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Tessa wartete, doch Camilles innerer Stimme schwieg. Warum sagt sie nichts?, dachte Tessa hektisch, bekämpfte den Panikanfall aber und brachte ein Lächeln zustande. »Meine Träume, lieber Alexei«, setzte sie an und hoffte inständig, dass er den heiseren Ton in ihrer Stimme als Belustigung und nicht als Angst interpretierte, »meine Träume sind möglicherweise schon jetzt kühner, als du dir vorstellen kannst.«

Tessa spürte, wie Will ihr einen überraschten Blick zuwarf; doch im nächsten Moment hatte er sich wieder im Griff, setzte erneut eine ausdruckslose Miene auf und schaute in eine andere Richtung.

De Quinceys Augen funkelten, doch er lächelte nur.

»Ich bitte dich lediglich, mein Angebot in Betracht zu ziehen, Camille. Und nun muss ich mich wieder meinen anderen Gästen widmen. Ich darf doch davon ausgehen, dich nachher bei der Zeremonie zu sehen?«

Seine Frage verwirrte Tessa etwas und sie konnte nur hoheitsvoll nicken. »Selbstverständlich.«

De Quincey verbeugte sich, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge. Erleichtert holte Tessa tief Luft — sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.

»Nicht«, raunte Will leise an ihrer Seite. »Denk dran: Vampire brauchen nicht zu atmen.«

»Mein Gott, Will.« Tessa spürte, dass sie am ganzen Körper zitterte. »Er hätte dich fast gebissen.«

Wills Augen verfinsterten sich vor verhaltenem Zorn. »Vorher hätte ich ihn umgebracht.«

»Und dann wärt ihr beide nun tot«, bemerkte eine Stimme seitlich von Tessas Ellbogen.

Erschrocken wirbelte Tessa herum. Direkt hinter ihr stand ein hochgewachsener Mann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Unter seinem eleganten Gehrock aus schwerem Brokat, der aus einem früheren Jahrhundert zu stammen schien und an dessen Kragen und Manschetten eine Fülle weißer Spitze hervorschaute, entdeckte Tessa Kniehosen und hohe Schuhe mit glänzenden Schnallen. Das blauschwarze Haar des Mannes schimmerte wie dunkle Rohseide, während der Schnitt seines gebräunten Gesichts Tessa an Jem erinnerte. Sie fragte sich, ob er wohl genau wie Jem fremdländischer Herkunft war. Ihr Blick wanderte zu einem seiner Ohren, in dem er einen Silberring mit einem Diamantanhänger von der Größe eines Fingers trug. Im Schein der Kerzen funkelte und strahlte der Edelstein hell und auch der Knauf seines silbernen Spazierstocks war mit Diamanten besetzt. Der Mann schien am ganzen Körper zu glitzern, als wäre seine Silhouette von einem Elbenlichtkranz umgeben. Tessa starrte ihn sprachlos an: Nie zuvor hatte sie einen Mann gesehen, der sich auf solch exzentrische Weise kleidete.

»Das ist Magnus«, raunte Will erleichtert. »Magnus Bane.«

»Meine liebe Camille«, setzte der Hexenmeister an und beugte sich über Tessas behandschuhte Finger.

»Wir haben einander viel zu lange nicht gesehen.«

Als seine Lippen ihre Hand berührten, wurde Tessa von Camilles Erinnerungen förmlich überflutet: Bilder von Magnus, der sie in den Armen hielt, sie küsste und auf eine ausgesprochen persönliche und intime Weise berührte. Bestürzt riss Tessa die Hand zurück und quietschte leise auf. Ach, JETZT bist du plötzlich wieder da!, schickte sie einen stummen Vorwurf an Camille.

»Ich verstehe«, murmelte Magnus und richtete sich auf. Als er ihr direkt ins Gesicht sah, hätte Tessa fast erneut die Contenance verloren: Seine goldgrünen Augen besaßen katzenartige Pupillen und funkelten amüsiert. Aber im Gegensatz zu Will, in dessen Blick selbst bei größter Belustigung immer eine Spur Melancholie lag, schienen Magnus’ Augen voll überbordender Lebensfreude. Lächelnd deutete er mit dem Kopf auf die andere Seite des Raums und forderte Tessa auf, ihm zu folgen. »Wenn das so ist: Bitte nach mir. Dort drüben befindet sich ein Separee, in dem wir uns ungestört unterhalten können.«

Wie in Trance folgte Tessa dem Hexenmeister, Will dicht an ihrer Seite. Bildete sie sich das nur ein oder drehten sich die weißen Gesichter der Vampire tatsächlich nach ihnen um? Vor allem eine rothaarige Vampirin in einem aufwendig verzierten blauen Kleid starrte sie unverhohlen an, als sie an ihr vorbeiging. Camilles Stimme wisperte, dass die Dame eifersüchtig sei — auf die Hochachtung, die de Quincey ihr entgegenbrachte. Auf jeden Fall war Tessa sehr erleichtert, als Magnus endlich eine Tür erreichte, die so raffiniert in die Wandvertäfelung eingelassen war, dass sie sie erst bemerkte, als sie direkt davorstanden. Der Hexenmeister zückte einen Schlüssel, entriegelte rasch das Schloss, öffnete die Tür einen Spalt und schob sich in den dahinterliegenden Raum, dicht gefolgt von Tessa und Will.

Bei dem Separee handelte es sich um eine Bibliothek, die offenbar nur selten genutzt wurde. Auf den hohen Bücherregalen mit den dicken Wälzern lag zentimeterhoch Staub und auch die zugezogenen Samtvorhänge vor den Fenstern wirkten schmutzig. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, versank der Raum wieder in tiefer Dunkelheit. Doch bevor Tessa etwas sagen konnte, schnippte Magnus mit den Fingern, woraufhin in den offenen Kaminen an beiden Enden der Bibliothek blaue Flammen zwischen den Holzscheiten emporschossen und ein knisterndes Feuer entzündeten, das einen betörenden Duft wie von Räucherstäbchen verströmte.

»Oh!«, stieß Tessa überrascht hervor.

Mit einem breiten Grinsen ließ Magnus sich auf dem großen Marmortisch in der Raummitte nieder, legte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf den Ellbogen. »Haben Sie etwa noch nie einen Hexenmeister bei der Arbeit gesehen, meine Liebe?«

Will seufzte übertrieben. »Wenn du bitte davon Abstand nehmen würdest, sie aufzuziehen, Magnus. Ich darf wohl davon ausgehen, dass Camille dir erzählt hat, wie wenig sie über die Verborgene Welt weiß.«

»In der Tat, das hat sie«, erwiderte Magnus ohne eine Spur von Reue, »aber es lässt sich nur schwer glauben, wenn man bedenkt, wozu sie fähig ist.« Ruhig heftete er seinen Blick auf Tessa. »Ich habe Ihr Gesicht gesehen, als ich Ihnen die Hand geküsst habe. Sie wussten sofort, wer ich bin, stimmt’s? Sie wissen alles, was Camille weiß.

Es gibt zwar ein paar Hexenmeister und Dämonen, die ihr Äußeres verändern und jede gewünschte Gestalt annehmen können, aber ich habe noch nie zuvor von einem Gestaltwandler gehört, der über Ihre Fähigkeiten verfügt.«

»Es steht noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit fest, ob ich überhaupt eine Hexe bin«, entgegnete Tessa. »Charlotte meinte, ich trage kein Mal, so wie jedes andere Lilithkind eines trägt.«

»Oh doch, Sie sind eine Hexe. Das kann ich Ihnen versichern. Nur weil Sie keine Fledermausohren haben ...« Magnus sah, wie Tessa die Stirn runzelte, und hob belustigt die Augenbrauen. »Ach, Sie wollen gar keine Hexe sein, habe ich recht? Allein der Gedanke ist Ihnen schon zuwider.«

»Nein, ich ... Ich habe einfach nur nie angenommen ... dass ich etwas anderes sein könnte als ein Mensch«, wisperte Tessa.

»Armes Ding«, sagte Magnus, nicht einmal unfreundlich. »Jetzt, da Sie die Wahrheit kennen, führt kein Weg mehr zurück.«

»Lass sie in Ruhe, Magnus.« Wills Stimme klang scharf. »Ich muss diesen Raum durchsuchen. Wenn du mir nicht helfen willst, dann versuch wenigstens, Tessa nicht zu quälen.« Damit marschierte er zu dem großen Eichenschreibtisch in der Ecke der Bibliothek und begann, die darauf liegenden Unterlagen und Dokumente zu durchstöbern.

Magnus drehte sich zu Tessa um und zwinkerte ihr zu. »Ich denke, er ist eifersüchtig«, flüsterte er in verschwörerischem Ton.

Tessa schüttelte den Kopf und schlenderte zum nächsten Bücherregal. Auf dem mittleren Regalbord lag ein Buch aufgeschlagen, so als sollte es präsentiert werden. Die Seiten waren mit leuchtenden, kunstvollen Abbildungen versehen und manche Bereiche der Illustrationen schimmerten, als hätte man sie mit Blattgold auf das Pergament aufgetragen. »Das ist ja eine Bibel!«, stieß Tessa erstaunt hervor.