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Während wir aßen, wurde plötzlich laut geklatscht, und Freds Augen leuchteten auf, während seine Gabel auf dem Weg vom Teller in den Mund in der Luft verharrte.

»Ah«, sagte er väterlich. »Vicky Larch und Greg Wayfield. Die Bekannten, von denen ich sprach, die morgen nach England fliegen. Sie wohnen hier gleich um die Ecke.«

Vicky Larch und Greg Wayfield waren nicht bloß Bekannte; sie waren Sänger. Unangekündigt hatten sie das Restaurant durch einen Vorhang am anderen Ende betreten, sie in einem paillettenbesetzten weißen Kasack, er in einem bunt karierten Sakko, beide in hellen Hosen. Das einzig wirklich Überraschende an ihnen war ihr Alter. Sie waren sozusagen in reiferen Jahren und nicht mehr ganz schlank.

Besorgt dachte ich, daß ich mir die Peinlichkeit, zwei ehrenvoll ergrauten Amateuren auf dem ganzen Weg nach England Beifall spenden zu müssen, gern erspart hätte. Sie hantierten mit Verstärkern und klopften auf Mikrofone, um sich zu vergewissern, daß alles funktionierte. Fred nickte ihnen und mir ermunternd zu und widmete sich gutgelaunt wieder seiner Mahlzeit.

Sie setzten die Anlage in Gang und spielten ein Band ab: leichte Unterhaltungsmusik aus alten Bühnenshows, bekannt und anspruchslos. Greg Wayfield summte schließlich ein paar Takte mit, dann stimmte er den Text an, und ich sah überrascht von meinen Fettucini auf, denn zu hören war kein altersschwaches Gegreine, sondern eine schöne, klare Stimme, kräftig, sanft und ausdrucksvoll.

Fred sah mir ins Gesicht und grinste befriedigt. Das Lied ging zu Ende, die Gäste applaudierten, und das Band lief weiter. Jetzt leitete die Frau, ebenfalls ohne Ansage oder Getue, zu einem Liebeslied über, der Text ein wenig traurig, melancholisch, vorgetragen mit dem eingängigen, synkopierten Rhythmus langer Erfahrung. Du meine Güte, dachte ich erleichtert, das sind Profis. Gute alte Profis, die sich amüsieren.

Sie sangen abwechselnd sechs Lieder und zum Schluß ein Duett, dann fädelten sie sich unter begeistertem Applaus zwischen den Tischen durch und setzten sich zu Fred und mir.

Fred machte uns bekannt. Halb stehend gab ich den Sängern über das Spitzendeckchen hinweg die Hand und sagte aufrichtig, daß mir ihr Auftritt sehr gefallen habe.

»Sie singen noch mehr«, versicherte Fred und schenkte ihnen Wein ein. »Sie machen jetzt nur eine Pause.«

Aus der Nähe betrachtet, wirkten sie so gesund und altmodisch wie ihr Auftritt - er sah immer noch gut aus, sie gab sich das Gehabe einer jungen Sängerin, die in einem großmütterlichen Körper gefangen war.

»Haben Sie mal in Nachtclubs gesungen?« fragte ich, als sie neben mir Platz nahm.

Sie riß die blauen Augen auf. »Woher wissen Sie das?«

»Ihr Vortrag hat so etwas. So intim. Wie geschaffen für späte Stunden und gedämpftes Licht. Auch die Art, wie Sie den Kopf wiegen.«

»Tja, also ich habe jahrelang in Clubs gesungen.« Sie war belustigt und reagierte körperlich auf mich, trotz ihres Alters. Einmal Frau, immer Frau, dachte ich.

Ihre Haare waren weiß, eine flaumige Kappe. Sie hatte einen reinen Teint, nur leicht geschminkt, und das einzige Zugeständnis ans Showgeschäft waren die seidigen, nach oben geschwungenen falschen Wimpern, die bei ihr fast echt aussahen.

»Aber ich habe mich vor einer Ewigkeit schon zur Ruhe gesetzt«, sagte sie und klappte in harmloser Koketterie die Augenlider auf und zu. »Kriegte einen Schwung Babies und wurde zu dick. Zu alt. Wir singen hier nur zum Vergnügen.«

Sie sprach dialektfreies britisches Englisch mit einer klaren, geübten Diktion. Ließ man ihr Getändel einmal beiseite, wirkte sie abgeklärt, selbstsicher und vernünftig, und ich befürchtete für die Reise am nächsten Tag nicht mehr das Schlimmste. Mit den Flugbegleiterinnen konnte ich wohl doch ein andermal anbändeln.

Greg sagte: »Meine Frau würde sogar mit einem Stuhlbein flirten«, und beide sahen mich lieb an und lachten.

»Traut Peter nicht«, warnte Fred sie ironisch. »Er ist das größte Schlitzohr, das ich kenne, und ich kenne wirklich eine Menge.«

»Pfui, wie gehässig«, sagte Vicky ungläubig. »Er ist doch ein Lamm.«

Fred lachte hüstelnd und vergewisserte sich, ob wir tatsächlich alle denselben Flug gebucht hatten. Es stand außer Zweifel. Ein Jumbo der British Airways nach Heathrow. Alle in der Touristenklasse.

»Fein. Fein«, sagte Fred.

Greg, dachte ich, war Amerikaner, obwohl man es kaum merkte. Er war weder noch oder beides: gemischter Akzent, amerikanische Kleidung, englischer Gesichtsschnitt. Er gehörte zur Szene hier in Miami und besaß auch eine gewisse Ausstrahlung, aber nicht das natürliche Bühnencharisma seiner Frau. Er war kein Solist gewesen, dachte ich.

Er sagte: »Sind Sie auch Konsul, Peter?«

»Im Augenblick nicht.«

Da er verblüfft dreinsah, erklärte ich es. »Im britischen diplomatischen Dienst richtet sich der Titel nach dem Posten, den man gerade hat. Man nimmt seinen Rang nicht mit. Ob Sie an dem einen Ort nun Legationsrat 1. oder 2. Klasse sind, Botschaftsrat, Konsul oder Generalkonsul, ob Gesandter, Hochkommissar oder Botschafter - am nächsten Ort sind Sie wahrscheinlich etwas anderes. Der Rang bleibt bei dem Posten. Sie erhalten den Rang, der zu Ihrem neuen Job gehört.«

Fred nickte zustimmend. »In den Staaten gilt, einmal Botschafter, immer Botschafter. >Ihre Exzellenz< auf immer und ewig. Selbst wenn man nur für zwei, drei Jahre Botschafter in irgendeinem winzigen Land gewesen ist und danach bloß noch Staub wischt, behält man den Titel. Nun, bei den Briten ist das anders.«

»Schade«, sagte Greg.

»Nein«, widersprach ich, »es ist besser so. Wenn es keine festgefügte Hierarchie gibt, gibt es auch weniger Hickhack und weniger Verzweiflung.«

Sie sahen mich erstaunt an.

»Wohlgemerkt«, sagte Fred mit spöttischer Vertraulichkeit zu ihnen, »Peters Vater ist im Augenblick Botschafter. Zusammen haben sie schon jeden erdenklichen Rang bekleidet.«

»Aber ich immer die niedrigeren«, sagte ich lächelnd.

Vicky meinte tröstend: »Sie werden Ihren Weg schon machen.«

Fred lachte.

Greg schob sein halb ausgetrunkenes Glas Wein weg und sagte, sie müßten wieder an die Arbeit, ein Entschluß, den das aufnahmebereite Publikum mit Beifall begrüßte. Sie sangen beide noch drei Lieder; Greg brachte zum Abschluß eine leise, schnulzige Version von >The Last Farewell< dem

Klagelied eines Matrosen, der seinen Südseeschatz verläßt, um in die von Sturm und Krieg umtobten Breiten Großbritanniens zurückzukehren. Wenn man wie ich mit geschlossenen Augen zuhörte, konnte man glauben, Greg sei der dem Untergang geweihte junge Mann. Es war eine Meisterleistung, ganz außergewöhnlich. Eine Frau am Nebentisch zog ihr Taschentuch hervor und trocknete heimlich ein paar Tränen.

Die Gäste saßen wie gebannt vor ihrem längst kalt gewordenen Kaffee und zeichneten Greg damit aus, daß sie einen Augenblick vollkommen still waren, bevor sie ihre Begeisterung kundtaten. Das Ganze mochte sentimental sein, dachte ich, aber Sachlichkeit pur vertrug man schließlich auch nur begrenzt.

Das Duo kam unter begeistertem Applaus wieder an unseren Tisch, und diesmal sprachen sie dem Wein gern zu. Sie waren aufgedreht von der starken Adrenalinausschüttung, die auf jede Leistung, jeden gelungenen Auftritt gleich welcher Art folgt, und es würde eine Weile dauern, bis sie davon wieder herunterkamen. In der Zwischenzeit unterhielten sie sich angeregt, erzählten von sich und bewiesen erneut, wenn es eines Beweises noch bedurft hätte, daß sie durch und durch gute, wohlmeinende Menschen waren.

Mich hatte das Gute immer schon mehr interessiert als das Böse, auch wenn ich damit vielleicht nicht so ganz im Trend lag. Meiner Ansicht nach brauchte man mehr Mut und mehr Disziplin, um gut zu sein, eine Auffassung, in der meine eigenen Mängel mich immer wieder bestärkten.