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Statt einer Antwort beugte Alec sich hinab und nahm Magnus an den Händen. Verwundert ließ der Hexenmeister sich hochziehen, doch bevor er etwas sagen konnte, zog Alec ihn fest an sich und küsste ihn. Magnus stöhnte leise auf, packte die Rückseite von Alecs T-Shirt, zupfte es hoch und fuhr mit seinen kühlen Fingern über Alecs Rückgrat, woraufhin Alec sich noch enger an ihn drückte und Magnus mit seinem Körper gegen die Tischkante presste. Nicht, dass dieser etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte.

»Komm«, murmelte Alec Magnus ins Ohr. »Es ist spät. Lass uns ins Bett gehen.«

Magnus biss sich auf die Lippe und warf einen Blick über die Schulter, auf die Papiere und Zettel auf dem Tisch mit den uralten Silben in längst vergessenen Sprachen. »Warum gehst du nicht schon vor?«, meinte er. »Ich komm gleich nach – gib mir fünf Minuten.«

»Okay.« Alec richtete sich auf, wohl wissend, dass aus den fünf Minuten leicht fünf Stunden werden konnten, wenn Magnus in seine Arbeit vertieft war. »Dann bis gleich.«

»Pst.« Clary presste einen Finger an ihre Lippen, während sie die Eingangstür von Lukes Haus aufschloss und Simon mit einer Handbewegung aufforderte vorzugehen. Im Flur brannte kein Licht und auch das Wohnzimmer lag dunkel und still vor ihnen. Clary scheuchte Simon in ihr Zimmer und lief dann rasch in Richtung Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Doch plötzlich erstarrte sie.

Die Stimme ihrer Mutter drang in den Flur und Clary konnte die Anspannung darin hören. So wie Jace’ spurloses Verschwinden Clarys größte Schreckensvision war, durchlitt auch Jocelyn gerade ihren schlimmsten Albtraum. Die Tatsache, dass ihr Sohn lebte und draußen in der Welt herumlief, buchstäblich zu allem fähig, schien sie innerlich zu zerreißen.

»Aber der Rat hat sie freigesprochen«, erwiderte Luke mit bemüht gesenkter Stimme auf der anderen Seite der Schlafzimmertür. »Man wird sie nicht bestrafen.«

»Das ist alles nur meine Schuld.« Jocelyn klang gedämpft, als hätte sie den Kopf an Lukes Schulter gedrückt. »Wenn ich diese… diese Kreatur nicht zur Welt gebracht hätte, dann würde Clary das jetzt nicht durchstehen müssen.«

»Aber du hast doch nicht wissen können…« Lukes Stimme ging in ein leises Murmeln über.

Obwohl Clary wusste, dass er recht hatte, verspürte sie eine plötzlich aufflackernde Wut auf ihre Mutter. Jocelyn hätte Sebastian schon in der Krippe töten sollen, ehe er auch nur die Chance hatte, aufzuwachsen und ihr aller Leben zu ruinieren. Im nächsten Moment war sie über sich selbst entsetzt, dass sie so etwas auch nur denken konnte. Abrupt machte sie kehrt, stürmte in ihr Zimmer am anderen Ende des Hauses und schloss die Tür so sorgfältig hinter sich, als würde sie verfolgt.

Simon, der auf dem Bett saß und auf seiner Nintendo DS spielte, schaute überrascht auf. »Alles klar bei dir?«

Clary versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Simon war ein vertrauter Anblick in diesem Raum – schließlich hatten sie schon seit ihrer Kindheit gemeinsam in Lukes Gästezimmer übernachtet. Clary hatte sich nach Kräften bemüht, dem Raum eine persönliche Note zu geben und zu ihrem Zimmer zu machen: Fotos von ihr und Simon, von den Lightwoods, von Jace und von ihrer Familie steckten wahllos im Rahmen des Spiegels über der Frisierkommode. Luke hatte ihr ein Zeichenbrett geschenkt und ihre Malutensilien lagen ordentlich sortiert in den Fächern des kleinen Wandregals. Außerdem hatte Clary ein paar Poster ihrer Lieblings-Animes aufgehängt: Fullmetal Alchemist, Rurouni Kenshin, Bleach.

Es gab auch zahlreiche Beweise für ihr jetziges Leben als Schattenjägerin: eine dicke Ausgabe des Codex mit ihren handschriftlichen Anmerkungen und Skizzen am Rand, ein ganzes Regalbrett mit Büchern zu okkulten und paranormalen Themen, ihre Stele auf ihrem Schreibtisch und ein neuer Globus, den Luke ihr geschenkt hatte und der Idris in Gold gefasst im Zentrum Europas zeigte.

Simon, der jetzt im Schneidersitz auf dem Bett hockte, zählte zu den wenigen Dingen, die sowohl zu Clarys altem als auch zu ihrem neuen Leben gehörten. Fragend musterte er sie mit seinen dunklen Augen, die sein Gesicht noch blasser erscheinen ließen; das Kainsmal auf seiner Stirn war kaum zu erkennen.

»Meine Mom…«, setzte Clary an und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. »Es geht ihr echt nicht gut.«

»Ist sie denn nicht erleichtert? Ich meine, weil man dich von allen Vorwürfen freigesprochen hat?«

»Sie kommt einfach nicht über Sebastian hinweg… Sie gibt sich an allem die Schuld.«

»Aber das war doch nicht ihr Fehler, dass er sich so entwickelt hat. Dafür trägt Valentin die Verantwortung.«

Clary schwieg. Sie erinnerte sich wieder an den fürchterlichen Gedanken, der eben in ihr hochgekommen war: Ihre Mutter hätte Sebastian direkt nach der Geburt töten sollen.

»Ihr beide fühlt euch schuldig für Dinge, die ihr nicht in der Hand habt«, sagte Simon. »Du machst dir Vorwürfe, weil du Jace allein auf der Dachterrasse zurückgelassen hast…«

Ruckartig hob Clary den Kopf und sah Simon scharf an. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie ihm gegenüber erwähnt hatte, sich die Schuld an Jace’ Verschwinden zu geben. »Ich hab doch nie…«

»Aber du kannst es auch nicht leugnen«, entgegnete Simon. »Der entscheidende Punkt ist doch: Ich habe Jace ebenfalls da oben zurückgelassen, genau wie Isabelle und Alec… und Alec ist sein Parabatai. Wir hätten unmöglich vorhersehen können, was passieren würde. Wenn du geblieben wärst, wäre das Ganze vielleicht sogar noch schlimmer geworden.«

»Vielleicht.« Clary wollte nicht darüber reden. Sie wich Simons Blick aus und ging ins Bad, um ihren flauschigen Pyjama anzuziehen und sich die Zähne zu putzen. Sorgfältig vermied sie jeden Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Sie hasste es, dass sie so blass aussah und dunkle Ringe unter den Augen hatte. Missmutig riss sie sich zusammen: Sie war stark und sie würde nicht zusammenbrechen. Denn sie hatte einen Plan. Auch wenn dieser Plan ein wenig verrückt war und etwas mit einem Diebstahl im Institut zu tun hatte.

Als sie fertig war, band sie ihre lockigen Haare zu einem Pferdeschwanz und trat genau in dem Moment aus dem Bad, als Simon eine Flasche in seine Kuriertasche zurückgleiten ließ – zweifellos das Blut, das er bei Taki’s gekauft hatte. Clary ging zum Bett und zerzauste ihm die Haare. »Du kannst die Flaschen gern in den Kühlschrank stellen«, meinte sie. »Falls du es nicht lauwarm trinken magst.«

»Ehrlich gesagt, ist eiskaltes Blut noch schlimmer als lauwarmes. Es schmeckt am besten aufgewärmt, aber ich glaub nicht, dass deine Mom sehr begeistert wäre, wenn ich dafür einen ihrer Töpfe verunstalte.«

»Hat Jordan was dagegen?«, hakte Clary nach und fragte sich, ob Jordan sich überhaupt noch daran erinnerte, dass Simon bei ihm wohnte. In der vergangenen Woche hatte Simon jede Nacht bei ihr verbracht. In den ersten Nächten nach Jace’ Verschwinden hatte sie nicht schlafen können. Obwohl sie sich fünf Decken über den Kopf gezogen hatte, wollte ihr einfach nicht warm werden. Zitternd lag sie wach und stellte sich vor, wie eiskaltes Blut träge durch ihre Adern floss und Eiskristalle langsam ein korallenartiges Gebilde um ihr Herz bildeten. Schwarze Ozeane, Treibeis und gefrorene Seenplatten beherrschten ihre Träume – und Jace, dessen Gesicht stets hinter Schatten, einer Atemwolke oder seinen eigenen schimmernden Haaren verborgen lag, während er sich von ihr abwandte. Und obwohl Clary vor Erschöpfung immer wieder die Augen zufielen, schreckte sie jedes Mal nach wenigen Minuten wieder hoch, weil sie im Traum zu ertrinken drohte.

Am ersten Tag der endlosen Befragungen war sie von der Ratssitzung ausgelaugt nach Hause zurückgekommen und sofort ins Bett gefallen. Doch sie hatte nicht schlafen können, bis sie irgendwann ein Klopfen an ihrer Scheibe hörte. Kurz darauf war Simon durch ihr Fenster geklettert, wobei er beinahe kopfüber auf ihren Zimmerboden gestürzt wäre. Wortlos hatte er sich neben sie ins Bett gelegt. Seine Haut war kalt gewesen und er hatte nach Stadtluft und erstem Nachtfrost gerochen.