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»Das war’s dann«, sagte Ken und wandte sich zurück.

Er verriegelte die leeren Boxen im Vorbeigehen und steuerte nicht auf die Tür der Notaufnahme zu, sondern auf eine weiter links gelegene, die, wie ich feststellte, in den Ableger des schwarzgefliesten Gangs führte. Von dort konnte man durch vorhanglose Fenster auf den Platz hinaussehen, wo das Löschfahrzeug gestanden hatte. An einer langen Reihe von Kleiderhaken an der Wand gegenüber den Fenstern hingen ein paar Anoraks, Stoffmützen und ein Pferdehalfter. Darunter, auf dem Fußboden, standen mehrere Paar grüne Gummistiefel, darüber, auf einem Bord, eine Reihe Hausschuhe.

Ken trat sich die Schuhe sorgfältig an einer Matte ab und wartete, während ich das gleiche tat; dann öffnete er wieder eine Tür, und jetzt waren wir nur wenige Schritte und ein paar Ecken von unserem Ausgangspunkt entfernt. Ken brachte unsere Kittel in den Umkleideraum und bemerkte, wie still es in dem sonst so belebten Gebäude sei.

Ich teilte seine Ansicht, daß wir uns im Moment wegen böser Eindringlinge nicht zu beunruhigen brauchten, und bereute einigermaßen, meine Dienste für die ganze Nacht angeboten zu haben. Die Kälte hatte ich nicht bedacht, dabei würde es vor Tagesanbruch vermutlich noch kälter werden.

»Können wir uns nicht die Anoraks überziehen«, schlug ich vor, »und uns in Decken einwickeln?«

»Ja, das ginge«, wollte er sagen, doch das gleiche gedämpfte Geräusch wie in dem Restaurant unterbrach ihn: Das Telefon an seinem Gürtel piepte.

Er sah mich einen Augenblick verständnislos an, zog aber den Apparat heraus und klappte ihn auf.

»Hewett und Partner«, sagte er. »Ja ... Ken hier.«

Ich hätte nicht gedacht, daß er noch blasser werden könnte, doch er wurde es. Das Zittern erfaßte ihn so schlimm wie zuvor.

»Ja«, sagte er. »Gut ... ich komme sofort.«

Er klemmte mit fahrigen Fingern das Telefon an seinen Gürtel zurück und versuchte sich mit drei, vier tiefen Atemzügen wieder in die Gewalt zu bekommen, doch in den hellblauen Augen stand fast panischer Schrecken.

»Das Gestüt Vernonside«, sagte er. »Sie haben eine Mutterstute mit einer Kolik. Der Stutmeister führt sie herum, aber es wird schlimmer. Ich muß hin.«

»Schicken Sie jemand anders«, schlug ich vor.

»Wie könnte ich? Wenn ich jemand anders schicke, habe ich praktisch abgedankt.«

Er warf mir den leeren, verstörten Blick eines Mannes zu, der in einer nervenzerreißenden Klemme steckt, und als hätte er wirklich keine Wahl, ging er, ohne zu zögern, den Gang hinunter in den Medikamentenraum, wo er rasch einen Armvoll Flaschen, Spritzen und andere Geräte zusammensuchte, um sie hinaus ins Auto zu schaffen. Die Finger zitterten ihm. Er ließ nichts fallen.

»Ich bin mindestens eine Stunde weg«, sagte er, »wenn alles gutgeht.« Er sah mich kurz an. »Würden Sie vielleicht hierbleiben? Es ist eine Zumutung, ich weiß ... eigentlich kennen wir uns ja kaum.«

»Ich bleibe hier«, sagte ich.

»Rufen Sie die Polizei, wenn irgendwas passiert.«

Er lief den Gang hinunter in Richtung der Kleiderhaken und sagte mir über die Schulter weg, daß ich mich mit ankommenden Telefonanrufen nicht herumzuschlagen brauchte, die würden in der Zentrale zu seinem tragbaren Apparat umgeleitet. Ihr Standardverfahren für denjenigen, der Nachtdienst hatte.

»Sie können aber nach draußen anrufen«, sagte er, nahm einen Anorak herunter, streifte seine Schuhe ab und schlüpfte in Gummistiefel. »Am besten nehmen Sie meine Schlüssel.« Er warf mir das schwere Bund zu. »Bis dann.«

Er eilte zur Tür am anderen Ende hinaus und warf sie hinter sich ins Schloß, und innerhalb von Sekunden hörte ich seinen Wagen starten und losfahren.

Als ich ihn nicht mehr hören konnte, probierte ich den verbliebenen olivgrünen Anorak an, doch er war für eine kleine Frau wie Belinda geschnitten und paßte mir nicht. Ich begnügte mich mit einer Wolldecke aus dem Röntgenraum, setzte mich, bis ans Kinn eingemummt, in den Sessel im Büro, legte die Füße auf den Schreibtisch und las einen Artikel in einer tiermedizinischen Zeitschrift, einen Aufsatz über die Verpflanzung von Eizellen unfruchtbarer Stuten auf gebärfähige andere und die möglichen Folgen, die sich daraus für das VollblutZuchtbuch ergeben konnten.

Das war nicht gerade spannende Unterhaltung.

Ein paarmal ging ich noch herum, erwartete oder befürchtete aber nicht mehr, ein neues Freudenfeuerchen zu entdecken. Nach wie vor fragte ich mich, ob der Bürobau angezündet worden war oder nicht, machte mir aber klar, daß Brandstiftung nur wegen Kens allgemeiner Sorgen als Möglichkeit in Betracht gekommen war.

Ich las noch einen Artikel, diesmal über ELISA, einen schnellen Antikörpertest zur Dopingkontrolle bei Rennpferden. Es war der einzige vorhandene Lesestoff. Ich hatte einen lesesüchtigen Freund, der sich, wenn es gar nicht anders ging, in Busfahrpläne vertiefte. Hewett und Partner benutzten keine Busse.

Ich beäugte das Telefon. Wen konnte ich um drei Uhr früh zu einem Plausch anrufen? In Mexiko-Stadt würde es neun Uhr abends sein. Eine gute Zeit für die Eltern. Besser nicht.

Ich döste bei einem Bericht über dreidimensionales Computer-Scanning der Zug- und Drucklinien in Sprunggelenken ein und schreckte hoch, als jemand mit etwas Hartem wie einem Geldstück ans Fenster klopfte.

Zu der Hand gehörte ein Gesicht, das dicht an die Scheibe kam, und eine Stimme rief: »Machen Sie mir auf.«

Er deutete heftig in Richtung der Hintertür, und als ich den Flur entlangging, entsann ich mich, daß es derjenige war, der den Kaffeeautomaten getreten hatte, vermutlich also jemand, den man zu den Guten zählen durfte.

Er stampfte mit den Füßen, als er hereinkam, und meckerte über die Kälte. Zwei große Thermosflaschen unterm Arm, erklärte er, er habe in der Eile seine Schlüssel vergessen.

»Aber was soll’s, Ken sagte ja, daß Sie hier sind.«

»Ken?« fragte ich.

Er nickte. »Er ist mit der Stute auf dem Weg hierher.« Er drückte mir die Thermosflaschen in die Hand und schleuderte seine Stiefel weg, um sich aus dem Regal über den Kleiderhaken ein paar Hausschuhe zu angeln. Während er da hineinstieg, legte er seine Daunenjacke ab. Dann sagte er: »Gott, hier ist es ja eisig« und zog sie wieder an. »Ken ruft noch Belinda, und ich soll den OP bereitmachen.«

Schon setzte er sich in Bewegung. »Ich hasse diese Notrufe mitten in der Nacht.« Er erreichte den Hauptkorridor. »Ich hasse kaputte Kaffeeautomaten.« Er marschierte in das Büro, schnappte sich eine von den Thermosflaschen, schraubte ihre Kappe ab und benutzte sie als Becher. Der Kaffee dampfte und roch angenehm, während er trank.

»Auch welchen?« fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Ja, gern.«

Er füllte den Becher erneut und gab ihn mir behutsam. Heißer, starker Instantkaffee, gesüßt und mit Milch. Besser als Champagner in diesem Moment.

»Großartig«, sagte ich und schraubte die leer getrunkene Kappe wieder auf die Kanne.

»Okay. Ich nehme an, Sie haben keine Ahnung, wie man Pferde narkotisiert?«

»Keinen blassen Schimmer.«

»Nicht zu ändern. Sind das Kens Schlüssel? Gut.«

Er griff sich das Schlüsselbund und ging rasch hinaus. Er war groß, breitschultrig, dunkelhaarig, um die Vierzig, und er bewegte sich ruckartig, so als hätte er viel mehr explosive Kraft in seinen Muskeln, als er brauchte. Ich folgte ihm auf den Gang und sah, wie er einen der Lagerräume aufschloß.

»Okay«, sagte er. »Basislösung.« Er ging hinein und kam mit mehreren großen Plastikbeuteln voll klarer Flüssigkeit wieder.

»Würden Sie mir die abnehmen?« Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern belud mich mit ihnen und holte noch mehr, um dann im Eiltempo den Gang hinunterzulaufen. Leise fluchend schloß er die breite Tür zum Vorraum des OP auf.