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»Ein Fahrer in Denver, der Pilot im Privatflugzeug und ein Fahrer hier.«

»Vielleicht sogar noch ein Copilot«, warf Dave schnell ein.

»So sind jedenfalls die Vorschriften.«

»Das ist doch so gut wie unmöglich«, bemerkte sie. Vince nickte seufzend. »Da widerspreche ich nicht.«

»Ihr habt keinen von denen gefunden, oder?«

»Nein.«

Sie dachte erneut nach, hielt den Kopf gesenkt, ihre sonst so glatte Stirn war tief gefurcht. Wieder ließen ihr die Männer Zeit, und nach vielleicht zwei Minuten schaute sie auf. »Aber warum? Was könnte fur Cogan so wichtig gewesen sein, um solche Umstände in Kauf zu nehmen?«

Vince Teague und Dave Bowie sahen sich an, dann sagte Vince: »Na, das ist wirklich eine gute Frage!«

»Eine supergute Frage«, echote Dave.

»Die größte Frage überhaupt«, ergänzte Vince.

»Natürlich«, meinte Dave. »War sie schon immer.«

Dann sagte Vince leise: »Wir wissen es nicht, Stephanie. Wir haben es nicht herausgefunden.«

Und Dave fügte noch leiser hinzu: »Das würde dem Boston Globe nicht gefallen. Ganz und gar nicht.«

17

»Wir sind natürlich nicht der Boston Globe«, sagte Vince.

»Wir sind nicht mal die Daily News aus Bangor. Aber Stephanie, wenn ein Erwachsener völlig aus der Spur läuft, dann sucht jeder Journalist, egal ob in einer Klein- oder Großstadt, nach einer Erklärung. Es ist unwichtig, ob am Ende die halbe Picknickgesellschaft der Methodisten vergiftet ist oder ob sich nur die männliche Hälfte eines Ehepaares eines Wochentags morgens leise verdrückt und nie wieder lebendig gesehen wird. Jetzt sag mir mal – ohne dass du bedenkst, wo James Cogan gelandet ist und wie unwahrscheinlich der Weg dahin ist –, was es für Gründe geben könnte, aus der Spur zu laufen. Zähle sie auf! Ich will mindestens vier Finger in der Luft sehen.«

Es gibt wieder Unterricht, dachte Stephanie. Dann fiel ihr etwas ein, was Vince einen Monat zuvor fast beiläufig gesagt hatte: Um im Nachrichtengewerbe erfolgreich zu sein, schadet es nicht, eine schmutzige Phantasie zu haben, mein Mädchen. Damals hatte sie seine Bemerkung abwegig gefunden, ja sogar leicht senil. Jetzt meinte sie, seinen Ausspruch besser zu verstehen.

»Sex«, sagte sie und streckte den linken Zeigefinger aus, den Finger namens Colorado Kid. »Will sagen: eine andere Frau.« Der nächste Finger. »Geld – Schulden oder Diebstahl.«

»Vergiss nicht das Finanzamt«, sagte Dave. »Manche Leute verdrücken sich, wenn sie merken, dass sie Onkel Sam was schuldig sind.«

»Damit kennt sie sich noch nicht aus, das kann man ihr nicht vorwerfen«, sagte Vince. »Weiter, Steffi, du machst das gut.«

Sie hatte noch nicht genug Gründe an den Fingern abgezählt, um ihn zufrieden zu stellen, aber ihr fiel nur noch einer ein.

»Der Wunsch, ein neues Leben zu beginnen?«, fragte sie zaghaft, eher sich selbst als die beiden Männer. »Einfach … keine Ahnung … alle Brücken hinter sich abzubrechen und als anderer Mensch an einem anderen Ort noch mal neu anzufangen?«

Dann fiel ihr doch noch etwas ein: »Wahnsinn?« Jetzt hielt sie vier Finger hoch: einen für Sex, einen für Geld, einen für Veränderung, einen für Wahnsinn. Zweifelnd betrachtete sie die letzten beiden: »Vielleicht sind Veränderung und Wahnsinn dasselbe?«

»Vielleicht«, entgegnete Vince. »Und man könnte argumentieren, dass der Begriff ›Wahnsinn‹ alle möglichen Abhängigkeiten einschließt, vor denen man weglaufen möchte. Manchmal wird einem ja geraten, aus dem alten Umfeld wegzuziehen. Ich denke in erster Linie an Drogen und Alkohol. Auch bei Spielsucht versuchen es die Menschen mit Weglaufen, aber die fällt ja wohl eher unter den Oberbegriff ›Geld‹.«

»Hatte er Probleme mit Drogen oder Alkohol?«

»Aria Cogan verneinte es, und ich denke, sie hätte es gewusst. Und da sie sechzehn Monate Zeit hatte und er längst tot war, glaube ich, dass sie es mir gesagt hätte.«

»Aber, Steffi«, warf Dave vorsichtig ein, »wenn man es recht bedenkt, muss es schon irgendwas mit Wahnsinn zu tun haben, meinst du nicht?«

Sie dachte an James Cogan oder Colorado Kid, der tot am Hammock Beach mit dem Rücken an der Mülltonne leimte, ein Stück Fleisch in der Kehle, die geschlossenen Augen auf Tinnock und das Meer gerichtet. Sie dachte daran, dass die Finger der einen Hand gekrümmt gewesen waren, als umfasse er noch immer den Rest seines Mitternachtssnacks, ein Stück Steak, das eine hungrige Möwe ihm zweifellos gestohlen hatte, so dass nur noch ein klebriges Sandmuster auf der fettigen Innenfläche seiner Hand zurückgeblieben war. »Ja«, sagte sie.

»Irgendetwas hat es mit Wahnsinn zu tun. Wusste sie das? Seine Frau?«

Die beiden Männer sahen sich an. Vince seufzte und rieb sich die messerscharfe Nase. »Möglicherweise, aber sie musste sich um ihr eigenes Leben kümmern, Steffi. Um ihres und das ihres Sohnes. Wenn ein Mann einfach so verschwindet, hat es die zurückgelassene Frau verdammt schwer. Sie konnte in ihren alten Job zurück, bei einer Bank in Boulder, aber das Haus in Nederland konnte sie nicht halten –«

»Hernando’s Hideaway«, murmelte Stephanie und empfand Mitleid für die Frau.

»Ah jo, genau das. Sie schlug sich wacker, musste sich nicht allzu viel Geld von der Familie leihen, von seiner schon gar nicht, aber sie brauchte so gut wie alle Ersparnisse auf, die sie für die Ausbildung des kleinen Michael zur Seite gelegt hatten. Als wir sie trafen, Stephanie, wollte sie meiner Meinung nach zweierlei: etwas Praktisches und etwas, das man vielleicht … spirituell nennen könnte.« Skeptisch blickte er Dave an, der mit den Schultern zuckte und nickte, als wolle er sagen, das Wort würde schon passen.

Vince nickte ebenfalls und fuhr tort: »Sie wollte die Ungewissheit loswerden. Lebte er noch oder war er tot? War sie eine verheiratete Frau oder eine Witwe? Durfte sie die Hoffnung aufgeben oder weiterhoffen? Vielleicht klingt die letzte Frage etwas hartherzig, mag sie auch sein, aber ich denke, dass Hoffnung nach sechzehn Monaten eine verdammt große Last ist, die schwer auf den Schultern wiegt.

Was das Praktische anging, das war einfach: Sie wollte, dass die Lebensversicherung zahlt. Ich weiß, dass Aria Cogan nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, der Versicherungen hasst, aber bei ihr ging das schon ziemlich weit, so abgrundtief war ihr Hass. Sie hatte sich am Riemen gerissen, war über die Runden gekommen, zusammen mit Michael in der Drei- oder Vierzimmerwohnung in Boulder, eine beträchtliche Umstellung nach dem schönen Haus in Nederland, sie musste ihn tagsüber betreuen lassen, von Babysittern, denen sie nicht unbedingt vertrauen konnte, sie hatte eine Stelle, die sie eigentlich nicht mochte, lag nachts allein im Bett, nachdem sie sich jahrelang an jemanden hatte kuscheln können, machte sich Sorgen über die Rechnungen, sah immer auf die Tankanzeige, weil Diesel damals schon teuer war … und die ganze Zeit war sie im Innersten überzeugt, dass er tot war, aber die Versicherung wollte nicht zahlen, weil es keine Leiche gab und schon gar keine Todesursache. Sie fragte mich immer wieder, ob ›die Schweine‹ – so nannte sie die Leute von der Versicherung – sich irgendwie ›davonstehlen‹ könnten, ob sie sich mit Selbstmord herausreden konnten. Ich sagte ihr, dass ich noch nie von jemandem gehört hätte, der seinen eigenen Erstickungstod mit Hilfe eines Stücks Fleisch herbeigeführt hätte, und als sie später in Cathcarts Gegenwart das Totenbild offiziell identifizierte, erklärte er ihr dasselbe. Das schien ihr ein wenig Ruhe zu verschaffen. Cathcart legte sich schwer ins Zeug, sagte, er würde den Versicherungsvertreter in Brighton, Colorado, anrufen und das mit den Fingerabdrücken und der Identifizierung per Foto erklären. Er wollte alles niet-und nagelfest machen. Sie musste ein bisschen weinen – ein wenig aus Erleichterung und aus Dankbarkeit, ein bisschen vor Erschöpfung, nehme ich an.«