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Sie sahen beide erleichtert aus und schlossen sich den abwandernden Leuten an. Ich drückte mich an ein paar Beamten vorbei, konnte zwar nirgends Belinda und Ken entdecken, fand aber rechts von dem abgebrannten Gebäude einen Seitenarm des Parkplatzes, der zu einem größeren Platz auf der Rückseite führte. Dort hinten war Bewegung, Licht und waren Leute.

Ich sah Ken kurz von weitem, als er durch einen Lichtkreis eilte, und lief auf ihn zu, obwohl hinter mir Warnrufe ertönten. Die Hitze, die von der Ziegelmauer zu meiner Linken ausging, hatte Backofenstärke, was die Rufe erklärte, und ich hoffte im Vorbeisausen doch sehr, daß nicht der ganze Bau nach außen kippte und mich auf der Stelle röstete.

Ken sah mich auf sich zurennen und blickte erst einmal mit offenem Mund den Weg hinunter, den ich gekommen war.

»Guter Gott«, sagte er, »sind Sie da langgelaufen? Das ist gefährlich. Man kann außen herumgehen.« Er deutete hinter sich, und ich sah, daß es tatsächlich einen Zugang von einer anderen Straße gab, denn dort stand ein Löschfahrzeug, das die Flammen von der Rückseite her bekämpft hatte.

»Kann ich irgendwas tun?« fragte ich.

»Den Pferden geht’s gut«, sagte Ken. »Aber ich brauche ... ich weiß nicht.« Er schwieg abrupt und begann zu zittern, als hätte das Ausmaß der Katastrophe ihn jetzt, wo es nicht mehr nötig war, sofort zu handeln, überwältigt. Sein Mund verzerrte sich, und sein ganzes Gesicht bebte.

»Gott steh mir bei«, sagte er.

Es klang nach einem echten Stoßgebet, das sich auf sehr viel mehr bezog als den Verlust eines Gebäudes. Ich war zwar kein guter Ersatz für die Gottheit, aber doch auch nicht unerfahren in der Bewältigung von Katastrophen. Verunglückte etwa ein Bus mit britischen Touristen, dann landeten sie, bildlich gesprochen, vor den Türen der Botschaft, und so hatte ich mich schon vieler menschlicher Tragödien angenommen.

»Ich bringe Vicky und Greg nach Hause und komme dann wieder her«, sagte ich.

»Bestimmt?« Schon für den Vorsatz schien er rührend dankbar zu sein. Er zitterte weiter, dem Zusammenbruch nah.

»Halten Sie durch«, sagte ich und ging, ohne noch Zeit zu verlieren, zum Hinterausgang hinaus, lief die schmale Straße dort hinunter und gelangte durch eine Gasse wieder auf die Hauptstraße, ein Glücksfall, denn ich kam nur ein paar Schritte vom Wagen entfernt heraus. Vicky und Greg ließen sich ohne Protest nach Hause fahren. Belinda würde ihnen hoffentlich verzeihen, aber sie hätten das Bedürfnis, eine Woche lang nur zu schlafen, sagten sie, und ich solle ihr bitte ausrichten, daß sie nicht geweckt werden wollten.

Ich blickte sie liebevoll an, während sie ermattet in der blanken Halle von Thetford Cottage standen. Sie hatten viel mitgemacht, und wenn ich zurückdachte, hatten sie sich eigentlich nicht ein einziges Mal ernstlich darüber beklagt. Ich sagte ihnen tschüs, bis morgen, und nahm auf ihre Bitte hin den Schlüssel für die Haustür mit, die sie hinter mir zuwarfen.

Ich kehrte über die Seitenstraße zur Tierarztpraxis zurück und roch an der Zufahrt wieder den ätzenden Rauch, der im Hals schmerzte wie eine Mandelentzündung. Das Löschfahrzeug auf der Rückseite hatte seine Schläuche eingeholt und sich verabschiedet, nur ein einzelner behelmter Mann in gelber Ölhaut stapfte umher, um aufzupassen, daß die Trümmer nicht von selber wieder Feuer fingen.

Schnell schaute ich mir den Bereich an, der vom Brand verschont geblieben war: ein neu aussehender einstöckiger Bau, dessen sämtliche Fenster hell erleuchtet waren, eine Reihe von leeren Stallboxen mit offenen Türen, leicht zurückgesetzt unter einem vorstehenden Dach, und ein verglaster, dreißig Meter langer Durchgang, der das abgebrannte mit dem nicht abgebrannten Nebengebäude verband. Diese Passage war erstaunlicherweise weitgehend unbeschädigt, nur die am stärksten der Hitze ausgesetzten vorderen Scheiben waren zersprungen.

Die Leute hasteten noch herum, als ob es ungehörig wäre, langsam zu gehen. Die größte Dringlichkeit war indessen vorbei: Was blieb, waren die üblichen mühseligen Räumungsarbeiten. Wobei es diesmal anscheinend keine Toten gab, die man in Säcken hinaustragen mußte. Man muß auch die positiven Seiten sehen.

Da Ken nirgends zu sehen war und eine Tür des Neubaus offenstand, ging ich hinein, um ihn zu suchen, und landete in einer als Warteraum ausstaffierten Eingangshalle mit einem halben Dutzend Klappstühlen und einem Mindestmaß an Behaglichkeit.

Alles, einschließlich des Fliesenfußbodens und eines Kaffeeautomaten in der Ecke, war klitschnaß. Ein Mann, der erfolglos versuchte, dieser Maschine eine Stärkung zu entlocken, versetzte ihr einen kräftigen Tritt, als wäre ihr Ausfall nach all dem anderen nun wirklich der Gipfel.

»Wo ist Ken?« fragte ich ihn.

Er deutete auf eine offene Tür und ging erneut auf den Automaten los, und ich folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger und kam zu einem breiten Gang mit Türen auf beiden Seiten, darunter wieder einer offenen, hinter der Licht brannte. Ich fand Ken dort in einem ziemlich kleinen, funktionalen Raum, der momentan mehr Leute beherbergte, als vom Architekten vorgesehen.

Ken stand an dem vorhanglosen Fenster und zitterte immer noch wie Espenlaub. Ein grauhaariger Mann saß betrübt hinter einem Metallschreibtisch. Eine Frau mit verschmutztem Gesicht stand neben ihm und streichelte ihm die Schulter. Zwei weitere Männer und noch eine Frau hockten auf Büromöbeln oder lehnten an der Wand. Das Zimmer roch nach dem in ihrer Kleidung sitzenden Qualm, und es war kühl genug, um Kens Frösteln einer äußeren Ursache zuzuschreiben.

Alle wandten den Kopf nach mir, als ich in der Tür erschien, nur Ken nicht. Ich sagte seinen Namen, und er drehte sich um und sah mich, brauchte aber einen Moment, um zu schalten.

»Kommen Sie rein«, sagte er, und zu den anderen gewandt: »Er ist ein Helfer.«

Sie nickten, stellten keine Fragen. Alle sahen erschöpft aus, und bei meiner Ankunft hatten sie geschwiegen, als hielte der Schock sie noch davon ab, die panische Geschäftigkeit abzuschütteln und das normale Leben wieder aufzunehmen. Ich hatte schon viele Menschen in diesem Schwebezustand gesehen, zum erstenmal mit dreiundzwanzig, auf meinem ersten Auslandsposten in einem entlegenen Konsulat. Der Konsul war nicht da, und so mußte ich mich allein um ein britisches Charterflugzeug kümmern, das nach Einbruch der Dunkelheit einen bewaldeten Berghang gestreift und zerfetzte Körper zwischen zersplitterte Bäume gestreut hatte. Unter anderem war ich im Morgengrauen da draußen gewesen, um Plünderer fernzuhalten. Dann kamen Angehörige in die Stadt, um zu identifizieren, was sie konnten, und wie betäubt vor Schmerz bei mir Trost zu suchen. Da hieß es dann ganz schnell erwachsen werden. Schlimmer war es seither nicht gekommen.

Der Mann, der den Kaffeeautomaten mit Fußtritten traktiert hatte, kam in das Büro, ging an mir vorbei und setzte sich auf den Fußboden, den Rücken gegen die Wand gelehnt.

»Wer sind Sie?« fragte er im Aufblicken.

»Ein Bekannter von Ken.«

»Peter«, sagte Ken.

Der Mann nickte gleichgültig. »Der Kaffeeautomat ist im Eimer«, verkündete er.

Seine Augen waren rotgerändert, seine Hände und sein Gesicht schmutzig, sein Alter unbestimmt, zwischen dreißig und fünfzig. Seine Auskunft wurde apathisch aufgenommen.

Der grauhaarige Mann hinter dem Schreibtisch schien sowohl der Älteste wie auch der Ranghöchste zu sein. Er blickte von einem zum anderen und sagte müde: »Irgendwelche Vorschläge?«

»Daß wir ins Bett gehen«, sagte der Kaffeeautomatenmann.

»Einen besseren Computer kaufen«, regte einer der anderen Männer an. »Wenn die Daten auf Sicherungskopien überspielt sind, sollten wir sie künftig in einem Tresor aufbewahren.«

»Dafür ist es ein bißchen zu spät«, sagte eine von den Frauen, »da alle unsere Daten verbrannt sind.«

»Die neuen Daten eben.«