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»Wollen wir denn nicht durch die Haustür hinaus?«, fragte Tessa aufgebracht.

»Das geht nicht. Das Gebäude ist umstellt. Vor dem Eingang sind eine ganze Reihe von Kutschen vorgefahren. Offenbar bin ich zu einem unerwartet geschäftigen Zeitpunkt hier eingetroffen.« Dann stürmte er die nächste Treppe hinunter und Tessa folgte ihm.

»Wissen Sie, welche Pläne die Dunklen Schwestern für den heutigen Abend hegten?«, rief er über seine Schulter.

»Nein.«

»Aber Sie haben jemanden namens ›der Magister‹ erwartet, richtig?«

Sie befanden sich nun im Kellergeschoss, wo die verputzten Wände plötzlich feuchten Steinmauern wichen. Ohne Mirandas Laterne erschien der Gang Tessa ausgesprochen dunkel. Dafür schlug ihnen bald eine Hitzewoge entgegen.

»Beim Erzengel, hier unten ist es ja wie im neunten Höllenkreis ...«

»Der neunte Kreis der Hölle ist kalt«, erwiderte Tessa automatisch.

Will blinzelte verwirrt. »Wie bitte?«

»In Dantes Inferno ist die Hölle kalt«, erklärte Tessa. »Sie ist mit Eis bedeckt.«

Will starrte sie eine ganze Weile sprachlos an — dann zuckten seine Mundwinkel und er streckte ihr die Hand entgegen. »Geben Sie mir das Elbenlicht.«

Als er ihren ratlosen Blick sah, schnaubte er ungeduldig. »Den Stein. Geben Sie mir den Stein.«

In dem Moment, in dem er seine Hand um den Stein schloss, flammte das Licht erneut auf und sandte leuchtende Strahlen zwischen seinen Fingern hindurch. Jetzt sah Tessa zum ersten Mal, dass auf Wills Handrücken ein Symbol prangte, als wäre es mit schwarzer Tusche aufgetragen worden — eine Art weit geöffnetes Auge.

»Was die Temperatur der Hölle anbelangt, Miss Gray«, setzte er nun an, »so lassen Sie mich Ihnen den folgenden Rat geben: Der stattliche junge Kavalier, der Sie vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren versucht, liegt niemals falsch. Selbst wenn er behaupten würde, der Himmel sei violett und von Igeln bevölkert.«

Er ist tatsächlich verrückt, dachte Tessa, äußerte diese Vermutung aber nicht laut, denn zu ihrer Beunruhigung steuerte Will auf die breite Flügeltür zum Büro der Dunklen Schwestern zu. »Nein! Nicht!« Sie packte ihn am Arm und riss ihn zurück. »Nicht da entlang. Dort gibt es keinen Ausgang, das ist eine Sackgasse.«

»Korrigiert mich erneut ... verstehe.« Will machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in die andere Richtung, auf den dunklen Gang zu, den Tessa immer gefürchtet hatte.

Tessa schluckte einmal kräftig und folgte ihm widerstrebend.

Während sie weiterliefen, wurde der Gang immer enger und die Mauern schienen von beiden Seiten heranzurücken. Mit jedem Schritt stieg die Temperatur und die Hitze sorgte dafür, dass sich Tessas Haare kringelten und ihr an den Schläfen und im Nacken klebten. Die Luft war drückend und bereitete ihr Atemprobleme. Eine Weile lief sie schweigend hinter Will her, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste diese Frage stellen, auch wenn sie wusste, dass die Antwort Nein lauten würde.

»Mr Herondale«, setzte sie an, »hat mein Bruder Sie geschickt, um mich zu befreien?« Fast erwartete sie irgendeinen verrückten Kommentar statt einer Antwort, doch Will warf ihr nur einen erstaunten Blick zu.

»Habe noch nie von Ihrem Bruder gehört«, erwiderte er, was Tessa vor Enttäuschung einen Stich versetzte. Sie wusste zwar, dass Nate den Jungen nicht geschickt haben konnte — denn dann hätte er zumindest ihren Namen gekannt, oder nicht? Aber dieser Gedanke schmerzte trotzdem. »Und auch von Ihnen hatte ich bis zu unserem Kennenlernen vor zehn Minuten noch nie vernommen, Miss Gray. Seit etwa zwei Monaten verfolge ich die Spuren eines toten Mädchens. Sie wurde ermordet — verblutete allein in einer Gasse. Sie muss vor ... vor irgendetwas geflohen sein.« Inzwischen hatten sie eine Stelle erreicht, wo der Gang sich in zwei Wege gabelte, und nach kurzem Zögern entschied Will sich für die linke Abzweigung. »Neben der Toten lag ein Dolch, mit ihrem Blut befleckt. Und darunter befand sich ein Symboclass="underline" zwei Schlangen, die einander in den Schwanz beißen.«

Tessa spürte, wie ein Schock durch ihren Körper jagte. Verblutete allein in einer Gasse. Neben ihr lag ein Dolch. Dann musste die Tote die kleine Emma gewesen sein. »Das ist dasselbe Symbol, das auch auf der Kutsche der Dunklen Schwestern prangt ... So nenne ich die beiden, Mrs Dark und Mrs Black.«

»Da sind Sie nicht die Einzige: Die ganze Schattenwelt nennt sie so«, verkündete Will. »Das habe ich bei meinen Nachforschungen herausgefunden. Ich muss diesen Dolch durch etwa hundert Schattenwesen-Lokalitäten geschleppt haben, auf der Suche nach jemandem, der das Symbol wiedererkannte. Habe sogar eine Belohnung für jegliche Informationen ausgesetzt. Und schließlich ist mir der Name der Dunklen Schwestern zu Ohren gekommen.«

»Schattenwelt?«, wiederholte Tessa verwirrt. »Ist das ein Viertel von London?«

»Ach, nicht weiter wichtig«, entgegnete Will. »Ich rühme mich gerade meiner Ermittlerfähigkeiten und würde es vorziehen, dabei nicht unterbrochen zu werden. Wo war ich stehen geblieben?«

»Der Dolch ...«, half Tessa aus, verstummte dann aber, als eine Stimme durch den Gang hallte, eine hohe, süßliche und unverkennbare Stimme.

»Theresa.« Es war Mrs Darks Stimme, die wie dünne Rauchfahnen aus den Mauerritzen zu dringen schien. »Oh, Theresaaa. Wo steckst du?«

Tessa erstarrte. »Mein Gott, sie haben uns eingeholt ...«

Will packte sie erneut am Handgelenk und gemeinsam stürmten sie weiter, wobei das Elbenlicht in Wills anderer Hand wild tanzende Muster auf die Mauern warf. Der Gang wand sich immer tiefer in die Erde und die Steinplatten unter ihren Füßen wurden mit jedem Meter feuchter und rutschiger, während die Luft um sie herum heißer und drückender erschien. Tessa kam es so vor, als würden sie direkt in die Hölle laufen. Gleichzeitig hallten die Stimmen der Dunklen Schwestern von den Mauern. »Theresaaa! Wir werden dich nicht entkommen lassen. Du kannst dich vor uns nicht verstecken! Wir werden dich finden, Schätzchen. Das weißt du doch genau.«

Will und Tessa hasteten um eine Ecke und blieben abrupt stehen: Der Gang endete vor zwei hohen Metalltüren. Will gab Tessas Hand frei und stemmte sich mit der Schulter gegen die Türen ... die ruckartig aufflogen, sodass Will hindurchtaumelte. Tessa folgte ihm auf dem Fuß und wirbelte herum, um die schweren Flügel hinter ihnen zu schließen, was ihr aufgrund des hohen Gewichts jedoch erst gelang, als sie sich mit dem Rücken dagegenstemmte.

Der Raum war vollkommen dunkel und wurde lediglich von Wills glühendem Stein erhellt, der nur noch ein schwaches Glimmen ausstrahlte und sein Gesicht beleuchtete wie ein Scheinwerfer auf einer Theaterbühne. Will griff um Tessa herum, um den Riegel vorzuschieben. Der Metallschieber war sperrig und rostig und Tessa spürte Wills Anspannung, der nun dicht vor ihr stand und angestrengt an dem Riegel zog und zerrte, bis dieser endlich nachgab und die Türen fest versperrte.

»Miss Gray?« Will lehnte sich gegen Tessa, die ihrerseits mit dem Rücken gegen die geschlossenen Türen lehnte. Sie konnte den rasenden Rhythmus seines Pulsschlags fühlen — oder war es ihr eigenes Herz, das so wild schlug? Das seltsame weiße Licht des Steins ließ die scharfen Konturen von Wills Kinnpartie hervortreten und die feinen Schweißperlen auf seinem Schlüsselbein. Auch hier waren diese eigenartigen schwarzen Zeichnungen zu erkennen — sie erstreckten sich über seine Brust hinauf zum aufgeknöpften Hemdkragen, als hätte jemand mit dicker schwarzer Tusche auf seine Haut gemalt.

»Wo sind wir?«, wisperte sie. »Sind wir hier in Sicherheit?«

Statt einer Antwort drückte er sich von der Wand ab und hob die rechte Hand. In dem Moment erstrahlte das Licht wieder heller und beleuchtete den Raum. Sie befanden sich in einer Art Zelle, allerdings von erstaunlicher Größe. Sowohl die Mauern als auch die Decke und der Boden waren mit Steinplatten versehen, die zur Raummitte hin abfielen und zu einer breiten Abflussrinne führten. Bis auf ein Fenster, das in der gegenüberliegenden Wand hoch unter der Decke eingelassen war, gab es keinen anderen Ausgang aus dem Raum — keine weiteren Fenster, keine anderen Türen. Doch nicht dieser Gedanke verschlug Tessa den Atem, sondern der Anblick, der sich ihnen bot: