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»Maia?« Jordan musterte sie fragend. »Was meinst du?«

»Hm?« Sie blinzelte. »Ich, äh… Nein, es war nicht besonderes sinnvoll, das Hospital zu durchsuchen. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, wieso man uns überhaupt zum Brooklyn Navy Yard geschickt hat. Warum sollte Jace hier auf der alten Werft sein? Er war doch eh kein großer Fan von Schiffen.«

Jordans fragender Gesichtsausdruck bekam eine deutlich düstere Note. »So manche Leiche, die auf irgendwelchen Wegen in den East River gelangt, wird hier an Land gespült. Hier an dieser alten Marinewerft.«

»Heißt das, wir suchen inzwischen nach einem Leichnam?«

»Keine Ahnung.« Achselzuckend wandte Jordan sich ab und setzte sich in Bewegung. Seine festen Schuhe brachten das trockene Gras zum Rascheln. »Vielleicht habe ich ja einen Punkt erreicht, wo ich nur noch deshalb weitersuche, weil es sich falsch anfühlt, einfach aufzugeben.« Seine Schritte waren langsam, gemächlich und die beiden Jugendlichen gingen Seite an Seite, wobei sich ihre Schultern fast berührten.

Maia heftete ihren Blick auf die Skyline Manhattans auf der anderen Seite des Flusses – ein Flimmern heller weißer Lichter, die sich auf dem Wasser spiegelten. Als sie sich der seichten Wallabout Bay näherten, kamen die Brooklyn Bridge und das hell erleuchtete Rechteck des South-Street-Seaport-Viertels in Sicht. Maia konnte den fast schon chemischen Geruch des Flusses wahrnehmen, den Dreck und Dieselgestank der Marinewerft und den Geruch des Kleingetiers, das durch das Gras huschte. »Ich glaube nicht, dass Jace tot ist«, sagte sie schließlich. »Ich denke, er möchte nicht gefunden werden.«

Verwundert schaute Jordan sie an. »Willst du damit sagen, dass wir nicht weiter nach ihm suchen sollten?«

»Nein.« Maia zögerte. Inzwischen hatten sie das Ufer erreicht, das an dieser Stelle von einer niedrigen Mauer gesäumt wurde. Zwischen ihnen und dem Fluss lag nur noch ein schmaler Streifen Asphalt. Während Maia weiterging, ließ sie ihre Hand über die Mauerkrone gleiten. »Als ich damals nach New York abgehauen bin, wollte ich nicht, dass mich jemand findet. Aber es hätte mir gut gefallen, wenn jemand so intensiv nach mir gesucht hätte, wie wir jetzt nach Jace…«

»Hast du Jace gemocht?«, fragte Jordan in neutralem Ton.

»Gemocht? Na ja, jedenfalls nicht so…«

Jordan lachte. »So hab ich das gar nicht gemeint. Obwohl er ja allgemein als umwerfend attraktiv gilt.«

»Ziehst du gerade diese Hetero-Nummer ab, bei der man so tut, als könne man nicht beurteilen, ob andere Kerle attraktiv sind oder nicht? Nehmen wir mal Jace und den haarigen Typen aus dem Deli an der Ninth Street… die sehen für dich beide gleich aus?«

»Na ja, der behaarte Typ hat diesen großen Leberfleck, deshalb denke ich, dass Jace leicht vorne liegt. Vorausgesetzt du stehst auf diesen kantigen blonden Dressman-Look.« Jordan warf Maia durch seine dichten Wimpern einen langen Blick zu.

»Die Dunkelhaarigen haben mir schon immer besser gefallen«, erwiderte sie leise.

Nachdenklich schaute Jordan auf den Fluss hinaus. »So einer wie Simon.«

»Na ja… ja.« Maia hatte schon eine ganze Weile nicht mehr auf diese Weise an Simon gedacht. »Ich schätze schon.«

»Und du magst Musiker.« Jordan streckte sich und zupfte ein Blatt von einem herabhängenden Zweig, der über ihre Köpfe ragte. »Ich meine, ich bin Sänger, Bat war DJ und Simon…«

»Ich mag Musik.« Maia strich sich die Haare aus dem Gesicht.

»Und was magst du sonst noch?«, fragte Jordan, während er das Blatt zwischen seinen Fingern zerrupfte. Dann hielt er inne, hievte sich auf die niedrige Mauer und wandte sich Maia wieder zu. »Ich meine, gibt es irgendetwas, das dir so gut gefällt, dass du dir vorstellen könntest, damit deinen Lebensunterhalt zu verdienen?«

Überrascht sah Maia ihn an. »Wie meinst du das?«

»Weißt du noch, wie ich die hier bekommen hab?« Jordan zog seine Sweatshirtjacke aus. Das T-Shirt, das er darunter trug, hatte kurze Ärmel, sodass die Sanskrit-Worte der Shanti-Mantras zum Vorschein kamen, die sich um seine Bizepse wanden.

Maia erinnerte sich noch sehr gut daran: Ihre gemeinsame Freundin Valerie hatte sie tätowiert, in ihrem Tattooshop in Red Bank… nach Ladenschluss und umsonst. Vorsichtig trat Maia einen Schritt näher. Da Jordan auf der Mauer saß und sie stand, befanden sie sich fast auf Augenhöhe. Maia streckte eine Hand aus und zeichnete mit dem Finger zögernd die Buchstaben auf seinem linken Oberarm nach. Bei ihrer Berührung schloss Jordan die Augen.

»Führe uns vom Unwirklichen zum Wirklichen«, las sie laut vor. »Führe uns vom Dunkel zum Licht. Führe uns vom Tod zur Unsterblichkeit.« Seine Haut fühlte sich unter ihren Fingerkuppen ganz glatt an. »Das ist aus den Upanishaden.«

»Die Mantras waren deine Idee. Du warst immer diejenige, die ständig gelesen hat. Du warst diejenige, die immer alles gewusst hat…« Jordan schlug die Lider auf und sah Maia direkt an; seine Augen schimmerten einen Ton heller als das Wasser des Flusses hinter ihm. »Maia, was auch immer du machen möchtest, ich werde dich dabei unterstützen. Ich hab von dem Gehalt, das die Praetor Lupus mir zahlen, fast alles beiseitegelegt. Das könnte ich dir geben… Damit könntest du die Studiengebühren für Stanford bezahlen. Na ja, zumindest einen Großteil davon. Falls du noch immer studieren willst.«

»Ich weiß nicht recht«, erwiderte Maia, während sich ihre Gedanken überschlugen. »Als ich mich dem Rudel angeschlossen hab, dachte ich, man könnte nebenher nichts anderes machen. Ich dachte, es ginge darum, als Werwolf im Rudel zu leben, ohne eigene Identität. Das erschien mir der sicherste Weg. Aber vielleicht hast du recht. Luke führt schließlich auch sein eigenes Leben… er hat eine Buchhandlung. Und du… du bist bei den Praetor. Ich schätze, man kann wohl mehr als nur eines auf einmal sein.«

»Du warst schon immer viel mehr.« Jordans Stimme klang heiser, rau. »Weißt du noch, was du eben gesagt hast… dass dir damals nach deiner Flucht nach New York der Gedanke gefallen hätte, wenn jemand nach dir gesucht hätte…« Jordan holte tief Luft. »Ich hab nach dir gesucht, Maia. Ich hab nie aufgehört, nach dir zu suchen.«

Maia schaute in seine grünbraunen Augen. Jordan verharrte reglos; nur seine Hände gruben sich in seine Knie, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Langsam beugte Maia sich vor. Sie war ihm nun so nahe, dass sie den dunklen Schatten seiner Bartstoppeln sehen, seinen Geruch wahrnehmen konnte – diese typische Mischung aus Wolfsgeruch, Zahnpasta und Mann. Vorsichtig legte Maia ihre Finger auf Jordans Hände. »Na ja«, sagte sie. »Jetzt hast du mich gefunden.«

Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter voneinander. Maia spürte Jordans Atem an ihren Lippen, bevor er sie küsste. Sie beugte sich noch weiter vor und schloss dabei die Augen. Seine Lippen waren noch genauso weich, wie sie sie in Erinnerung hatte; sein Mund streifte behutsam über ihre Lippen und sandte kleine Schauer durch ihren Körper. Maia schlang die Arme um Jordans Nacken, schob ihre Finger unter die gelockten dunklen Haare und berührte sanft die nackte Haut im Genick und am Rand seines abgewetzten T-Shirts.

Jordan zog sie näher an sich. Er zitterte. Maia spürte die Wärme, die von seinem muskulösen Körper ausging, während seine Hände über ihren Rücken glitten. »Maia«, wisperte er. Langsam hob er den Saum ihres Sweatshirts an, schob seine Finger darunter und umfasste ihre Hüften. Seine Lippen bewegten sich an ihrem Mund: »Ich liebe dich. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.«

Jetzt gehörst du nur noch mir. Und so wird es immer sein.

Maias Puls begann zu hämmern und sie riss sich von ihm los, während sie gleichzeitig das Sweatshirt hinunterzog. »Jordan – hör auf.«

Sofort hielt Jordan inne und ein verwirrter, bestürzter Ausdruck zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Tut mir leid. Hab ich was falsch gemacht? Außer dir hab ich niemanden mehr geküsst, jedenfalls nicht seit…« Er verstummte.