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Langsam ließ Clary den Kopf auf den Arm sinken. Ihre Lippe blutete an der Stelle, wo sie sie aufgebissen hatte; sie schmeckte das Blut in ihrem Mund. Sie wusste, dass sie eigentlich sofort aufspringen, nach unten stürmen und aus dem Institut flüchten sollte – schließlich hatte sie hier nichts zu suchen. Aber das Eis in ihren schockgefrorenen Adern war so dick, dass sie fürchtete, in tausend Scherben zu zerbrechen, wenn sie auch nur einen Finger rührte.

Alec wachte auf, als Magnus ihn an der Schulter rüttelte.

»Komm schon, Zuckerschnecke«, sagte er. »Zeit zum Aufstehen.«

Benommen schälte Alec sich aus den Decken und Kissen und blinzelte seinen Freund an. Obwohl Magnus kaum geschlafen hatte, wirkte er unverschämt munter. Seine Haare waren nass und tropften auf das weiße Hemd, machten es durchsichtig. Außerdem trug er eine löchrige Jeans mit ausgefranstem Saum, was in der Regel bedeutete, dass er den Tag in der Wohnung verbringen würde.

»›Zuckerschnecke‹?«, fragte Alec.

»Ich wollte es mal ausprobieren.«

Entschieden schüttelte Alec den Kopf. »Kommt nicht infrage.«

Magnus zuckte die Achseln. »Also gut, ich werd mir was anderes überlegen.« Er hielt Alec einen angeschlagenen blauen Becher mit Kaffee entgegen – Kaffee so wie Alec ihn mochte: schwarz und mit Zucker. »Wach auf.«

Alec setzte sich auf, rieb sich die Augen und nahm den Becher. Der erste herbe Schluck sandte einen prickelnden Energieschub durch seine Nervenbahnen. Und er erinnerte sich wieder an die Nacht zuvor: Er hatte wach gelegen und darauf gewartet, dass Magnus endlich ins Bett kam, doch irgendwann hatte ihn die Müdigkeit übermannt und er war gegen fünf Uhr morgens eingeschlafen. »Ich werd’ heut nicht zur Ratssitzung gehen«, verkündete er.

»Ich weiß, aber du wolltest dich mit deiner Schwester und den anderen im Central Park am Turtle Pond treffen. Du hast mich extra gebeten, dich daran zu erinnern.«

Alec schwang die Beine über die Bettkante. »Wie spät ist es?«

Sanft nahm Magnus ihm den Becher aus der Hand, damit Alec den Kaffee nicht verschüttete, und stellte ihn auf den Nachttisch. »Keine Sorge – du hast etwa eine Stunde«, erklärte er beruhigend, beugte sich dann vor und presste seine Lippen auf Alecs.

Sofort erinnerte Alec sich wieder an ihren ersten gemeinsamen Kuss, hier in dieser Wohnung, und am liebsten hätte er die Arme um Magnus geschlungen und ihn an sich gezogen. Doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Stattdessen stand er auf, löste sich von seinem Freund und ging zur Kommode. Er hatte eine eigene Schublade für seine Klamotten, einen Platz im Bad für seine Zahnbürste, einen Haustürschlüssel – eigentlich ausreichend Raum im Leben seines Freundes, und dennoch konnte er die kalte Angst, die in seinem Magen rumorte, einfach nicht loswerden.

Magnus hatte sich wieder auf das Bett fallen lassen und beobachtete Alec mit einem Arm hinter dem Kopf. »Trag doch den Schal da«, sagte er und zeigte auf einen blauen Kaschmirschal, der an einem Haken hing. »Der passt so gut zu deinen Augen.«

Alec musterte den Schal. Plötzlich erfasste ihn eine heiße Wut – auf den Schal, auf Magnus und vor allem auf sich selbst. »Lass mich raten: Der Schal ist hundert Jahre alt und wurde dir von Königin Victoria persönlich kurz vor ihrem Tod überreicht – für besondere Verdienste um das Königshaus oder was weiß ich«, knurrte er.

Ruckartig setzte Magnus sich auf. »Was ist los? Was hast du?«

Finster starrte Alec ihn an. »Bin ich dein neuestes Objekt in dieser Wohnung?«

»Ich denke, diese Ehre gebührt dem Großen Vorsitzenden. Schließlich ist Miau Tse-tung gerade mal zwei Jahre alt.«

»Ich sagte ›neuestes‹, nicht ›jüngstes‹«, fauchte Alec. »Wer ist W. S.? Steht die Abkürzung etwa für Will?«

Magnus schüttelte verständnislos den Kopf, als hätte er Wasser in den Ohren. »Was zum Teufel…? Du meinst die Schnupftabakdose? W. S. steht für Woolsey Scott. Er…«

»Hat die Praetor Lupus gegründet. Ich weiß.« Alec stieg in seine Jeans und zog den Reißverschluss hoch. »Das hattest du bereits erwähnt und außerdem ist er eine historische Persönlichkeit. Und seine Schnupftabakdose liegt in deiner Schreibtischschublade. Was fliegt da sonst noch alles drin rum? Vielleicht Jonathan Shadowhunters Nagelschere?«

Magnus’ Katzenaugen bekamen einen kalten Ausdruck. »Was ist los mit dir, Alexander? Ich belüge dich nicht. Wenn du irgendetwas über mich wissen willst, kannst du mich einfach fragen.«

»Blödsinn«, entgegnete Alec unverblümt, während er sein Hemd zuknöpfte. »Du bist nett und witzig und vieles mehr, aber alles andere als mitteilsam, Zuckerschnecke. Du kannst stundenlang über die Probleme anderer Leute reden, aber über dich oder deine Vergangenheit rückst du nichts raus, und wenn ich dich danach frage, windest du dich wie ein Wurm am Angelhaken.«

»Vielleicht liegt das ja daran, dass du mich nicht fragen kannst, ohne gleich einen Streit vom Zaun zu brechen… einen Streit darüber, dass ich ewig leben werde und du nicht«, konterte Magnus aufgebracht. »Oder daran, dass das Thema Unsterblichkeit sich mehr und mehr zu einer dritten Person in unserer Beziehung entwickelt, Alec.«

»In unserer Beziehung sollte es keine dritte Person geben.«

»Ganz genau.«

Alec schnürte es die Kehle zu. Es gab tausend Dinge, die er eigentlich sagen wollte, aber er war mit Worten nie so geschickt gewesen wie Jace oder Magnus. Stattdessen riss er den blauen Schal vom Haken und schlang ihn sich trotzig um den Hals. »Meinetwegen brauchst du nicht aufzubleiben. Kann sein, dass ich heute Nacht auf Patrouille muss«, knurrte er und marschierte hinaus. Als er die Wohnungstür hinter sich zuschlug, hörte er, wie Magnus ihm etwas hinterherrief.

»Und der Schal ist von Gap! Nur damit du’s weißt. Den hab ich erst letztes Jahr gekauft!«

Genervt rollte Alec mit den Augen und lief die Treppe zur Eingangshalle hinunter. Die nackte Glühbirne, die die Stufen normalerweise beleuchtete, war durchgebrannt, daher lag der Flur so finster vor ihm, dass Alec die Gestalt, die aus den Schatten trat, erst beim zweiten Hinsehen bemerkte. Vor Schreck ließ er seinen Schlüssel fallen, der rasselnd auf dem Boden landete.

Lautlos kam die Gestalt auf ihn zu. Alec konnte nicht erkennen, wer oder was sich unter der Kutte verbarg – weder Alter noch Geschlecht, nicht einmal die Spezies. Die Stimme, die unter der weiten Kapuze hervordrang, klang tief und krächzend: »Ich habe eine Nachricht für dich, Alec Lightwood. Eine Nachricht von Camille Belcourt.«

»Wollen wir heute Abend gemeinsam auf Patrouille gehen?«, fragte Jordan etwas unvermittelt.

Überrascht drehte Maia sich zu ihm um. Jordan lehnte mit dem Rücken an der Küchentheke, die Ellbogen hinter ihm auf die glatte Oberfläche gestützt. Seine Haltung hatte etwas derart Gleichgültiges an sich, dass es schon fast einstudiert wirkte. Das war das Problem, wenn man jemanden so gut kannte, überlegte Maia: Man konnte ihm schlecht etwas vortäuschen und auch dessen vorgetäuschtes Verhalten schlecht ignorieren – obwohl das im Moment wesentlich einfacher gewesen wäre.

»Gemeinsam auf Patrouille gehen?«, wiederholte sie. Simon war in seinem Zimmer, um sich umzuziehen. Maia hatte ihm angeboten, ihn bis zur U-Bahn-Station zu begleiten, und wünschte nun, sie hätte nichts gesagt. Sie wusste, dass sie sich schon früher bei Jordan hätte melden sollen – nach ihrer letzten Begegnung, als sie ihn unvorsichtigerweise geküsst hatte. Aber dann war Jace verschwunden und die ganze Welt schien auf den Kopf gestellt, was ihr die passende Ausrede geliefert hatte, sich nicht mit dem Thema zu befassen.

Natürlich war es wesentlich einfacher, nicht an seinen Ex zu denken, der einem das Herz gebrochen und die Verwandlung zum Werwolf verursacht hatte, solange er nicht direkt vor einem stand – noch dazu in einem grünen T-Shirt, das sich genau an den richtigen Stellen an seinen schlanken muskulösen Körper schmiegte und seine grün-braunen Augen perfekt zur Geltung brachte.