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»Du bist weggegangen«, sagte er. »Ehe ich die Chance hatte, mich von dir zu verabschieden.«

»Ich bin verschwunden, sobald ich wusste, dass es dir gutgeht. Willst du wissen, warum?« Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und blickte in den blauen Septemberhimmel. »Ich bin weggegangen, weil ich der Verbindung zwischen uns nicht getraut habe. Ich bin weggegangen, weil ich hier keine Laune der Natur sein wollte… oder dich dort zu einer solchen machen wollte. Ich bin weggegangen, weil ich Angst hatte und nach Hause zurück wollte.

Ich bin gegangen, weil Ben mir mitteilte, der Tunnel würde in Ordnung gebracht, und die Wahl, die ich treffen würde, müsste meine letzte sein. Daher… zurück nach Manhattan, zurück ins Jahr 1962. Man denkt immer, dass man von vorne anfangen kann, aber am Ende stellt sich heraus, dass es nicht geht. Lawrence ist tot. Das hat einiges verändert. Und ich war hier gewesen, ich konnte einen Blick in die Zukunft werfen. Und selbst ein ganz winziger, kurzer Blick verändert einen. Zum Beispiel, erinnerst du dich an Jerry Soderman? Der Bücher schrieb, die niemand veröffentlichen wollte? Er machte seinen Weg als Lektor, wurde tatsächlich in den Siebzigerjahren gedruckt — literarische Romane, die kaum jemand las, aber er war richtig stolz auf sie. Zwei Monate nachdem ich zurückgekommen war, erzählt Jerry mir, dass er schwul ist; er wolle es nicht mehr verbergen, sondern ganz offen zugeben. Schön, aber der einzige Gedanke, den ich hatte, war: Hey, Jerry, ab 1976 oder so solltest du aber vorsichtig sein, was du treibst. Ich habe ihn tatsächlich in der Zeit angerufen, hatte Jahre nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich sagte, Jerry, es gibt da eine Krankheit, und ich kann dir verraten, wie du dich davor schützt. Er sagte, nein, so etwas gibt es nicht, und woher willst du das denn so genau wissen? Wie dem auch sei… Jerry ist vor zwei Jahren gestorben.«

»Das tut mir leid«, sagte Tom.

»Es ist nicht deine Schuld, nicht seine Schuld und nicht meine Schuld. Der Punkt ist der, ich konnte einfach nicht zurücklassen, was mit dir und mir und diesem Ort passiert ist. Ich habe es versucht! Und wie ich es versucht habe. Ich habe jede Anstrengung unternommen, es zu vergessen, und ich habe mein Leben gelebt. Ich war fünf Jahre lang verheiratet. Ein netter Kerl, eine schlechte Ehe. Ich hab eine Zeit lang als Backup-Sängerin gearbeitet, aber das war nicht sehr schön… Dann habe ich getrunken, wodurch meine Stimme ruiniert wurde. Und, weißt du, ich bin für die Bürgerrechte, gegen den Krieg, für saubere Luft auf die Straße gegangen. Als sich alles etwas beruhigte, nahm ich einen Job als Sekretärin in einem Anwaltsbüro in der Stadt an. Acht Stunden am Tag, ein regelmäßiger Gehaltsscheck, Jahresurlaub, und ich wäre auch heute noch dort, wenn ich nicht gekündigt hätte und in den Westen gekommen wäre. Es ist schon erstaunlich. Immer wieder habe ich mir geschworen, es nicht zu tun. Was hier geschehen war, war beendet, abgeschlossen. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Aber ich erinnerte mich an das Datum auf der Zeitung, die ich in deinem Garten gelesen hatte. Jeden August habe ich den Tag gefeiert, wenn man es so nennen will. Dann, in den letzten beiden Jahren, begann ich Kalender in der gleichen Weise anzustarren, wie man es mit Uhren tut. Ich verfolgte, wie das Datum immer näher rückte. Am Silvesterabend im vergangenen Winter saß ich allein zu Hause, eine einsame Frau, die auf das halbe Hundert zuging. Ich köpfte eine Flasche Champagner und sagte um Mitternacht: Scheiß drauf, ich gehe.

Ich kaufte sechs Monate im Voraus Flugtickets. Sagte Bescheid. Ich weiß nicht, was ich zu finden hoffte oder erwartete, aber ich wünschte es mir so sehr. Nun, der Flug wurde verschoben. Ich bekam auf O’Hare keinen Anschluss, und ich musste die Nacht im Flughafen verbringen. Als ich nach Seattle kam, war es bereits Vormittag. Die Zeitung, es war die, an die ich mich erinnerte, lag in den Kästen. Ich mietete einen Wagen und fuhr zu schnell zur Küste hinunter. Ich hatte eine Panne und brauchte ziemlich lange, um den Reifen zu wechseln. Dann kam ich nach Belltower und konnte das Haus nicht finden. Ich konnte mich noch nicht einmal an den Namen der Straße erinnern. Ich glaube, ich erwartete, irgendwelche Schilder zu finden: BITTE HIER ENTLANG ZUR ZEITMASCHINE. Ich erkundigte mich in zwei Tankstellen, schaute auf einer Landkarte nach, bis ich glaubte, mir fielen die Augen aus dem Kopf. Schließlich machte ich an einem kleinen Imbissrestaurant halt, das auch nachts geöffnet hatte. Ich bestellte Kaffee, und als die Serviererin kam, fragte ich sie, ob sie jemanden namens Tom Winter oder Cathy Simmons kenne, und sie verneinte, sagte aber, draußen an der Post Road wohne eine Peggy Simmons und die habe wohl eine Enkelin namens Cathy, aber genau wisse sie das nicht. Ich gab ihr einen Zwanziger und kam schnellstens hierher. Erwischte diesen Kerl, der plötzlich vor meinen Scheinwerfern auftauchte, und ich konnte nicht anders, Tom… Nach all den Jahren sah er noch immer aus wie der leibhaftige Tod. Ich dachte daran, wie Lawrence in seinem billigen Sarg in irgendeiner traurigen Leichenhalle in Brooklyn lag, wo seine Eltern lebten, und es tat noch immer weh, nach all den Jahren. Daher riss ich das Lenkrad herum. Ich habe geweint, als ich ihn rammte.«

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Tom.

»Ich hab dir das Leben gerettet, bin die Straße hinuntergefahren und habe mir ein Hotelzimmer genommen und saß bis zum Mittag des nächsten Tages zitternd im Bett. Um diese Zeit war mein jüngeres Ich nach Hause gegangen.«

»Dann bist du zurückgekommen«, sagte Tom.

»Ich habe Doug und Cathy einen heillosen Schrecken eingejagt. Ben schien aber nicht sehr überrascht zu sein.«

»Du wolltest noch irgendetwas.«

»Ich weiß nicht, was ich wollte. Ich glaube, ich wollte dich nur sehen. Einfach anschauen. Ergibt das irgendeinen Sinn? Fast dreißig Jahre lang habe ich immer wieder an dich gedacht. Daran, was wir waren, was wir hätten sein können. Ob ich dich wegen all dem lieben oder hassen sollte.«

Er hörte die Traurigkeit in ihrer Stimme. »Bist du zu einem Schluss gekommen?«

»Nein, das bin ich nicht. Es sind alles nur Erinnerungen. Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«

»Ich bin es, der sich entschuldigen sollte.«

Er lenkte den Wagen auf den Parkplatz hinter dem Lebensmittelladen und parkte dort, wo ein Sonnenstrahl durch eine Gruppe hoher Kiefern drang. Tom entschied, dass diese Frau Joyce war, völlig zweifelsfrei Joyce, trotz aller Veränderungen. Dass er erneut einem Wunder begegnet war, so mitleidslos und seltsam wie alle anderen.

Sie blinzelte ihn im hellen Sonnenlicht an und lächelte. »Catherine sagte, es gebe hier Pflanzensamen im Sonderangebot. Es ist zwar zu spät, um im Garten noch zu säen, aber der Samen hält sich, wenn man ihn in den Kühlschrank legt.«

»Samen für Ben? Er hat immer von einem Garten gesprochen.«

»Für mich. Ich bleibe vielleicht hier. Ben hat mir einen Job angeboten.« Sie hielt inne. »Seinen Job.«

Tom schaltete die Zündung aus und sah sie verständnislos an. »Was meinst du?«

»Er kehrt nach Hause zurück. Ich glaube, er hat es verdient, meinst du nicht? Er hat mich als Ablösung empfohlen. Seine Chefs waren einverstanden.«

Er überlegte einen Moment lang. »Willst du das wirklich?«

»Ich denke schon. Ben sagt, es ist eine einsame Arbeit. Vielleicht brauche ich so etwas für eine Weile.«

»Und wie lange soll die Weile dauern?«

»Acht Jahre. Dann wird die Station geschlossen. Dann gibt es im Keller nichts anderes als Gipswände. Ein unheimlicher Gedanke, nicht wahr?«

Acht Jahre, dachte Tom. 1997. Kurz vor der Jahrtausendwende.

»Ich schaffe acht Jahre«, sagte sie. »Ein Klacks.«

»Und was dann? Gehst du in Rente?«

»Sie überarbeiten mich. Machen mich wieder jung.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht jung, das ist das falsche Wort. Sie machen meinen Körper jung. Aber ich werde dann fast sechzig sein, gleichgültig, wie ich aussehe. Damit klarzukommen wird vielleicht etwas schwierig. Ich glaube, dass es nichts ausmacht. Innerlich ist man weder jung noch alt, sondern einfach man selbst, stimmt’s? Ich werde nicht gerade ein ausgelassenes junges Mädchen sein, aber ich werde auch nicht wie ein Monstrum erscheinen. Jedenfalls nehme ich das an.«