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Eigentlich sei er ausgebildeter Opernsänger, sagte Greg, aber es habe nicht genügend Rollen für die zur Verfügung stehenden Sänger gegeben.

»Wenn man schon kein Italiener ist«, meinte er kläglich.

»Und von jeder Generation schaffen immer nur einige wenige den Durchbruch. Ich habe im Chor gesungen. Ich wäre lieber verhungert, als daß ich >The Last Farewell< gesungen hätte. In jungen Jahren war ich arrogant, was die Musik betrifft.« Mit einem Lächeln verzieh er sich seine Jugend. »Also habe ich eine Lehre in der Treuhandabteilung einer Bank angefangen, und irgendwann konnte ich mir dann sogar Karten für die Oper leisten.«

»Aber Sie haben doch weiter gesungen«, wandte ich ein. »So wie Sie kann man nur singen, wenn man in der Übung bleibt.«

Er nickte. »In Chören. Auch in Kirchen und so weiter. Wo immer ich konnte. Und natürlich in der Badewanne.«

Vicky hob die Augenwimpern zum Himmel.

»Jetzt singen die beiden hier zwei- bis dreimal die Woche«, erzählte mir Fred. »Der Laden würde ohne sie eingehen.«

»Pscht«, machte Vicky und hielt nach den möglicherweise gekränkten Besitzern Ausschau, konnte sie aber nicht entdecken.

»Wir tun das doch gern.«

Greg sagte, sie wollten für einen Monat nach England. Eine von Vickys Töchtern wolle heiraten.

Von Vickys Töchtern?

Ja, sagte sie, die Kinder seien von ihr. Zwei Jungen, zwei Mädchen. Von dem Vater habe sie sich vor langer Zeit scheiden lassen. Sie und Greg seien erst kurz zusammen: seit achtzehn Monaten verheiratet, noch in den Flitterwochen.

»Belinda ist meine Jüngste - sie heiratet einen Tierarzt«, sagte Vicky. »Sie war schon immer verrückt auf Tiere.«

Ich lachte.

»Na ja«, sagte sie, »natürlich hoffe ich, daß sie auch in ihn vernarrt ist. Sie arbeitet seit Jahren mit ihm, aber gefunkt hat’s erst vor ein paar Wochen. Auf jeden Fall fahren wir jetzt ins Pferdeland. Er hat hauptsächlich mit Pferden zu tun. Er ist Tierarzt an der Rennbahn von Cheltenham.«

Ich schnalzte leise mit der Zunge, worauf sie mich fragend anschauten.

»Mein Vater und meine Mutter«, sagte ich, »haben sich auf der Rennbahn von Cheltenham kennengelernt.«

Darüber staunten sie natürlich, und es schien mir ein bißchen dumm, jetzt noch nachzuschicken, daß meine Mutter und mein Stiefvater sich auf der Rennbahn von Cheltenham kennengelernt hatten, deshalb ließ ich es bleiben. Mein richtiger Vater, dachte ich, war sowieso John Darwin: Nur an ihn konnte ich mich erinnern.

Fred sagte nachdenklich: »Hat Ihr Vater nicht seine ganze Jugend auf Rennplätzen verbracht? Sagten Sie das nicht damals in Tokio, als Sie zum Japan Cup gegangen sind?«

»Kann sein, daß ich es gesagt habe«, gab ich zu, »dann war das wohl etwas übertrieben. Er geht aber immer noch hin, wenn sich die Gelegenheit bietet.«

»Ist es üblich, daß Botschafter zum Pferderennen gehen?« fragte Vicky verwundert.

»Dieser besondere Botschafter betrachtet Rennbahnen als das ideale diplomatische Parkett«, sagte ich ironisch, aber herzlich.

»Er lädt die hohen Herren des nationalen Jockey-Clubs zu einer Botschaftsparty, und sie laden ihn dafür zu den Rennen ein. Er sagt, beim Pferderennen lernt er mehr über ein Land als in vier Wochen diplomatischen Hände-schüttelns. Und recht hat er. Wußten Sie, daß es auf der Rennbahn von Tokio Fahrrad-Parkplätze gibt?«

Greg sagte: »Ehm ... ah ... ich komme nicht ganz mit.«

»Nicht nur Parkplätze für Autos«, erklärte ich. »Auch Motorrad- und Fahrrad-Parkplätze. Und zwar reihenweise. Das sagt eine Menge über die Japaner aus.«

»Was denn zum Beispiel?« fragte Vicky.

»Daß sie ihr Ziel so oder so erreichen.«

»Meinen Sie das im Ernst?«

»Natürlich«, sagte ich würdevoll. »Und eine Kinderkrippe gibt es auf der Rennbahn auch. Man läßt die Kleinen im Bauch eines riesigen wippenden Donald Duck spielen, während man ungestört sein Geld verwettet.«

»Und was lernen Sie daraus?« neckte Vicky.

»Daß die Kinderkrippe mit Gewinn arbeitet.«

»Laßt euch von Peter nicht irritieren«, meinte Fred begütigend. »Er denkt um tausend Ecken, aber im Ernstfall kann man auf ihn zählen.«

»Danke«, sagte ich trocken.

Greg stellte ein paar Fragen über unsere Zeit in Japan. Ob es uns zum Beispiel gefallen habe. Sehr, sagten wir beide. Und konnten wir auch die Sprache? Wir konnten. Fred war Legationsrat 1. Klasse in der Handelsabteilung gewesen, damit beschäftigt, die wirtschaftlichen Beziehungen anzukurbeln. Ich dagegen hatte zu erkunden gehabt, was voraussichtlich auf der politischen Bühne geschehen würde.

»Peter ist zu den Mittagessen und den Cocktailparties gegangen«, sagte Fred, »und Peter hat Sake aus viereckigen Holzschalen getrunken statt aus Gläsern.«

Die Bräuche und Besonderheiten Japans waren mir noch frisch im Gedächtnis, kaum überlagert von dem Monat in Mexiko. Wenn man eine Kultur zurückläßt, die man sich ernsthaft zu verstehen bemüht hat, führt das immer zu einem eigenartigen Verlustgefühl. Nicht gerade so, als ob man ins Leere stürzt, aber doch eine schmerzliche Trennung.

Die Gäste des Restaurants waren nach und nach gegangen, bis nur wir vier noch übrig waren. Vicky und Greg standen auf, um ihre Ausrüstung zusammenzupacken, und ganz selbstverständlich teilten Fred und ich uns die Rechnung bis auf den letzten Cent.

»Möchten Sie’s in Yen?« fragte ich.

»Um Gottes willen«, sagte Fred. »Haben Sie auf dem Flughafen nichts umgetauscht?«

Doch, hatte ich. Gewohnheitssache. Fred nahm die Scheine und gab mir etwas Kleingeld heraus, das ich einsteckte. Das Auswärtige Amt war ständig pleite, und unser Grundgehalt entsprach nicht annähernd dem Status und der Verantwortung, die man uns auflud. Ich beklagte mich nicht. Niemand trat je in den diplomatischen Dienst ein, um steinreich zu werden. Fred sagte, er werde mich zurück zum Flughafen bringen, damit ich nicht noch ein Taxi zu bezahlen brauchte, und das war nett von ihm.

Vicky und Greg kamen wieder; sie mit einer großen weißen Handtasche, auf der bunte, in weiße Zierschnur gefaßte Steine glitzerten, und dann er mit einer schweren knautschigen Reisetasche, die er sich jungenhaft über die Schulter gehängt hatte. Wir verließen das Restaurant alle zusammen, blieben noch eine Weile vor der Tür stehen, um uns gute Nacht zu sagen, und Vicky und Greg brüteten aus, wo sie mich am nächsten Tag treffen könnten.

In einem Glaskasten neben der Tür hing eine Speisekarte, flankiert von zwei großformatigen Schwarzweißfotos der Sänger, Aufnahmen, die offensichtlich vor langer Zeit entstanden waren.

Vicky sah, wo ich hinschaute, und zog einen kleinen traurigen Schmollmund, blieb sonst aber gelassen. Ihr

Porträt, das eindrucksvolle Hochglanzfoto einer Bühnenschönheit mit schräggelegtem Kopf, schrägen Schultern, viel Licht auf der Stirn, leuchtenden Augen, taktvollen Schatten auf dem Ansatz eines Doppelkinns, mußte vor mindestens zwanzig Jahren aufgenommen worden sein. Der offen und direkt in die Kamera lächelnde Greg war mit weniger fotografischer Finesse abgelichtet und ein klein wenig unscharf, als wäre das Bild die Vergrößerung eines nicht ganz gelungenen Abzugs. Es war auch ein früherer Greg, dünner, betont männlich, kantig, mit einem dunklen, jetzt nicht mehr vorhandenen Schnurrbart.

Vickys Charakter ließ sich aus solchen Fotos unmöglich erkennen, aber bei Greg konnte man es versuchen. Intelligent, selbstzufrieden, weil erfolgreich, wollte gefallen, lebensbejahend. Nicht der Typ, der hinter ihrem Rücken über andere herzog.

Letzte Gutenachtgrüße. Vicky bot mir ihre Wange zum Kuß. Bitte, gern.

»Unser Wagen steht da unten«, sagte sie und wies in die Ferne.