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Sofort setzten sich die Automaten in Bewegung und stürmten mit der bizarren Schnelligkeit davonhuschender Ratten auf die Mädchen zu. Jessamine wirbelte herum, um zu fliehen, doch sie kam nur wenige Schritte weit, als eine der Kreaturen sie auch schon packte und hoch in die Luft hob. Sophie huschte zwischen den Steinpfeilern hin und her wie ein Eichhörnchen im Wald, doch es nutzte alles nichts: Der zweite Automat holte sie im Nu ein und warf sich mit solcher Wucht auf sie, dass das Mädchen laut aufschrie. Jessamine war inzwischen vollkommen verstummt: Der Klockwerk-Mann hatte ihr seine Metallhand auf den Mund gepresst und hielt sie von hinten umklammert, wobei sich seine Finger brutal in ihre Hüfte gruben. Hilflos zappelten ihre Füße in der Luft — wie die letzten Zuckungen eines verurteilten Verbrechers am Galgen.

»Aufhören! Bitte sagen Sie ihnen, sie sollen aufhören!«, stieß Tessa in dem Moment krächzend hervor; ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren fremd.

Sophie hatte sich inzwischen aus dem Griff der Klockwerk-Kreatur herausgewunden und krabbelte schluchzend auf allen vieren über den Steinboden. Doch der Automat bekam sie am Fußgelenk zu fassen und zerrte sie so brutal zurück, dass ihre Schürze zerriss.

»Bitte!«, rief Tessa erneut, den Blick beschwörend auf Mortmain geheftet.

»Sie können das Ganze sofort beenden, Miss Gray«, erwiderte Mortmain. »Versprechen Sie mir, dass Sie nicht zu fliehen versuchen.« Er musterte sie mit glühenden Augen. »Dann werde ich die beiden Mädchen gehen lassen.«

Jessamine, deren dunkle Augen oberhalb der Hand auf ihrem Mund gerade noch zu sehen waren, warf ihr einen flehentlichen Blick zu, während Sophie mittlerweile schlaff im eisernen Griff der anderen Klockwerk-Kreatur hing.

»Ich werde hierbleiben«, versprach Tessa. »Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Aber bitte lassen Sie sie frei!«

Einen Augenblick herrschte Stille. Doch dann wandte Mortmain sich an seine mechanischen Monster: »Ihr habt gehört, was sie gesagt hat. Also bringt die Mädchen aus dem Raum. Tragt sie nach unten in die Halle, aber tut ihnen nichts.« Und dann überzog ein Lächeln sein Gesicht - ein dünnes, verschlagenes Lächeln. »Lasst Miss Gray mit mir allein.«

Noch bevor Will die Portaltür durchschritten hatte, spürte er es — das nervenaufreibende Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte ... dass hier irgendetwas Fürchterliches geschehen war oder gerade geschah. Diese Sinneswahrnehmung hatte er zum ersten Mal erlebt, als er gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen war ... als er dieses verfluchte Kästchen in den Händen gehalten hatte. Aber er hätte sich niemals träumen lassen, etwas Ähnliches jemals in der Sicherheit des Instituts zu empfinden.

Er entdeckte Agathas Leichnam in dem Moment, als er über die Türschwelle trat. Sie lag auf dem Rücken; ihre glasigen Augen starrten an die Decke und die Brustpartie ihres schlichten grauen Kleides war blutdurchtränkt. Eine alles überwältigende Wut erfasste Will und bereitete ihm ein leichtes Schwindelgefühl. Entschlossen biss er sich auf die Lippe und beugte sich zu Agatha hinab, um ihr die Augen zu schließen, ehe er sich wieder aufrichtete und sich umschaute.

Die Spuren eines heftigen Handgemenges waren nicht zu übersehen: Überall lagen Metallteile herum, verbogene und zerbrochene Zahnräder, und in die schimmernden Ölpfützen mischten sich mehrere Blutlachen. Vorsichtig bewegte Will sich durch die Eingangshalle und stieß im hinteren Bereich auf die zerfetzten Überreste von Jessamines Sonnenschirm. Zornig biss er die Zähne zusammen und schlich weiter in Richtung der Wendeltreppe.

Und dort, zusammengesackt auf der untersten Stufe, lag Thomas, reglos in einer sich ausdehnenden Blutlache. Ein Schwert ruhte auf dem Boden neben ihm, nicht weit von seinen erschlafften Fingern entfernt; die Klinge war schartig und verbeult, als hätte Thomas versucht, einen Felsblock damit zu spalten. Aus seiner Brust ragte ein zerklüftetes Metallteil hervor. Es erinnerte Will an ein abgebrochenes Sägeblatt, während er näher herantrat und sich neben Thomas auf den Boden kniete.

Ein trockenes, brennendes Gefühl breitete sich in seiner Kehle aus und er schmeckte eine Mischung aus Metall und Hass in seinem Mund. Nur selten trauerte er bereits während eines Kampfes. Normalerweise sparte er sich seine Gefühle für die Zeit danach auf ... die Gefühle, die er noch nicht so tief zu vergraben gelernt hatte, dass er sie kaum noch wahrnahm. Doch jetzt schnürte ihm ein dumpfer Schmerz die Kehle zu, auch wenn seine Stimme beherrscht klang, als er den Abschiedsgruß sprach. »Sei gegrüßt und leb wohl, Thomas«, sagte er und streckte eine Hand aus, um seinem Freund die Augen zu schließen. »Ave .«

Plötzlich schnellte eine Hand hoch und packte ihn am Handgelenk. Sprachlos starrte Will nach unten, als Thomas’ glasige Augen seinen Blick suchten. Und während der weißliche Hauch des Todes bereits sein hellbraunes Gesicht überzog, stieß er mühsam hervor:

»Bin ... kein ... Schattenjäger.«

»Du hast das Institut verteidigt«, sagte Will. »Du hast dich so gut geschlagen wie jeder andere von uns.«

»Nein.« Erschöpft schloss Thomas die Augen. Seine Brust hob und senkte sich kaum noch und sein Hemd war derart mit Blut getränkt, dass es fast schwarz schimmerte. »Sie hätten ... sie abgewehrt, Sir ... Und das ... wissen Sie auch.«

»Thomas«, wisperte Will. Am liebsten hätte er ihm zugerufen: Sei still, spar deine Kräfte. Sobald die anderen hier sind, wird alles gut und du wirst dich bestimmt bald erholen. Aber es war eindeutig, dass Thomas sich nicht mehr erholen würde. Er war ein Mensch — keine Heilrune der Welt würde ihn retten können. Will wünschte inständig, Jem stünde nun statt seiner hier an Thomas’ Seite. Jem war derjenige, den man an seinem eigenen Sterbebett sehen wollte, denn Jem konnte jedem das Gefühl geben, dass alles wieder in Ordnung kommen würde — wohingegen Will insgeheim befürchtete, dass es nur wenige Situationen gab, die durch seine Anwesenheit nicht noch verschlimmert wurden.

»Sie lebt«, stieß Thomas hervor, die Augen weiterhin fest geschlossen.

»Wie bitte?«, fragte Will vollkommen überrumpelt.

»Die junge Dame, wegen der Sie zurückgekommen sind. Tessa. Sie ist bei Sophie.« Thomas klang, als wäre es für jedermann offensichtlich, dass Will um Tessas willen zurückgekehrt war. Im nächsten Moment wurde Thomas von einem Hustenanfall gepackt und ein Schwall Blut ergoss sich aus seinem Mund und rann ihm das Kinn hinab. Aber das schien er gar nicht mehr wahrzunehmen. »Passen Sie gut auf Sophie auf, Will. Sophie ist ...«

Doch Will sollte nicht mehr herausfinden, was mit Sophie war — Thomas’ Griff um sein Handgelenk erschlaffte plötzlich, sein Kopf sackte nach hinten und schlug mit einem dumpfen Dröhnen auf dem harten Steinboden auf. Langsam setzte Will sich auf. Er hatte diesen Moment oft genug miterlebt, um genau zu wissen, dass der Tod eingetreten war. Und es bestand auch keine Notwendigkeit, Thomas’ Lider zu schließen — er hatte die Augen nicht mehr geöffnet.

»Schlaf nun, treuer und ergebener Diener der Nephilim«, sagte Will leise, ohne genau zu wissen, woher diese Worte kamen. »Schlaf. Und danke für alles.«

Natürlich reichte das nicht ... nicht einmal annähernd, doch mehr hatte er im Moment nicht zu bieten. Hastig rappelte Will sich auf und lief die Wendeltreppe hinauf.

Nachdem sich die Tür hinter den KlockwerkKreaturen geschlossen hatte, breitete sich eine unbehagliche Stille im Sanktuarium aus, die nur vom Plätschern des Springbrunnens hinter Tessas Rücken durchbrochen wurde.

Mortmain stand reglos da und musterte sie schweigend. Auch jetzt bot er noch immer keinen Furcht einflößenden Anblick, überlegte Tessa: Ein kleiner, ganz gewöhnlicher Mann mit dunklen, an den Schläfen ergrauten Haaren und eigentümlich hellen Augen.