes tun, als sich ihr zu unterwerfen.

21

Ben stand ruhig da und ertrug gelassen die Detonation der Granate. Es war eine EM-Impulsbombe und für den Eindringling weniger nützlich, als er es in Erinnerung hatte. Die kybernetischen Helfer waren dagegen gewappnet. Der Impuls pflanzte sich über die Kellertreppe nach oben fort und sprengte die Fenster aus den Rahmen. Ben spürte die Detonation als einen Schwall warmer Luft und einen Druck auf den Ohren. Er stand mit dem Rücken zur Tür, stützte sich auf sein gesundes Bein und beobachtete die Treppe.

Er bezweifelte nicht, dass der Eindringling ihn töten konnte. Der Eindringling hatte ihn schon einmal getötet und war sicherlich fähig, es ein zweites Mal zu tun — dann vielleicht endgültig. Aber er hatte keine Angst vor dem Tod. Er hatte zumindest einen Eindruck von seinen Grenzgebieten gewonnen. Ein kalter Ort, einsam, in großer Tiefe, aber nicht besonders Furcht einflößend. Er hatte Angst, sein Leben zurückzulassen… aber selbst diese Furcht war weniger bedrückend, als er erwartet hatte. Er hatte schon viele Dinge zurückgelassen. Zum Beispiel hatte er sich von seinem Leben in der Zukunft getrennt. Er hatte die Frau beerdigt, mit der er dreißig Jahre lang zusammengelebt hatte, lange bevor er von der Existenz fraktaler, verknüpfter Zeit auch nur zu träumen gewagt hatte. Verlust und Verzicht waren ihm nicht fremd.

Er war am Ende eines Lebens rekrutiert worden, mit dem er sich bereits arrangiert hatte. Vielleicht war das die Grundvoraussetzung. Die Zeitreisenden schienen das alles von ihm gewusst zu haben. Ben erinnerte sich an ihre kühlen, unbeweglichen Augen. Sie erschienen aufgrund einer höflichen Geste gegenüber den Wächtern in menschlicher Form, aber Ben hatte ihre Fremdheit unter der Tarnung erahnt. Unsere Nachfahren, hatte er gedacht, ja, unsere Kinder in einem sehr realen Sinn… aber von uns getrennt durch einen unvorstellbar großen Ozean von Jahren.

Er lauschte auf das Geräusch der Schritte, die die Treppe heraufkamen. Er hoffte, dass Catherine Simmons und die anderen sich außerhalb des Hauses postiert hatten… und er hoffte noch inbrünstiger, dass sie nicht gebraucht würden. Er hatte sich freiwillig gemeldet, diesen Stützpunkt zu verteidigen.

Aber die Nanomechanismen verrichteten bereits ihr Werk im Körper des Eindringlings. Ben spürte, wie sie tätig waren.

Er fühlte sie, während der Eindringling die mit Teppich belegten Stufen heraufstampfte. Ben sah ihn herankommen. Der Eindringling bewegte sich langsam. Sein Sichtgerät verfolgte Ben mit geölter Präzision.

Er bot einen atemberaubenden Anblick. Ben hatte sich intensiv mit den Bürgerkriegen des einundzwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt, hatte einen solchen Mann schon mal gesehen und wusste, was er zu erwarten hatte. Trotzdem war er zutiefst beeindruckt. Die Verbindung von Mensch und Mechanik stellte die Zukunft der Menschheit dar, aber dies hier war eine sterile Mutation. Ein wechselseitiges Schmarotzertum, das von außen aufgezwungen worden war. Die Rüstung war keine Hilfe, keine Verbesserung oder Steigerung, sondern sie war eine grausame Prothese. Infanterieärzte hatten diesem Mann die Fähigkeit zu wertfreiem Vergnügen genommen. Sie hatten sein Alltagsleben zu einer eintönigen Heuchelei gemacht, hatten jegliche Begierde mit dem Kampf verbunden.

Der Eindringling, nicht sehr groß, kam mit geschmeidigen, schnellen Bewegungen die Treppe herauf. Dann geschah etwas Ungewöhnliches.

Er stolperte.

Er sank auf ein Knie und blickte hoch.

Ben spürte, wie die Nanomechanismen in diesem Mann arbeiteten. Lebenswichtige Verbindungen wurden durchtrennt, Schaltstellen überhitzt, Redundanzen nahmen übermäßig zu… »Wie heißt du?«, fragte Ben mit sanfter Stimme.

»Billy Gargullo«, antwortete der Eindringling und feuerte einen Strahl aus seiner Handgelenkwaffe ab.

Aber der Eindringling war langsam, und Ben, sensibilisiert, erahnte die Aktion und wich aus.

Er feuerte seine eigene Waffe ab. Der gebündelte Impuls, unsichtbar, schien Billy Gargullo nach vorne zu reißen und niederzuwerfen. Seine Rüstung zog sich krampfartig um ihn zusammen wie eine Faust. Er stürzte, bäumte sich einmal auf… Dann nutzte er seinen Schwung aus, als die Rüstung sich entspannte, um seinen Arm nach vorne pendeln zu lassen.

Dies war eine Geste, mit der Ben nicht gerechnet hatte. Er duckte sich, aber nicht schnell genug. Die Strahlenwaffe schnitt eine qualmende Furche quer über seinen Leib.

Ben ließ sich fallen und rollte über den Fußboden, um seine brennende Kleidung zu löschen, dann stellte er fest, dass er sich nicht mehr aufrichten konnte. Er war nahezu in zwei Hälften zerschnitten worden.

Wertvolle Sekunden verstrichen. Ben spürte, wie seine Wachsamkeit abnahm. Eine Woge von kybernetischen Helfern strömte aus den Wänden hervor, bedeckte die Wunde, verschloss sie. Durchtrennte Arterien versiegelten sich von innen. Für einen kurzen Moment stieg sein Blutdruck auf einen halbwegs normalen Wert. Seine Sicht klärte sich.

Ben richtete sich auf, stützte sich auf die Ellbogen und suchte tastend nach seiner Waffe.

Er fand sie, brachte sie in Anschlag…

Aber Billy hatte den Raum bereits verlassen.

22

Als er das Ende der Kellertreppe erreicht hatte, nahm Billy an, dass er sterben würde.

Er wusste, dass seine Rüstung von innen heraus allmählich zerfiel. Sein Sichtgerät lieferte ihm hellrote Zahlen und am laufenden Band Katastrophenmeldungen über seinen Zustand. Er fühlte sich von sich selbst abgetrennt, losgelöst, als schwebe er über seinem eigenen Körper wie ein Vogel.

Dies geschah völlig unerwartet. Es war ein völlig fremdes Gefühl und zweifelsfrei feindlich. Aber er ließ sich dadurch nicht aufhalten.

Er stieg die Treppe hoch, war immer noch funktionsfähig, wurde jedoch von fremdartigen Empfindungen überschwemmt: blitzartige Schübe panischer Angst, durchwoben von bläulichen Schuldreflexen. Billy hatte immerhin noch einen hinreichend klaren Kopf, um zu erkennen, dass er in eine Falle getappt war; dass sein Opfer, der Zeitreisende, sich irgendwie an seiner Rüstung zu schaffen gemacht hatte. In seinen Ohren hallte ein ständiger schriller Warnton, und das Diagnoseprogramm in seinem Sichtgerät produzierte einen ganzen Katalog von bedeutenden und unbedeutenden Fehlleistungen und Funktionsstörungen. Bisher arbeitete die Drüse im Deckflügel noch — wenn auch unregelmäßig —, und seine Waffen waren einsatzfähig. Aber er war verletzbar, und er war langsam, und es dauerte möglicherweise nicht mehr allzu lange, bis er völlig hilflos wurde.

Nichts von alledem minderte Billys Entschlossenheit. Da sie seine Panik registrierte, schleuste Billys Rüstung wirkungsvolle neue Moleküle in seinen Blutkreislauf. Der Tötungsdrang, der sich in der Vergangenheit so stark bemerkbar gemacht hatte, entfaltete sich zu etwas Neuem und Intensiverem: zu einem qualvollen Bedürfnis.

Am oberen Ende der Treppe sah er sich einem Mann gegenüber, den er schon einmal getötet hatte, einem Zeitreisenden. Billy interessierte sich nicht für die Umstände seiner Auferstehung, sondern beschloss einfach, den Mann erneut zu töten, sooft es nötig wäre. Eine kurzzeitige Schwankung bewirkte, dass er nach vorne kippte. Er stürzte, schaute hoch, und der Zeitreisende fragte nach seinem Namen. Billy antwortete, ohne nachzudenken, und erschrak beim Klang seiner eigenen Stimme.

Dann hob er seine Handgelenkwaffe. Aber das Chaos in seinem Inneren behinderte ihn und verlangsamte seine Bewegungen, und der Zeitreisende konnte in Ruhe zielen und seine eigene Waffe abfeuern, ein Strahlengerät, das Billys Rüstung kurzzeitig in einen Krampfzustand versetzte, sodass Billy in lächerlicher Hilflosigkeit taumelte und hinfiel, ähnlich einer Statue, die von ihrem Sockel herunterkippt.