Eine schlanke, schwielige Hand strich ihm über die Wange und eine zweite Stimme meldete sich zu Wort: »Nicht… es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.«
Langsam ließ Jace die Lider sinken. Das Gewicht lastete noch immer auf seiner Brust: eine Mischung aus Wundschmerz und Schuldgefühlen. »Izzy.«
Die junge Schattenjägerin hielt die Luft an. »Du bist es wirklich, oder?«
»Isabelle«, setzte Alec an, als wollte er sie warnen, Jace nicht aufzuregen.
Doch Jace griff nach ihrer Hand. Er schaute sie an und konnte Izzys dunkle Augen im dämmrigen Licht schimmern sehen. Und er bemerkte die hoffnungsvolle Erwartung auf ihrem Gesicht. Dies war Isabelle, wie nur ihre Familie sie kannte: liebevoll und fürsorglich.
»Ich bin es wirklich«, krächzte Jace und räusperte sich. »Ich könnte es durchaus verstehen, wenn du mir nicht glauben würdest, aber ich schwöre beim Erzengel, Izzy, ich bin es wirklich.«
Alec schwieg, verstärkte aber den Griff um Jace’ Hand. »Du brauchst es nicht zu schwören«, sagte er schließlich und berührte mit der anderen Hand die Parabatai-Rune in der Nähe seines Schlüsselbeins. »Ich weiß es. Ich kann es spüren. Endlich hab ich nicht mehr das Gefühl, als würde ein Teil von mir fehlen.«
»Ich habe es auch gespürt.« Jace holte gequält Luft. »Irgendetwas fehlte. Ich habe es gefühlt, sogar als ich mit Sebastian verbunden war; aber mir war nicht klar, was mir fehlte. Jetzt weiß ich es: Du hast mir gefehlt. Mein Parabatai.« Langsam drehte er den Kopf zu Izzy. »Und du auch. Meine Schwester. Und…« Plötzlich tauchte vor seinem inneren Auge ein grelles Licht auf, die Wunde auf seiner Brust begann zu pulsieren und dann sah er ihr Gesicht, hell erleuchtet von den Flammen des Schwerts. Ein seltsames Brennen schoss durch seine Adern, wie weiß glühendes Feuer. »Clary. Bitte sagt mir…«
»Ihr geht’s gut«, versicherte Isabelle ihm hastig. Aber in ihrer Stimme schwang noch etwas anderes mit – Überraschung, Unbehagen.
»Schwör es! Du erzählst mir das nicht nur, weil du mich nicht aufregen willst?!«
»Sie hat dich niedergestochen«, erklärte Isabelle.
Jace brachte ein ersticktes Lachen hervor, das ihm schmerzhafte Stiche durch die Brust jagte. »Sie hat mich gerettet.«
»Ja, das hat sie«, pflichtete Alec ihm bei.
»Wann kann ich sie sehen?« Jace versuchte, nicht zu begierig zu klingen.
»Du bist es tatsächlich… bist wirklich wieder ganz der Alte«, bemerkte Isabelle amüsiert.
»Die Stillen Brüder haben immer wieder nach dir gesehen. Um das hier zu versorgen…« Vorsichtig berührte Alec den Verband auf Jace’ Brust. »Und um festzustellen, ob du schon aus dem Koma erwacht bist. Wenn sie erfahren, dass du wieder bei Bewusstsein bist, werden sie vermutlich erst einmal mit dir reden wollen, ehe sie Clary zu dir lassen.«
»Wie lange bin ich denn bewusstlos gewesen?«
»Etwa zwei Tage«, erklärte Alec. »Seit wir sicher sein konnten, dass du nicht sterben würdest, und wir dich aus Irland zurückgeholt haben. Allem Anschein nach ist es nicht ganz einfach, eine Wunde vollständig verheilen zu lassen, die vom Schwert eines Erzengels verursacht wurde.«
»Du willst mir also sagen, dass ich eine Narbe zurückbehalten werde?«
»Eine ziemlich große, hässliche. Und zwar quer über die Brust«, bestätigte Isabelle.
»Ach, verdammt«, stieß Jace hervor. »Dabei hatte ich schon so fest mit dem Engagement als Herrenslip-Model gerechnet.« Trotz des ironischen Tons hatte er insgeheim jedoch das Gefühl, dass es gut und richtig war, eine Narbe zurückzubehalten als ein Zeichen für das, was ihm widerfahren war – sowohl geistig als auch körperlich. Er hatte beinahe seine Seele verloren und die Narbe würde ihn immer an die Zerbrechlichkeit des freien Willens und den schweren Pfad des Guten erinnern.
Und an andere Dinge, die düster waren und vor ihnen lagen… und die er nicht zulassen konnte. Seine Kraft kehrte allmählich zurück; er spürte es deutlich und er würde sich mit aller Macht gegen Sebastian stellen. Bei diesem Gedanken fühlte er sich plötzlich leichter ums Herz, als wäre ihm ein wenig von der Last auf seiner Brust genommen worden. Langsam drehte er den Kopf, bis er Alec in die Augen sehen konnte.
»Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal auf gegnerischen Seiten kämpfen würden«, erklärte er heiser. »Nie im Leben.«
»Und das wird auch nie wieder passieren«, erwiderte Alec entschlossen.
»Jace«, setzte Isabelle an. »Versuch jetzt bitte, ruhig zu bleiben, aber…«
Aber was? »Stimmt irgendwas nicht?«
»Na ja, du glühst ein wenig«, sagte Isabelle. »Ich meine, zwar nur ein klitzekleines bisschen, aber immerhin…«
»Ich glühe?«
Alec hob Jace’ Hand an. Im dämmrigen Licht der Krankenstation konnte Jace einen schwachen Schimmer um seinen Unterarm erkennen, der seine Adern wie Straßen auf einer Landkarte hervortreten ließ. »Wir nehmen an, dass es sich um eine Nachwirkung des Engelsschwertes handelt«, erläuterte Alec. »Wahrscheinlich wird dieser Effekt bald nachlassen, aber die Brüder der Stille sind natürlich höchst interessiert.«
Jace seufzte und ließ den Kopf in die Kissen sinken. Er war zu erschöpft, um sich sonderlich um seinen neuen, »erleuchteten« Zustand zu kümmern. »Heißt das, dass ihr gehen müsst, um die Brüder zu holen?«, fragte er.
»Sie haben uns gebeten, sie sofort zu rufen, wenn du aufwachst«, erzählte Alec. »Aber nicht, wenn du es nicht willst.«
»Ich fühl mich total erschöpft«, räumte Jace ein. »Wenn ich noch ein paar Stunden schlafen könnte…«
»Selbstverständlich. Selbstverständlich kannst du das.« Isabelle strich ihm die Haare aus der Stirn. Ihr Ton war bestimmt: wild entschlossen wie eine Bärenmutter, die ihr Junges verteidigt.
Jace fielen bereits die Augen zu. »Aber ihr lasst mich nicht allein?«
»Nein«, sagte Alec. »Nein, wir werden dich niemals allein lassen. Das weißt du doch.«
»Niemals«, bestätigte Isabelle, nahm Jace’ andere Hand und drückte sie fest. »Lightwood, auf immer vereint«, flüsterte sie.
Jace spürte, dass sich seine Hand plötzlich feucht anfühlte, und erkannte, dass Isabelle Tränen übers Gesicht liefen… sie weinte seinetwegen, weil sie ihn liebte, selbst nach allem, was passiert war.
Beide liebten ihn – Alec und Isabelle.
Mit diesem Gedanken schlief er ein, Isabelle zu seiner Linken und Alec zu seiner Rechten, während in der Ferne die Morgensonne über dem Horizont aufstieg.
»Was soll das heißen, ich kann ihn noch immer nicht besuchen?«, fragte Clary aufgebracht. Sie saß auf dem Rand der Couch in Lukes Wohnzimmer und hatte die Telefonschnur so fest um ihre Finger gewickelt, dass die Kuppen sich bereits weiß verfärbten.
»Es sind doch gerade erst drei Tage vergangen und davon hat er zwei im Koma gelegen«, erwiderte Isabelle.
Hinter ihr ertönten Stimmen und Clary spitzte die Ohren. Sie glaubte, Maryses Stimme zu erkennen, aber redete sie mit Jace? Oder mit Alec?
»Die Brüder der Stille führen noch immer Untersuchungen durch und lassen keine Besucher zu ihm«, fügte Isabelle hinzu.
»Die Stillen Brüder können mich mal kreuzweise.«
»Igitt! Nein danke! Ich hab ja nichts gegen Typen von der Sorte ›stark, aber schweigsam‹, doch das geht selbst mir zu weit…«
»Isabelle!« Clary setzte sich auf und lehnte sich gegen die weichen Kissen. Es war ein strahlender Herbsttag und die Sonne schien hell durch das Wohnzimmerfenster, aber auch das konnte Clarys Stimmung nicht aufheitern. »Ich möchte doch einfach nur wissen, ob es ihm gut geht… dass er keine bleibenden Schäden zurückbehält und nicht angeschwollen ist wie ein Kürbis…«
»Selbstverständlich ist er nicht angeschwollen wie ein Kürbis! Sei doch nicht albern.«