Kaffeeautomat noch nicht repariert ist.«
»Wie geht’s den Patienten?«
»Ganz gut«, sagte er widerwillig, »aber das tut nichts zur Sache.«
»Nein«, stimmte ich zu. »Wann wird die Stute seziert?«
Er sah auf seine Uhr. »Um zehn, sagte Carey. Es ist wohl besser, wenn ich dabei bin. Carey hat das einem Kerl aus Gloucester übertragen, und das ist mehr ein Metzger als ein Chirurg. Der letzte, den ich ausgesucht hätte. Ich muß also dort sein, falls er sich irgendeine Teufelei erlaubt.« Ärger und Streß waren ihm deutlich anzuhören. »Würden Sie vielleicht die Briefe an die Pharmaproduzenten fertigmachen, so daß sie heute noch rausgehen können? Ich habe gestern abend damit angefangen.« Er ergriff eine Mappe und zog einen Stoß Blätter daraus hervor.
»Da der Computer ausgefallen ist, mußte ich die Namen und Adressen einiger Firmen, die der Grossist, der gestern da war, nicht führt, von ihren Flaschen und Verpackungen abschreiben. Der Brief an den Großhändler ist schon unterwegs. Na, jedenfalls habe ich ein Rundschreiben aufgesetzt, und da wenigstens unser Kopierer noch funktioniert, habe ich genug Kopien gemacht für alle Firmen, die mir eingefallen sind.« Er schob sie mir über den Schreibtisch zu, nebst einem Blatt mit den Namen und Anschriften.
»Könnten Sie jeweils einen Firmennamen auf den Briefkopf tippen und auch die Umschläge adressieren, während ich weg bin? Ich weiß, es ist eine fürchterliche Arbeit, aber ich hab’s ja nicht vorgeschlagen.«
»Mhm«, stimmte ich zu. »In Ordnung.«
»Vielen Dank.«
»Ich hätte noch einen Vorschlag«, sagte ich.
Er stöhnte.
»Nehmen Sie eine Gewebeprobe von dem toten Fohlen, damit Sie einen Vaterschaftstest machen können.«
Er starrte mich an. Ich setzte ihm Broses Theorie auseinander.
»Damit der Versicherungsfall eintrat«, sagte ich, »mußte die Stute sterben. Sie haben ihr beim erstenmal unwillkommenerweise das Leben gerettet, deshalb nahm jemand einen zweiten Anlauf. Wenn Brose recht hat, konnte er oder sie nicht zulassen, daß das Fohlen auf die Welt kam. Der Tod mußte vorher eintreten, und da sie wahrscheinlich nicht genau wußten, wann das Fohlen kommen würde, mußten sie sich beeilen.«
»Das wird ja immer schlimmer«, sagte Ken.
»Sie müßten auch eine Gewebeprobe von Rainbow Quest besorgen«, sagte ich.
»Kein Problem. Allerdings ist Gewebevergleich teuer. Nach Gift suchen übrigens auch. Speziallabors kosten ein Heidengeld.«
»Sie glauben also doch, daß es Gift war?«
»Nun, ein Stromschlag war es nicht. Sie ist auch nicht durch eine Plastiktüte erstickt. Sie hat nichts in den Hals bekommen. Ich konnte keine Stichwunden bei ihr entdecken. Sie hätte nicht sterben dürfen ... irgend etwas hat ihr Herz zum Stehen gebracht.«
Yvonne Floyd, die das Büro betrat, bekam Kens letzte Worte mit.
»Nervengas?« tippte sie ironisch an.
»Viel zu leicht dranzukommen«, meinte Ken.
»Rauchvergiftung durch ein schwelendes Sofa?«
»Bestimmt nicht«, sagte Ken, sogar mit einem Lächeln.
»Wollte ja nur helfen.«
Ihre Gegenwart machte immer alles leichter. Sie sagte, sie erwarte einen Unfallhund und sei herübergekommen, um den Kleintier-OP vorzubereiten.
»Ideal wäre es, wenn Scott und Belinda dabeisein könnten.«
»Ja«, sagte Ken. »Die sind beide da.«
»Großartig.«
Sie sah selbst großartig aus in ihrem weißen Laborkitteclass="underline" schimmernde weiße Zähne, glänzende Augen, eine Wolke von schwarzen Haaren.
Sie sagte: »Belinda hat mich gebeten, die Brautführerin zu sein.«
»Was?« sagte Ken verwirrt.
»Bei Ihrer Hochzeit, Sie Esel. Eine Art verheiratete Brautjungfer.«
»Oh.« Er sah aus, als hätte er die Hochzeit völlig vergessen.
»Einen Brautführer haben Sie doch wohl?« zog sie ihn auf.
»Ehm ...«, sagte Ken. »Ich habe das alles Belinda überlassen. Es ist ihr Tag.«
»Wirklich, Ken«, sagte sie etwas gereizt, »den Brautführer müssen Sie schon selber aussuchen.«
Sein Blick fiel auf mich. »Wie wäre es mit Ihnen?«
»Sie haben doch sicher noch andere Freunde«, sagte ich. »Alte Freunde.«
»Sie wären mir sehr recht«, beharrte er. »Wenn Sie’s machen wollen.«
»Aber Belinda .«
»Sie ist dabei, ihre Einstellung zu Ihnen zu ändern«, sagte Ken. »Sie wird schon einverstanden sein. Sagen Sie, daß Sie’s machen.«
»Okay.«
Yvonne freute sich. »So ist das schon besser. Denken Sie an Ihre Kleider, Ken. Und Ihr Knopflochsträußchen.«
»O Gott«, sagte er. »Wie kann einer in solchen Zeiten an Knopflochsträußchen denken?«
Yvonne lächelte liebevoll. »Das Leben geht weiter«, sagte sie. »Wir kommen schon heil aus der ganzen Geschichte raus, Sie werden sehen.«
Sie ging aus dem Büro und wandte sich in Richtung Operationssaal.
»Tolle Chirurgin«, sagte Ken.
»Tolle Beine.«
»Ja, kann sein.« Es berührte ihn nicht. Nach einer Pause setzte er an: »Was machen wir aber -?«
Man hörte das Krachen einer gegen die Wand schlagenden Tür, Geklapper auf dem Gang und ein Stöhnen.
»Was ist denn das?« sagte Ken erschrocken und sprang auf.
Da ich am nächsten zur Tür saß, war ich als erster draußen, Ken auf meinen Fersen. Yvonne kam uns schwankend und stolpernd entgegen, die Augen weit aufgerissen, eine Hand auf den Mund gepreßt. Wir traten auf sie zu, um ihr zu helfen, und sie schüttelte heftig den Kopf, während Tränen ihr in die Augen stiegen und ihre Knie nachgaben.
»Yvonne«, rief Ken aus, »um Gottes willen, was ist los?«
Sie nahm die Hand weg, wie um es uns zu sagen, und übergab sich statt dessen heftig auf den Fußboden des
Gangs.
Sie lehnte sich schwach gegen die Wand, weinte stoßweise, sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ken und ich handelten sofort und eilten um das Erbrochene herum an ihre Seite, einer links, einer rechts, um sie zu stützen.
Sie schüttelte uns ab und wies, unfähig zu sprechen, mit einer wilden Armbewegung zum OP hin. Ken sah mich erschrocken, mit großen Augen an, und angsterfüllt gingen wir weiter, um nachzuschauen, was eine so extreme Reaktion hervorgerufen hatte. Die Tür zum Vorraum war es, die gegen die Wand geschlagen war: Sie stand noch offen. Wir gingen zum Lagerraum durch und probierten die Tür zum Kleintierbereich, doch sie war verschlossen. Wir stießen die Schwingtür auf, die in den großen Hauptoperationssaal führte.
Was wir dort sahen, brachte auch mich in Gefahr, ohnmächtig zu werden.
Scott lag mit dem Rücken auf dem langen PferdeOperationstisch, die Arme und Beine in der Luft. Um jedes Fuß- und jedes Handgelenk war eine gepolsterte Manschette geschnallt. Jede Manschette war an einer der Ketten befestigt, die von dem Kran herabhingen. Er war wie ein Pferd auf den Tisch gehievt worden.
Er trug wie immer Jeans und einen Pullover, und er hatte noch Schuhe und Strümpfe an und seine Armbanduhr.
Man hätte es für einen Scherz halten können, doch es ging eine ungewohnte, absolute Ruhe von diesem kraftvollen, muskelbepackten Körper aus, eine Stille, so einsam wie der Kosmos.
Ken und ich traten jeder auf eine Seite und blickten auf sein Gesicht nieder. Sein Kopf war nach hinten gekippt, sein Kinn hochgereckt. Seine Augen standen entnervenderweise halb offen, als schaue er und warte auf unsere Hilfe. Sein Mund war geschlossen. Er war kreideweiß.
»Allmächtiger«, sagte Ken leise, sehr blaß.
Ich wankte. Sagte mir, daß ohnmächtig werden nicht in Frage kam.
Scotts Mund war mit einer sauberen Reihe von Klammern verschlossen. Kleine silberne Klammern. Neun an der Zahl.
Die Schwäche klang ab. Ich hatte in meinem Leben schon Dutzende von Leichen gesehen: Nicht der Tod als solcher, sondern die Barbarei hier war es, die mich so verstörte. Ich schluckte und biß die Zähne aufeinander und atmete flach durch die Nase.