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»Ich hatte ja gehofft, man würde Flugblätter aufhängen, so wie bei vermissten Katzen«, bemerkte er. »Gesucht: ein erstaunlich attraktiver Teenager. Hört auf den Namen ›Jace‹ oder auch ›Heißer Typ‹.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»›Heißer Typ‹ gefällt dir nicht? Meinst du ›Zuckerschnäuzchen‹ wäre besser? Oder ›Sexgott‹? Obwohl Letzteres vielleicht ein wenig zu weit geht…«

»Halt die Klappe!«, fauchte Clary wütend. »Und verschwinde!«

»Ich…« Jace wirkte bestürzt und Clary erinnerte sich daran, wie überrascht er gewesen war, als sie ihn auf dem Hang hinter dem Herrenhaus von sich gestoßen hatte. »Also gut, von mir aus. Dann bin ich jetzt eben ernst. Clarissa, ich bin hier, weil ich möchte, dass du mit mir kommst.«

»Mit dir? Wohin?«

»Begleite mich einfach«, sagte er und fügte dann zögernd hinzu: »Mich und Sebastian. Dann werde ich dir alles erklären.«

Einen Moment war Clary wie erstarrt und ihre Blicke trafen sich. Das Mondlicht betonte die geschwungenen Konturen seiner Lippen, die Form seiner Wangenknochen, die Schatten seiner Wimpern, die Wölbung seines Adamsapfels. »Als ich beim letzten Mal ›mit dir gekommen‹ bin, hab ich das Bewusstsein verloren und bin inmitten einer Zeremonie voller schwarzer Magie aufgewacht.«

»Das war ich nicht. Das war Lilith.«

»Der Jace Lightwood, den ich kenne, könnte keine zwei Sekunden im selben Raum mit Jonathan Morgenstern sein, ohne nicht wenigstens zu versuchen, ihn zu töten.«

»Kann sein, aber es würde leider nicht gut für mich ausgehen«, erwiderte Jace leichthin, angelte sich seine Stiefel vom Boden und streifte sie über, während er noch auf dem Bett lag. »Wir sind aneinander gebunden, er und ich. Verletzt du ihn, werde ich bluten.«

»Aneinander gebunden? Was meinst du damit?«

Jace warf die hellen Haare in den Nacken und ignorierte Clarys Frage. »Das Ganze ist viel größer, als du verstehen könntest, Clary. Sebastian hat einen Plan. Er ist bereit, viel dafür zu tun… Opfer zu bringen. Wenn du mir nur die Gelegenheit geben würdest, es dir zu erklären…«

»Er hat Max umgebracht, Jace«, entgegnete Clary. »Deinen kleinen Bruder.«

Jace zuckte zusammen und einen Moment lang flammte in Clary die Hoffnung auf, dass sie zu ihm durchgedrungen war. Doch dann glättete sich seine Miene wieder wie ein straff gezogenes Bettlaken. »Das war… das war nur ein Unfall. Außerdem ist Sebastian ebenso sehr mein Bruder wie Max es war.«

»Nein.« Clary schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist er nicht – er ist mein Bruder. Glaub mir, ich wünschte, es wäre nicht der Fall, aber so ist es nun mal. Sebastian hätte nie geboren werden dürfen…«

»Wie kannst du so was sagen?«, fragte Jace fordernd und schwang die Beine über die Bettkante. »Hast du je darüber nachgedacht, dass die Welt vielleicht nicht so schwarz und weiß ist, wie du glaubst?« Er beugte sich vor, hob seinen Waffengurt auf und band ihn sich um. »Natürlich, es hat diesen Krieg gegeben und viele Leute wurden verletzt, Clary, aber damals sah die Situation völlig anders aus. Inzwischen weiß ich, dass Sebastian niemandem, den ich liebe, absichtlich Schaden zufügen würde. Er dient einer größeren Sache. Und dabei sind Kollateralschäden manchmal nicht zu vermeiden…«

»Hast du deinen eigenen Bruder gerade eben echt als Kollateralschaden bezeichnet?«, rief Clary ungläubig. Sie hatte das Gefühl, kaum Luft zu bekommen.

»Clary, du hörst nicht zu. Das hier ist wichtig…«

»So wie das, was Valentin für wichtig gehalten hat?«

»Valentin hat sich geirrt«, erwiderte Jace. »Er hatte recht, was den Rat anbelangt… dass dieser korrumpiert ist. Aber mit seinen Vorstellungen, wie man das ändern sollte, lag er völlig daneben. Dagegen hat Sebastian hundertprozentig recht. Wenn du dir nur mal eine Minute Zeit nehmen und uns zuhören würdest…«

»›Uns‹«, schnaubte Clary. »Gott. Jace…« Er schaute sie vom Bett aus an, und obwohl Clary spürte, wie es ihr das Herz brach, überschlugen sich ihre Gedanken förmlich: Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wo sie ihre Stele abgelegt hatte. Fragte sich, ob sie vielleicht an das scharfe Papierschneidemesser herankam, das in ihrer Nachttischschublade lag. Und ob sie sich wohl dazu überwinden konnte, es zu benutzen.

»Clary?« Jace neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte sie. »Du… du liebst mich doch noch immer, oder?«

»Ich liebe Jace Lightwood«, sagte sie. »Aber ich habe keine Ahnung, wer du bist.«

Jace’ Miene veränderte sich, doch bevor er etwas erwidern konnte, zerriss ein Schrei die nächtliche Stille. Ein Schrei und das Klirren von zersplitterndem Glas.

Clary erkannte die Stimme sofort – Jocelyn! Ohne Jace noch eines Blickes zu würdigen, riss sie die Tür auf, raste durch den Flur und stürmte ins Wohnzimmer.

Der große, offene Wohnbereich war von der Küche nur durch eine Theke getrennt – und dort stand Clarys Mutter, in Yogahose und einem zerlöcherten T-Shirt, die Haare zu einem zerzausten Knoten hochgesteckt. Jocelyn war anscheinend in die Küche gegangen, um sich etwas zu trinken zu holen: Glasscherben lagen vor ihren Füßen und Wasser sickerte in den grauen Teppichboden. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, sie wirkte so bleich wie weißer Sand. Gebannt blickte sie ins Wohnzimmer und Clary wusste, ohne den Kopf drehen zu müssen, wen Jocelyn dort anstarrte.

Ihren Sohn.

Sebastian lehnte an der Wand, in der Nähe der Wohnzimmertür, mit ausdrucksloser Miene. Langsam senkte er die Lider und musterte Jocelyn durch die dichten Wimpern. Irgendetwas an seiner Haltung, an seinem Blick erinnerte Clary an ein Foto… die Aufnahme, die Hodge vom siebzehnjährigen Valentin gemacht hatte. Sebastian hätte diesem Bild entsprungen sein können.

»Jonathan«, wisperte Jocelyn.

Clary stand wie erstarrt da, selbst als Jace aus dem Flur ins Wohnzimmer platzte. Im Bruchteil einer Sekunde erfasste er die Szenerie vor ihm und blieb abrupt stehen. Seine linke Hand schwebte über seinem Waffengurt, die schlanken Finger nur wenige Zentimeter vom Heft seines Dolches entfernt, und Clary wusste, dass er nur einen Wimpernschlag benötigen würde, um die Waffe zu zücken.

»Ich heiße jetzt Sebastian«, verkündete Clarys Bruder. »Mir ist klar geworden, dass ich den Namen, den du zusammen mit meinem Vater für mich ausgewählt hast, nicht länger tragen wollte. Ihr habt mich beide betrogen und ich möchte so wenig wie möglich an euch erinnert werden.«

Vor Jocelyns Füßen bildete das Wasser zwischen den Glasscherben bereits einen dunklen Fleck auf dem Teppichboden. Zögernd trat sie einen Schritt vor und ihr Blick huschte suchend über Sebastians Gesicht. »Ich habe geglaubt, du wärst tot«, wisperte sie. »Tot. Ich habe die Überreste deiner verbrannten Asche gesehen.«

Sebastian musterte sie aus zusammengekniffenen schwarzen Augen. »Wenn du eine richtige Mutter wärst… eine gute Mutter«, setzte er an, »dann hättest du gewusst, dass ich noch am Leben war. Ein kluger Mann hat mal gesagt: Mütter tragen den Schlüssel zu unserer Seele ein Leben lang in ihrer Brust. Aber du hast meinen weggeworfen.«

Ein Röcheln drang tief aus Jocelyns Kehle. Sie klammerte sich Halt suchend an die Theke. Clary wollte zu ihr laufen, aber ihre Füße waren wie festgenagelt. Was auch immer gerade zwischen ihrem Bruder und ihrer Mutter passierte – es hatte nichts mit ihr zu tun.

»Erzähl mir nicht, du bist nicht wenigstens ein kleines bisschen froh, mich zu sehen, Mutter«, fuhr Sebastian fort, doch trotz der eindringlichen Worte klang seine Stimme seltsam tonlos. »Bin ich denn nicht alles, was du dir von einem Sohn nur wünschen könntest?« Er breitete die Arme aus. »Stark, attraktiv und dem guten alten Dad wie aus dem Gesicht geschnitten.«

Jocelyn schüttelte den Kopf; ihr Gesicht war aschgrau. »Was willst du, Jonathan?«

»Ich will das, was alle wollen«, erwiderte Sebastian. »Ich will das, was mir zusteht. In diesem Fall das Vermächtnis der Familie Morgenstern.«