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Simon verdrehte die Augen. »Wie gut, dass wir denjenigen kennen, der mit Magnus zusammen ist. Sonst würden wir uns wahrscheinlich ständig fragen, was zum Teufel wir als Nächstes tun sollen. Oder wir würden versuchen, Limonade zu verkaufen, um Geld für Magnus’ Bezahlung zusammenzukratzen.«

Diese Bemerkung entlockte Alec nur ein müdes Lächeln. »Du könntest nur dann durch den Verkauf von Limonade genügend Geld zusammenbekommen, wenn du Meth daruntermischen würdest.«

»Das sagt man doch nur so. Wir sind uns alle der Tatsache bewusst, dass die Dienste deines Freundes nicht billig sind. Ich wünschte nur, wir müssten nicht mit jedem Problem zu ihm rennen.«

»Das geht ihm genauso«, erwiderte Alec. »Magnus muss heute irgendeinen Auftrag erledigen, aber ich rede am Abend mit ihm und dann können wir uns morgen früh bei ihm in der Wohnung treffen.«

Clary nickte, obwohl sie sich im Moment nicht einmal vorstellen konnte, am nächsten Morgen wieder aus dem Bett zu steigen. Sie wusste zwar: Je eher sie mit Magnus redeten, desto besser, aber sie fühlte sich total erschöpft und ausgelaugt, als hätte sie in der Bibliothek literweise Blut verloren.

Inzwischen war Isabelle näher an Simon herangetreten. »Sieht so aus, als hätten wir den Rest des Tages frei. Sollen wir zu Taki’s fahren? Du könntest dir ein großes Glas Blut bestellen.«

Simon warf Clary einen langen, besorgten Blick zu. »Möchtest du mitkommen?«

»Nein, ist schon okay. Ich werd mir ein Taxi holen und nach Williamsburg zurückfahren. Ich sollte ein bisschen Zeit mit meiner Mutter verbringen. Die ganze Geschichte mit Sebastian zerreißt sie innerlich und jetzt noch das…«

Isabelles schwarzes Haar wehte im Wind, als sie heftig den Kopf schüttelte. »Du darfst ihr nichts davon erzählen. Luke hat einen Sitz in der Kongregation. Er kann diese Informationen nicht zurückhalten und du wiederum darfst von deiner Mutter nicht verlangen, dass sie ihm die Geschichte verschweigt.«

»Ich weiß.« Clary betrachtete die besorgten Gesichter ihrer Freunde. Wie hatte es nur so weit kommen können?, überlegte sie. Früher hatte sie nie Geheimnisse vor ihrer Mutter gehabt – jedenfalls keine richtigen – und jetzt fuhr sie nach Hause und unterschlug ihr und Luke Informationen von gravierender Tragweite. Gleichzeitig redete sie völlig offen mit Leuten wie Alec und Isabelle Lightwood und Magnus Bane – Personen, von deren Existenz sie vor sechs Monaten nicht einmal geahnt hatte. Es war seltsam, wie sich die eigene Welt urplötzlich auf ihrer Achse verlagern konnte und sich alles Vertraute ins Gegenteil verkehrte.

Aber wenigstens hatte sie immer noch Simon an ihrer Seite – der beständige, verlässliche Simon. Clary drückte ihm rasch einen Kuss auf die Wange, winkte den anderen zum Abschied zu und machte sich dann auf den Weg. Dabei spürte sie genau, wie die drei ihr sorgenvoll nachschauten, während sie den Park durchquerte und die letzten trockenen Blätter wie winzige Knochen unter ihren Schuhen knackten und knirschten.

Alec hatte gelogen: Nicht Magnus hatte für den Nachmittag schon andere Pläne, sondern er selbst.

Er wusste, dass sein Vorhaben ein Fehler war, aber er konnte einfach nichts dagegen machen: Das Ganze war wie eine Sucht… dieser Drang, mehr zu erfahren. Und nun stand er hier, tief unter der Erde, das Elbenlicht in der Hand, und fragte sich, was zum Teufel er gerade tat.

Genau wie alle New Yorker U-Bahn-Stationen roch auch diese nach Rost, Wasser, Metall und Moder. Aber im Gegensatz zu allen anderen Haltestellen, die Alec kannte, herrschte hier eine unheimliche Stille. Abgesehen von ein paar Stockflecken, die durch einen Wasserschaden entstanden sein mussten, wirkten die Wände und der Bahnsteig sauber. Über Alec erhoben sich breite Gewölbedecken, die in regelmäßigen Abständen von Kronleuchtern durchbrochen wurden. Die Deckenbögen waren mit grünen Fliesen gekachelt, daneben verrieten weiße Fliesen mit blauen Großbuchstaben den Namen der Haltestelle: CITY HALL.

Die U-Bahnstation City Hall war bereits seit 1945 außer Betrieb, wurde aber von der Stadt New York als historisches Bauwerk weiterhin instand gehalten; hin und wieder nutzten die Züge der Linie 6 die Haltestelle als Wendegelegenheit, doch niemand stieg hier ein oder aus. Alec hatte sich im City Hall Park durch eine Lüftungsluke gezwängt, die fast komplett von Hartriegelsträuchern überwuchert war, und dann in die Station hinunterfallen lassen – aus einer Höhe, die jedem normalen Menschen vermutlich beide Beine gebrochen hätte. Nun blieb er einen Moment ruhig stehen, atmete die staubige Luft ein und spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.

Das war der Ort, den er aufsuchen sollte – so hatte es in dem Brief gestanden, den ihm der Vampir-Domestik in Magnus’ Eingangshalle überreicht hatte. Zunächst war Alec fest entschlossen gewesen, das Ganze zu vergessen. Aber er hatte es auch nicht geschafft, den Brief einfach wegzuwerfen. Stattdessen hatte er den Papierbogen zusammengeknüllt und in die Tasche seiner Jeans gestopft – woraufhin ihm die Worte den ganzen Tag über, selbst im Central Park, permanent im Hinterkopf herumgespukt waren.

Genau wie die gesamte Situation mit Magnus ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Alec konnte einfach nicht aufhören, sich deswegen Sorgen zu machen – so als würde man mit der Zunge immer wieder gegen einen kaputten Zahn stoßen, obwohl man wusste, dass das die Situation womöglich nur noch schlimmer machte. Magnus hatte nichts Falsches getan – schließlich war es nicht seine Schuld, dass er Hunderte von Jahren alt war und schon andere Beziehungen geführt hatte. Trotzdem brachte dieser Gedanke Alecs Seelenfrieden durcheinander. Und dass er im Hinblick auf die Situation mit Jace auch nicht viel schlauer war als am Tag zuvor, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht: Er musste unbedingt mit jemandem reden, musste sich irgendwohin wenden, irgendetwas tun.

Und darum stand er nun hier. Und sie war ebenfalls hier, daran zweifelte Alec keine Sekunde. Langsam ging er über den Bahnsteig. Durch eine kleine Luke in der Gewölbedecke fiel Licht aus dem darüberliegenden Park auf den Boden; die vier Fliesenreihen, die sternförmig von der Lichtkuppel abgingen, erinnerten an die Beine einer Spinne. Am Ende des Bahnsteigs befand sich eine schmale Treppe, deren Stufen sich in der Dunkelheit verloren. Alec fiel auf, dass sie durch einen Zauberglanz getarnt war: Jeder Irdische, der die Treppe hinaufschaute, würde nur eine Betonwand sehen, wohingegen er einen offenen Torbogen wahrnahm. Leise eilte er die Stufen hinauf.

Kurz darauf fand er sich in einem dämmrigen Raum mit niedriger Decke wieder; durch die Amethystglasscheiben des Oberlichts fiel nur ein schwacher Lichtschimmer. In einer Ecke des düsteren Raums stand ein Samtsofa mit einer hohen, geschwungenen und vergoldeten Rückenlehne – und auf dem Sofa saß Camille.

Die Vampirdame war so schön, wie Alec sie in Erinnerung hatte, auch wenn sie bei ihrer letzten Begegnung nicht besonders vorteilhaft ausgesehen hatte: schmutzig, blutverklebt und an ein Leitungsrohr in einem Rohbau gekettet. Doch nun trug sie einen eleganten schwarzen Hosenanzug mit roten hochhackigen Pumps und ihre hellen Haare ergossen sich in sanften Wellen über ihre Schultern. Auf dem Schoß hielt sie ein aufgeschlagenes Buch – La Place de l’Étoile von Patrick Modiano. Alecs Französischkenntnisse reichten aus, um den Titel zu übersetzen: »Der Platz des Sterns.«

Camille schaute Alec ruhig an, als hätte sie mit seinem Kommen gerechnet.

»Hallo, Camille«, begrüßte er sie.

Die Vampirdame blinzelte langsam. »Alexander Lightwood«, sagte sie schließlich. »Ich habe deine Schritte auf der Treppe wiedererkannt.« Sie stützte den Kopf auf eine Hand und schenkte Alec ein Lächeln – ein Lächeln, das distanziert wirkte und keinerlei Wärme ausstrahlte. »Ich nehme nicht an, dass du mir eine Nachricht von Magnus überbringst?«, fügte sie hinzu.