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Clary hatte sich schweigend an seine Schulter gekuschelt, woraufhin die Anspannung, die ihren Körper fest im Griff hielt, sich etwas löste. Simons Hand war zwar kühl, aber auch vertraut, genau wie das Gewebe seiner Cordjacke an ihrem Arm.

»Wie lange kannst du bleiben?«, fragte sie in die Dunkelheit.

»So lange du willst.«

Clary drehte sich auf die Seite und sah ihn an. »Hat Izzy denn nichts dagegen?«

»Sie hat mich zu dir geschickt. Denn sie meinte, du könntest nicht schlafen – und wenn du dich durch meine Anwesenheit besser fühlst, kann ich die ganze Nacht bleiben. Oder wenigstens so lange, bis du einschläfst.«

Erleichtert atmete Clary auf. »Bleib die ganze Nacht. Bitte.«

Und Simon war geblieben. In jener Nacht hatte sie zum ersten Mal keine Albträume gehabt.

Solange Simon an ihrer Seite lag, war ihr Schlaf traumlos und leer, ein dunkler Ozean des Nichts. Ein Zustand schmerzloser Bewusstlosigkeit.

»Das Blut ist Jordan ziemlich egal«, sagte Simon nun. »Er interessiert sich in erster Linie dafür, dass ich mit mir selbst im Reinen bin, mit dem, was ich bin. Ich soll mit meinem inneren Vampir in Kontakt treten, blablabla.«

Langsam krabbelte Clary neben Simon auf das Bett, nahm ein Kissen und drückte es an sich. »Unterscheidet sich dein innerer Vampir denn von deinem… äußeren?«

»Definitiv. Er will, dass ich bauchnabelfreie T-Shirts und so einen Mafia-Hut trage. Aber ich kämpfe dagegen an.«

Clary lächelte matt. »Dann ist dein innerer Vampir also wie Magnus?«

»Warte, da fällt mir was ein.« Simon wühlte in seiner Kuriertasche, holte zwei Mangas hervor und wedelte damit triumphierend vor Clarys Nase herum. »Magical Love Gentleman Band fünfzehn und sechzehn«, verkündete er. »Überall ausverkauft; hab die letzten bei ›Midtown Comics‹ ergattert.«

Clary nahm die beiden Hefte und betrachtete die bunten Cover. Vor nicht allzu langer Zeit wäre sie vor Begeisterung laut jubelnd durchs Zimmer gehüpft; aber jetzt brachte sie nur noch ein Lächeln und ein »Danke« zustande. Doch dann ermahnte sie sich, dass Simon extra die Mühe auf sich genommen hatte, die Mangas für sie zu besorgen – selbst wenn sie sich im Moment überhaupt nicht vorstellen konnte, sich mit Lesen abzulenken. »Du bist der Beste«, sagte sie und stupste ihn mit der Schulter an. Simon war ein echter Freund. Dann lehnte sie sich in die Kissen zurück, die Mangas auf dem Schoß. »Und nochmals danke dafür, dass du zum Lichten Hof mitgekommen bist. Ich weiß, dass der Ort bei dir miese Erinnerungen weckt, aber… zusammen mit dir fühle ich mich einfach immer stärker.«

»Das war klasse, wie du die Königin rumgekriegt hast.« Simon rutschte neben Clary, sodass sich ihre Schultern berührten und beide an die Decke starrten, mit den vertrauten Rissen und den alten, selbstklebenden Leuchtsternen, die längst nicht mehr strahlten. »Und, wirst du das wirklich machen? Die Ringe für die Königin stehlen?«, fragte er.

»Ja.« Clary ließ den angehaltenen Atem aus ihrer Lunge entweichen. »Morgen Mittag. Dann findet eine interne Sitzung der Division statt, an der alle teilnehmen werden. Der perfekte Moment, um zuzuschlagen.«

»Das gefällt mir nicht, Clary.«

Sofort spürte Clary, wie sich ihr Körper anspannte. »Was gefällt dir nicht?«

»Dass du irgendwas mit dem Lichten Volk zu tun hast. Feenwesen sind Lügner.«

»Sie können nicht lügen.«

»Du weißt, was ich meine. ›Feenwesen sind Täuscher‹ klingt halt irgendwie lahm.«

Clary drehte den Kopf und schaute Simon an, während ihr Kinn an seinem Schlüsselbein ruhte. Automatisch legte er den Arm um ihre Schultern und zog sie näher an sich. Sein Körper war kühl, sein T-Shirt noch feucht vom Regen und seine sonst glatten Haare vom Wind zerzaust. »Glaub mir, ich bin auch nicht scharf darauf, mit dem Lichten Hof zusammenarbeiten zu müssen. Aber dasselbe würde ich auch für dich tun«, erwiderte Clary. »Und du würdest es für mich tun, oder etwa nicht?«

»Natürlich würde ich das. Aber das Ganze ist trotzdem eine miese Idee.« Simon drehte den Kopf und sah sie an. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Als mein Vater gestorben ist…«

Erneut versteifte sich Clarys Körper. »Jace ist nicht tot.«

»Ich weiß. Das wollte ich ja auch gar nicht sagen. Es ist nur so… du brauchst nicht zu sagen, dass du mit mir stärker bist als ohne mich. Denn ich bin doch immer bei dir. Der Kummer gibt dir das Gefühl, allein zu sein, aber das bist du nicht. Ich weiß, du glaubst nicht an… an Religion, so wie ich, aber du kannst doch wenigstens glauben, dass du von Menschen umgeben bist, die dich lieben, oder?« Hoffnungsvoll schaute er sie aus großen Augen an, die noch immer denselben dunkelbraunen Farbton besaßen wie früher, gleichzeitig aber auch anders wirkten… als wäre eine neue Schicht hinzugekommen. Genau wie seine Haut gleichzeitig porenfrei und durchscheinend wirkte.

Ich glaube es ja, dachte Clary. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das eine Rolle spielt. Sanft stupste sie ihn wieder mit der Schulter an. »Hör mal, kann ich dir eine Frage stellen? Es ist zwar persönlich, aber auch ziemlich wichtig.«

Vorsichtig fragte Simon: »Worum geht’s?«

»Diese ganze Kainsmal-Geschichte… wenn ich dich also jetzt versehentlich im Schlaf trete, wird mir dann eine unsichtbare Kraft sieben Mal gegen das Schienbein treten?«, fragte Clary und spürte, wie er leise lachte.

»Schlaf endlich, Fray.«

3

Gefallene Engel

»Mann, ich dachte schon, du hättest total vergessen, dass du noch hier wohnst«, sagte Jordan in dem Moment, in dem Simon mit dem Hausschlüssel in der Hand das Wohnzimmer ihres kleinen Appartements betrat. Normalerweise lümmelte Jordan immer auf dem Futonsofa herum, die langen Beine über der Seitenlehne und den Controller der Xbox in Reichweite. Und auch heute befand er sich auf seinem Lieblingsplatz – allerdings saß er diesmal aufrecht auf dem Sofa, die breiten Schultern leicht nach vorn gebeugt und die Hände in den Taschen, die Fernbedienung war nirgends zu sehen. Bei Simons Anblick wirkte er erleichtert – und einen Augenblick später wusste Simon auch, wieso.

Jordan war nicht allein. Ihm direkt gegenüber, in einem orangefarbenen Sessel mit genopptem Samtpolster – der genau wie die anderen Möbel in Jordans Wohnung nicht zum Rest der Einrichtung passte – saß Maia, die wild gelockten Haare zu zwei Zöpfen gezähmt. Bei ihrer letzten Begegnung auf Jocelyns und Lukes Polterabend war sie extrem schick gewesen, doch jetzt trug sie wieder ihre Alltagsuniform: Jeans mit ausgefranstem Saum, ein langärmeliges Shirt und eine karamellbraune Lederjacke. Sie schien sich genauso unbehaglich zu fühlen wie Jordan, saß kerzengerade da und schaute immer wieder verlegen zum Fenster. Als sie Simon erblickte, sprang sie dankbar auf und umarmte ihn. »Hi, ich bin nur kurz vorbeigekommen, um mich zu erkundigen, wie es dir geht«, begrüßte sie ihn.

»Mir geht’s gut. Zumindest den Umständen entsprechend.«

»Ich meinte damit eigentlich nicht diese ganze Geschichte mit Jace«, erwiderte Maia. »Ich dachte eher an dich. Wie kommst du zurecht?«

»Ich?« Simon war verblüfft. »Gut so weit. Ich mach mir halt Sorgen um Isabelle und Clary. Du weißt ja, dass sie vom Rat befragt worden ist…«

Maia nickte und ließ Simon los. »Ja, ich hab gehört, dass sie von jedem Verdacht freigesprochen wurde. Das ist klasse. Aber ich musste die ganze Zeit an dich denken. Und an das, was mit deiner Mutter passiert ist.«

»Woher weißt du davon?« Simon warf Jordan einen scharfen Blick zu, doch der schüttelte kaum merklich den Kopf – er hatte nichts ausgeplaudert.

Verlegen spielte Maia mit ihrem Zopf. »Ich hab Eric zufällig in der Stadt getroffen. Er hat mir erzählt, was passiert ist, und dass du deshalb in den letzten zwei Wochen bei keinem der Gigs von ›Millennium Lint‹ mitgespielt hast.«