»Wir können sie doch später aus dem Kelch trinken lassen…«
»Nein«, knurrte Sebastian. »Und jetzt halt sie gefälligst fest.« Damit hob er den Kelch, drückte ihn Clary an den Mund und versuchte, ihre Lippen auseinanderzuzwängen.
Erbittert setzte Clary sich zur Wehr und biss die Zähne zusammen.
»Trink!«, flüsterte Sebastian bedrohlich und so leise, dass Clary bezweifelte, ob Jace ihn hören konnte. »Ich hab dir ja gesagt, dass du am Ende dieser Nacht alles tun würdest, was ich von dir verlange. Also trink!« Seine schwarzen Augen verfinsterten sich und er presste ihr den Kelch fester gegen die Lippen und schob ihre Unterlippe nach unten.
Clary schmeckte Blut, während sie gleichzeitig hinter sich griff, Jace an den Schultern packte und seinen Körper dazu nutzte, Sebastian mit beiden Beinen einen Tritt zu verpassen: Sie spürte, wie erst der Saum und dann die Seitennaht ihres Kleides rissen, als sie ihre Füße mit Wucht in Sebastians Brustkorb rammte und er pfeifend zurücktaumelte. Währenddessen riss Clary ruckartig den Kopf zurück und hörte dann ein Knirschen, als ihr Schädel gegen Jace’ Gesicht schlug. Er schrie auf und lockerte seinen Griff lange genug, dass Clary sich losreißen konnte. Sie wirbelte herum und stürzte sich in das Kampfgetümmel, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Maia hetzte über den felsigen Untergrund; Sternenlicht streifte mit kühlen Fingern ihr Fell, während der Kampf ihre empfindliche Nase mit Gerüchen bombardierte: Blut, Schweiß und der Gestank brennender Gummireifen – das Zeichen Schwarzer Magie.
Ihr Rudel hatte sich über die gesamte Ebene verteilt und schlug mit todbringenden Zähnen und Klauen breite Lücken in die Reihen des Feinds. Maia hielt sich dicht neben Jordan – aber nicht, weil sie seinen Schutz brauchte, sondern weil sie festgestellt hatte, dass sie Seite an Seite besser und effektiver kämpfen konnten. Bisher hatte sie nur an einer einzigen Schlacht teilgenommen, auf der Brocelind-Ebene, und damals hatte um sie herum ein furchtbares Chaos aus Dämonen und Schattenweltlern geherrscht. Hier in dieser kargen Gegend standen ihnen zwar weniger Feinde gegenüber, aber die Dunklen Nephilim waren hervorragende Krieger und schwangen ihre Schwerter und Dolche mit Furcht einflößender Kraft und Geschicklichkeit. Maia hatte gesehen, wie ein schlanker Schattenjäger einem angreifenden Werwolf mitten im Sprung den Kopf abgetrennt hatte, woraufhin ein menschlicher Rumpf auf den Boden gefallen war, blutig und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Als Maia gerade daran zurückdachte, tauchte vor ihnen ein rot gekleideter Schattenjäger auf, mit einem zweischneidigen Schwert in den Händen. Die Klinge glitzerte im Mondlicht feucht und schwarzrötlich. Jordan knurrte, aber Maia attackierte den Mann als Erste. Er tauchte jedoch unter ihrem Angriff hinweg und versetzte ihr einen Hieb mit seinem Schwert. Maia spürte einen stechenden Schmerz an der Schulter und landete auf allen vieren. Als hinter ihr ein Klirren ertönte, wusste sie, dass sie dem Dunklen Nephilim bei ihrem Angriff die Waffe aus der Hand getreten hatte. Mit einem zufriedenen Knurren wirbelte sie herum, nur um festzustellen, dass Jordan bereits zum Sprung ansetzte, um dem Mann an die Kehle zu gehen…
Doch der Krieger packte ihn einfach am Nackenfell, als würde er einen ungezogenen Welpen mitten aus der Luft greifen. »Du Schattenweltabschaum!«, fauchte er, und obwohl Maia eine derartiges Schimpfwort nicht zum ersten Mal hörte, jagte ihr der eisige Hass in der Stimme des Mannes einen Schauer über den Rücken. »Dir sollte man das Fell abziehen! Ich sollte dich als Mantel tragen!«
Wütend schlug Maia dem Mann ihre Zähne ins Bein. Bitter-metallisch schmeckendes Blut explodierte in ihrem Mund, während der Nephilim vor Schmerz aufschrie, rückwärts taumelte, seinen Griff um Jordans Nacken lockerte und nach Maia trat. Die junge Werwölfin verstärkte ihren Biss und Jordan attackierte erneut. Und dieses Mal erstarben dem Schattenjäger die wüsten Beschimpfungen jäh auf den Lippen, als ihm die Krallen des Werwolfs die Kehle aufrissen.
Amatis wollte ihren Dolch in Magnus’ Herz stoßen – als ein Pfeil durch die Luft flog, sich in ihre Schulter bohrte und sie mit solcher Wucht zur Seite riss, dass sie sich um hundertundachtzig Grad drehte und mit dem Gesicht auf den felsigen Untergrund stürzte. Sie kreischte laut, doch ihre Schreie gingen schon bald im Tosen der klirrenden Waffen unter.
Isabelle kniete sich neben Magnus, während Simon rasch aufschaute und Alec auf dem Deckstein sah, der mit dem Bogen in der Hand wie erstarrt dastand. Vermutlich war er zu weit entfernt, um Magnus deutlich zu erkennen. Isabelle hatte dem Hexenmeister beide Hände auf den Brustkorb gepresst, um die Blutung zu stillen, aber Magnus – sonst ständig in Bewegung und voller Energie – lag vollkommen reglos da. Die junge Schattenjägerin hob den Blick und sah, dass Simon sie und Magnus fassungslos anstarrte; und obwohl ihre Hände bereits voller Blut waren, schüttelte sie heftig den Kopf und rief: »Lauf weiter! Such Sebastian!«
Simon gab sich einen Ruck, wirbelte herum und tauchte wieder in das Getümmel ein. Die dichten Reihen der rot gekleideten Schattenjäger hatten sich bereits gelichtet. Die Wölfe sprangen zwischen ihnen umher und trieben einzelne Nephilim von den anderen fort. Jocelyn befand sich in einem Schwertkampf mit einem knurrenden Mann, von dessen linkem Arm Blut tropfte – und Simon machte eine eigenartige Feststellung, während er weitertaumelte und sich durch die schmalen Lücken zwischen den Kämpfenden hindurchmanövrierte: Kein einziger der roten Nephilim trug ein Runenmal.
Als er aus dem Augenwinkel sah, wie einer der feindlichen Schattenjäger Aline mit einem Streitkolben angriff, aber von Helen niedergestreckt wurde, erkannte Simon, dass diese Schattenjäger außerdem wesentlich schneller waren als alle anderen Nephilim, die er kannte, von Jace und Sebastian einmal abgesehen. Sie bewegten sich mit der Schnelligkeit von Vampiren, überlegte er, als einer von ihnen einen Wolf mitten im Sprung erwischte und ihm den Unterleib aufschlitzte. Der tote Werwolf stürzte zu Boden – als Leichnam eines stämmigen Mannes mit lockigen hellen Haaren. Also weder Maia noch Jordan. Erleichterung durchströmte Simon, dicht gefolgt von Schuldgefühlen. Er stolperte weiter, umgeben vom intensiven Blutgeruch, der die Luft erfüllte. Erneut musste er an sein Kainsmal denken: Wenn es noch auf seiner Stirn leuchten würde, könnte er alle feindlichen Schattenjäger auf der Stelle vernichten…
Plötzlich tauchte einer der Dunklen Nephilim vor ihm auf und schwang ein einschneidiges Schwert. Simon duckte sich blitzschnell, doch das wäre eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Denn der Mann hatte kaum mit der Waffe ausgeholt, als ihn auch schon ein Pfeil in den Hals traf und er blutspuckend zu Boden ging. Ruckartig hob Simon den Kopf und sah Alec, der noch immer auf dem Grabmal stand. Sein Gesicht wirkte wie versteinert, aber er schoss seine Pfeile mit maschinenartiger Präzision: Seine Hand griff mechanisch über die Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf den Bogen und ließ ihn durch die Luft sirren, woraufhin dieser sich unfehlbar in sein Ziel bohrte. Das schien Alec aber kaum wahrzunehmen, denn sobald er einen seiner Pfeile abgeschickt hatte, griff er bereits nach dem nächsten. Simon hörte, wie ein weiterer Pfeil an ihm vorbeizischte und sich in einen der roten Nephilim bohrte, während er selbst vorwärtsstürmte, um zu einem weniger umkämpften Bereich des Schlachtfelds zu gelangen…
Im selben Moment erstarrte er. Dort drüben war sie: Clary. Eine winzige Gestalt, die sich mit bloßen Händen einen Weg durch die Menge kämpfte und dabei wie wild um sich schlug und trat. Sie trug ein zerrissenes rotes Gewand und ihre Haare waren vollkommen zerzaust. Als sie Simon entdeckte, huschte ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens über ihre Züge und ihre Lippen formten seinen Namen.