richtig, aber Izzy nicht. Warum nicht Izzy? Wie sonst?
Russet!
Fast hätte ich laut gelacht, verzog aber natürlich keine Miene. Russet Eaglewood war der Name, um den sich unsere sehr pubertären schmutzigen Witze gerankt hatten. Welche Farbe hat der Schlüpfer von Russet Eaglewood? Überhaupt keine, sie hat nämlich keinen an. Russet Eaglewood braucht keine Matratze, sie ist eine. Was treibt Russet Eaglewood sonntags? Dasselbe zweimal. Wir hatten natürlich keine Ahnung gehabt, was sie tatsächlich trieb. Wir sagten ES dazu, und ES war eigentlich auf jeden anwendbar. Ob sie ES treiben? Kicher, kicher. Eines Tages - eines unvorstellbar fernen Tages - würden wir selbst dahinterkommen, was ES war. Inzwischen ging ES in der ganzen Rennwelt munter weiter, und wie wir hörten, auch sonst überall.
Der Vater von Russet Eaglewood war einer der führenden Hindernistrainer gewesen, und deshalb hatten wir die frechen Geschichten ganz besonders lustig gefunden.
Die Erinnerungen drängten auf mich ein. Die Eaglewoods hatten ihren Stall am Ortsausgang gehabt, eine halbe Meile von unserem Cottage entfernt. Ihre Pferde waren im Morgengrauen durchs Dorf getrappelt, auf dem Weg zum Trainingsgelände, und ich hatte im Stallhof oft mit Jimmy Eaglewood gespielt, bis er von einem Laster überfahren wurde und nach dreiwöchigem Koma starb. Ich entsann mich gut an das Unglück, aber nicht an Jimmys Gesicht. Ich konnte mich an überhaupt kein Gesicht deutlich erinnern; nur ganz vage Eindrücke kamen wieder hoch.
»Izzy Eaglewood ist mit einem Gitarristen abgehauen«, sagte Belinda mißbilligend.
»Nichts gegen Gitarristen«, sagte Vicky. »Dein Vater
war auch Musiker.«
»Eben. Alles gegen Gitarristen.«
Vicky machte ein Gesicht, als wäre sie mit leidiger Regelmäßigkeit gezwungen, ihren längst geschiedenen Mann gegen Belindas Scherze zu verteidigen.
Ich sagte zu Ken: »Haben Sie Vicky und Greg mal singen hören? Ihre Stimmen sind wundervoll.«
Er verneinte. Der Gedanke schien ihn zu überraschen.
»Mutter«, sagte Belinda streng, »ich wünschte, ihr würdet das bleibenlassen.«
»Das Singen?« fragte Vicky. »Aber du weißt doch, daß es uns Spaß macht.«
»Ihr seid zu alt dafür.« Das war weniger eine Herabsetzung als vielmehr eine inständige Bitte.
Vicky musterte ihre Tochter und sagte mit trauriger Klarsicht: »Dir ist das peinlich, ja? Es behagt dir nicht, daß deine Mutter in Nachtclubs gesungen hat, um dich großzuziehen?«
»Mutter!« Belinda warf einen entsetzten Blick auf Ken, der jedoch keineswegs schockiert war, sondern sich richtiggehend freute.
»Hast du das wirklich gemacht?«
»Bis die Zeit einen Schlußstrich gezogen hat.«
»Ich würde dich gern mal hören«, sagte Ken.
Vicky strahlte ihn an.
»Aber bitte, Mutter, binde das nicht jedem auf die Nase«, sagte Belinda.
»Wenn du es nicht möchtest, Schatz.«
Rufen Sie es von den Dächern, hätte ich am liebsten gesagt. Belinda sollte stolz auf Sie sein. Geben Sie nicht jeder selbstsüchtigen Laune Ihrer versnobten Tochter nach. Aber Vickys Mutterliebe verzieh alles.
Ken verlangte die Rechnung und zahlte per Kreditkarte, doch ehe wir aufstehen konnten, um zu gehen, ertönte eindringlich ein Summer irgendwo in seiner Kleidung.
»Verdammt«, sagte er, faßte unter sein Jackett und löste ein tragbares Telefon von seinem Gürtel. »Ich habe Bereitschaft. Tut mir leid.«
Er klappte das Telefon auf, sagte seinen Namen und hörte zu; und es war offensichtlich kein Routineruf zu irgendeinem kranken Tier, denn das Blut wich aus seinem Gesicht, er richtete sich schnell und linkisch auf und wankte dann in seiner ganzen Größe buchstäblich hin und her.
Verstört, mit leerem Blick, schaute er uns an.
»Die Klinik brennt«, sagte er.
Kapitel 3
Die Tierarztpraxis brannte, aber wie sich herausstellte, nicht die neue Klinik selbst, die in einem Nebengebäude untergebracht war. Von der Straße aus konnte man jedoch nur den völlig in Flammen aufgegangenen Empfangs- und Bürotrakt sehen, aus dessen Dach unter goldenem Funkenregen rote Zungen hoch in den Himmel hinaufschossen. Es war ein einstöckiges Haus, solid, weitläufig, und sein Ende war spektakulär - großartig, trotz des ganzen Desasters.
Ken war wie rasend allein aus dem Restaurant gestürzt und in wahnsinniger Fahrt davongebraust, ob wir ihm nun folgten oder nicht und ohne zu bedenken, wie zurückgestoßen sich Belinda dadurch fühlen würde.
»Er hätte auf mich warten können.«
Sie sagte das in gekränktem Ton viermal, doch niemand äußerte sich dazu. Ich fuhr uns unter Mißachtung des Tempolimits in den Ort.
An die Tierarztpraxis war mit dem Wagen nicht heranzukommen. Feuerwehrgerät, Streifenwagen und Schaulustige drängten sich am Parkplatzrand und versperrten die ganze Fahrbahn. Der Lärm war ungeheuer. Scheinwerfer und Straßenlaternen warfen tiefschwarze Schatten hinter die umherrennenden Helfer, und die Flammen verliehen den Feuerwehrhelmen orangefarbene Heiligenscheine, widerspiegelten sich in dem Wasser überall und tanzten auf den gebannten Gesichtern außerhalb des abgesperrten Bereichs.
»O Gott, die Pferde ...« Belinda rannte sofort los, als unser Wagen zwangsläufig zum Stehen kam, und drängte und schlängelte sich nach vorn durch, wo ich sie dann kurz bei einem Disput mit einem Uniformierten erblickte,
der ihr den Weg versperrte. Ken war nicht zu sehen.
Dunstumhülltes Wasser stieg aus Schläuchen empor und fiel in leuchtenden Fontänen auf das brennende Dach nieder, um sich, wie es schien, augenblicklich in Dampf zu verwandeln und unter dem schwarzen Himmel zu verwehen. Die Hitze erwärmte noch weithin die Nacht.
»Die Ärmsten«, sagte Vicky und mußte schreien, um sich in dem Lärm Gehör zu verschaffen.
Ich nickte. Ken hatte ohnedies schon genug Sorgen.
Es gab zwei dumpfe Explosionen irgendwo innerhalb der Mauern, und beide trieben riesige Stichflammen zu den geborstenen Vorderfenstern heraus. Beißender, in die Augen stechender Rauch quoll hinter ihnen her.
»Zurück, zurück«, wurde gerufen.
Noch zwei Explosionen. Durch die Fenster zuckten, aufröhrend wie Flammenwerfer, spitze helle Zungen über den Parkplatz auf die erschrockenen Schaulustigen zu und jagten sie in die Flucht.
Wieder ein Knall. Wieder eine gewaltige Flammengarbe. Die Feuerwehrleute gruppierten sich neu, steckten die Köpfe zusammen.
Das ganze Dach stürzte ein wie mit einem Donnerschlag, worauf noch mehr Flammen wie Zahncreme aus den Fenstern gepreßt wurden, und dann verwandelte das brüllende Inferno sich urplötzlich in fettschwarze Rauchschwaden, und das Feuerwerk versickerte in einem nassen, dreckigen Chaos, das säuerlich roch.
Asche trieb im Wind und ließ sich in grauen Flocken auf unseren Haaren nieder. Man hörte das Zischen von Wasser auf heißer, erlöschender Glut. Würgendes Husten im Rauch. Die Zuschauer zogen langsam ab, so daß wir drei näher an das zerstörte Gebäude heran konnten, um nach
Belinda und Ken zu suchen.
»Meinen Sie, das ist sicher?« fragte Vicky zweifelnd und blieb weit davor stehen. »Sind da nicht Bomben hochgegangen?«
»Eher Farbdosen«, sagte ich.
Greg sah überrascht drein. »Kann Farbe explodieren?«
Wo hatte er denn gelebt, fragte ich mich, wenn er das in seinem Alter nicht wußte?
»Mehl explodiert auch«, sagte ich.
Vicky warf mir einen sonderbaren Blick zu, als ob sie trotz erheblicher Zweifel noch an meine geistige Gesundheit zu glauben bemüht sei, aber mit Mehl durchsetzte Luft explodiert tatsächlich, wenn man sie entzündet. Mit Luft vermischt, sind viele Stoffe leicht entzündlich. Alte Kumpane: Sauerstoff, Brennstoff und Feuer.
»Gehen Sie doch zurück zum Auto«, schlug ich Vicky und Greg vor. »Ich suche die beiden. Ich sage ihnen, daß ich Sie nach Hause fahre.«