»Wie ich die ewigen Türen hasse«, sagte er und stapelte die Beutel mit der Flüssigkeit in dem Schleusenschrank, der sich auch vom OP aus öffnen ließ. Dann hakte er die Tür an der Wand ein. »Würden Sie einen Kittel und Überschuhe anziehen?«
Wir legten das ganze Zubehör an, und als wir damit fertig waren, ging er rückwärts durch die Schwingtür in den OP selbst und hielt mir einen Flügel auf.
»Gut.« Er hantierte herum. »Beatmungsgerät.« Er rollte einen der Metallwagen von der Wand an den Kopf des Operationstisches. »Pferde können nicht gut von selbst atmen, wenn sie unter Narkose stehen«, sagte er. »Die meisten Tiere nicht. Auch Vögel übrigens nicht. Man muß die Luft in sie hineinpumpen. Wollen Sie das alles hören?«
»Erzählen Sie nur.«
Er warf mir einen kurzen Blick zu und sah, daß ich ehrlich interessiert war.
»Wir führen das Narkotikum mit Sauerstoff zu«, sagte er.
»Halothan gewöhnlich. Dabei dosieren wir möglichst sparsam, auf eine leichte Narkose hin, weil es nicht ganz ungefährlich ist.«
Fachmännisch verband er die Schläuche des Beatmungsgerätes miteinander und schloß ein Elektrokabel an eine Steckdose am Boden an.
»Wir sind das gestern morgen endlos durchgegangen«, sagte er. »Haben jedes Ventil geprüft, die Pumpe geprüft, den Sauerstoff geprüft - der kommt aus den Behältern draußen, wenn wir diesen Hahn aufdrehen.« Er zeigte es mir. »Manchmal macht das Herz schlapp, und man kann einfach nichts dagegen tun.« Er hörte plötzlich auf zu erzählen, als wäre ihm eingefallen, daß ich nicht ganz hierhergehörte. »Jedenfalls prüfe ich alles zweimal.«
Er sauste hin und her, während er andere Sachen vorbereitete, die er nicht erklärte, und ich stand herum mit dem Gefühl, daß ich helfen sollte, es aber aus Unwissenheit nicht konnte.
Draußen schlug eine Wagentür zu. Scott - es mußte Scott, der Anästhesist sein - hob den Kopf bei dem Geräusch und rollte die Schiebewand so weit zur Seite, daß wir in den gepolsterten Raum hineinschlüpfen konnten. Er überquerte den weichen Boden mit seinem federnden Schritt und schloß die Tür zum Gang auf. Beide liefen wir - ich hinter ihm, schnell die Überschuhe ausziehend - durch den Gang, traten hinaus an die frischkalte Luft und sahen Ken, in Anorak und Stiefeln, wie er die Rampe eines kleinen Pferdeanhängers herunterließ, der an einen Landrover gekoppelt war.
»Scott - ein Glück«, sagte Ken und ließ mit Geklirr die Rampe fallen. »Ich mußte das verdammte Ding selber fahren. In Vernonside fohlen im Moment zwei Stuten, und sie haben keine Leute übrig. Die wissen nicht mehr aus noch ein. Die Stute hier stirbt fast im Stehen, und dabei trägt sie ein Fohlen von Rainbow Quest, Gott weiß wie wertvoll.«
Er eilte in den Hänger und holte seine Patientin, die sich rückwärts die Rampe herunterschleppte und kränker aussah, als ich es bei einem Tier für möglich gehalten hätte. Sie war hochträchtig und dick aufgequollen. Ihr Kopf hing herunter, ihr braunes Fell glänzte von Schweiß, ihre Augen waren stumpf, und sie gab stöhnende Laute von sich.
»Sie ist voll mit Schmerzmitteln«, sagte Ken. Er sah mich dastehen und sagte in tiefer Verzweiflung: »Das Herz macht ihr zu schaffen. Sie ist ganz aufgebläht von Gas, und es kommt ihr aus dem Magen hoch. Das bedeutet, daß ihr Darm verstopft ist. Es bedeutet, daß sie wahrscheinlich innerhalb von einer Stunde stirbt, wenn ich sie nicht operiere, und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch, wenn ich es tue.« »Es wäre sicherer, Sie würden eine zweite Meinung einholen.«
»Ja. Ich habe Carey auf der Herfahrt angerufen und ihn gebeten, jemand zu schicken oder selbst zu kommen. Er sagte, ich solle auf meine Fähigkeit vertrauen. Und ich sei der beste Pferdechirurg hier in der Gegend. Das weiß ich ja, auch wenn ich es normalerweise nicht sage.«
»Sie operieren also«, sagte ich.
»Hab doch keine Wahl, oder? Schauen Sie sie doch an.«
Er gab den Führzügel des Pferdes an Scott weiter, der sagte: »Belinda ist noch nicht da.«
»Sie kommt nicht«, sagte Ken. »Ich konnte sie nicht erreichen. Ich habe den Trainer angerufen, bei dem unsere Pferde stehen, und er sagte, er wüßte nicht, wo sie schläft, und würde sie um diese Zeit nicht suchen.«
»Aber ...«:, sagte Scott und verstummte.
»Ja. Aber.« Ken wandte sich mir zu. »Ich möchte, daß Sie zusehen und sich Notizen machen. Als Zeuge. Schreiben Sie einfach auf, was ich Ihnen sage und was Scott Ihnen sagt. Fallen Sie in Ohnmacht, wenn Sie Blut sehen?«
Ich dachte an die zerschmetterten Körper an dem Berghang.
»Nein«, sagte ich.
Kapitel 4
In dem gepolsterten Raum ertastete Ken mit empfindsamen Fingern die große Halsvene der Stute, während Scott sie am Halfter hielt, und stieß etwas hinein, was aussah wie eine lange plastikumhüllte Spritze mit einem Anschlußstück, das außerhalb der Haut blieb.
»Katheter«, sagte er, indem er die Nadel herauszog und die Plastikhülse in der Vene ließ.
»Tropfinfusion«, erläuterte er und verband den Katheter über einen Schlauch mit einem der Infusionsbeutel, den Scott eilends an der Decke aufhängte. »Man muß den Kreislauf aufrechterhalten.«
Er ging kurz in den OP und kam mit einer kleinen Spritze voll Flüssigkeit wieder, die er durch den Katheter in den Hals der Stute injizierte.
»Halber Kubikzentimeter Domosedan« - er buchstabierte es mir, während ich auf ein Klemmbrett schrieb. »Das ist ein Beruhigungsmittel, um sie schläfrig und fügsam zu machen. Kommen Sie wohlgemerkt ihren Füßen nicht zu nah. Pferde keilen wie der Blitz aus, selbst in diesem Zustand. Gehen Sie hinter der Zwischenwand da außer Reichweite.«
Ich trat gehorsam hinter eine halbhohe gepolsterte Trennwand, von der aus man das Geschehen unbesorgt verfolgen konnte, ähnlich wie auch die Bande in der Stierkampfarena Schutz vor den Hörnern bietet.
»Was machen Sie jetzt mit der Spritze?« fragte ich.
»Wegwerfen. Es ist eine Einmalspritze.«
»Heben Sie sie auf«, sagte ich.
Ken starrte mich mit seinen hellblauen Augen an, besann
sich und nickte dann. »Okay.«
Er brachte die Spritze in den OP und legte sie in eine Schale auf einem der Tische entlang den Wänden. Er hatte das gleiche an wie ich: wegwerfbare Überschuhe über den eigenen, grüne Baumwollhose, kurzärmeliges grünes Hemd, einen Laborkittel darüber, Gesichtsmaske lose um den Hals, weiche weiße Kappe wie eine Duschhaube über den Haaren.
Scott, ebenso gekleidet, strich der Stute über die Nase, kraulte ihr die Ohren und gab besänftigende Laute von sich. Langsam ließen die Qualen in ihrem gepeinigten Gehirn etwas nach, und sichtlich kehrte Frieden ein, bis sie ruhig und halb bewußtlos dastand.
Ken, der sie scharf beobachtete, war mit einer größeren Spritze in einer anderen Schale wiedergekommen. »Antibiotikum«, sagte er und injizierte es. Er ging eine dritte Nadel holen.
»Das ist Ketamin-Hydrochlorid«, sagte er, als er zurückkam, und buchstabierte es mir wieder. »Davon schläft sie ein.«
Ich nickte. Scott schloß die Schiebetür zum OP: Ken nahm vorübergehend den Tropf ab und spritzte die Stute mit geübter Hand erneut durch den Katheter in den Hals. Fast sofort schwenkte der mächtige Körper in einem unkoordinierten Bogen herum, taumelte, wankte und brach langsam seitlich weg. Ein Hinterbein schlug in einem Muskelkrampf, der harmlos auf der Polsterung verpuffte, noch aus, und der Kopf fiel dumpf auf den weichen Boden.
Dramatisch, dachte ich; aber offensichtlich Routine für Scott und Ken.
»Intubieren«, sagte Ken zu Scott.
Scott nickte und führte durch ihr Maul ein
beeindruckend großes Rohr in den Schlund der Stute ein.
»Für Sauerstoff und Halothan«, erklärte Ken mir kurz.
Scott stieß die Schiebetür weit auf, brachte die Schale mit der Spritze in den OP und kam mit den gepolsterten Manschetten für die Beine der Stute und mit Säcken für ihre Füße wieder.