Er hielt vor der Eingangshalle an, und derselbe Kriminalbeamte wie zuvor stieg aus, gefolgt von demselben Konstabler. Sie schauten sich kurz um und betraten die Klinik durch den Vordereingang, und ich beschloß, ebenfalls dort entlangzugehen.
Lucy und Yvonne kamen gerade zusammen aus dem Waschraum, beide krank und zittrig anzusehen, als wäre Lucys Einbildungskraft ebenso stark und Brechreiz erregend gewesen wie Yvonnes persönlicher Augenschein. Sie setzten sich unglücklich auf zwei Stühle, jede mit einem Papiertaschentuch, um sich das Gesicht zu trocknen, und beide seufzten, starrten ins Leere.
»Die Polizei ist gekommen«, sagte ich.
»Ich habe Belinda den ganzen Container allein überlassen«, sagte Lucy schnüffelnd, schluckend. »Ich muß
wieder zurück.«
Sie erhob sich langsam, wie plötzlich gealtert. »Wir sehen zu, daß wir möglichst schnell fertig werden.« Nicht annähernd so tapfer entschlossen wie vor vier Tagen ging sie hinaus auf den Parkplatz.
»Ich sollte ihr helfen«, sagte Yvonne mit Mühe, »aber ich kann nicht.«
»Viel besser, Sie bleiben noch ein wenig hier sitzen.«
»Sie haben ihn gesehen, ja?«
Ich nickte.
»Wie konnte jemand das tun?«
Die Frage war nicht zu beantworten.
»Wie soll ich bloß schlafen?« sagte sie. »Er geht mir nicht aus dem Kopf. Ich denke an ihn, wie er Wasserski gefahren ist, so stark und geschickt, so quicklebendig. Und jetzt auf einmal so .«
Jay Jardine kam auf seine anmaßende Art mit langen Schritten vom Hauptkorridor in die Halle und blieb stehen, als er uns erblickte.
»Was zum Teufel geht hier vor?« wollte er wissen. »Der ganze Flur ist voller Hundekotze, und der unverschämte Kripomensch im Büro sagte, ich soll hier warten. Wieso ist der schon wieder da? Haben sie doch noch einen Namen für den Leichnam aus der Asche gefunden?«
Yvonne stöhnte leise und schloß die Augen.
»Verdammt noch mal«, er war gereizt, »was ist denn los?«
Ich sagte es ihm.
Er machte große Augen. Dann setzte er sich, mit einem Stuhl Abstand zwischen sich und Yvonne: »Ganz schön hart.«
Die Untertreibung des Tages, dachte ich.
Jay sagte: »Der Kaffeeautomat ist wohl immer noch kaputt?«
Wir alle schauten über den Flur zu ihm hin. Mit die ersten Worte, die ich Scott sagen hörte, entsann ich mich, waren: »Der Kaffeeautomat ist im Eimer.« Armer Scott. Es gab noch immer keinen Kaffee, und wahrscheinlich nie mehr.
Während wir dort auf Abruf saßen, wurde es ruhig, als hätte die Stille des Operationssaals sich über die ganze Klinik gelegt. Wir hörten keine Stimmen aus dem Büro. Uns selbst wußten wir nicht viel zu sagen. Zeit verging.
Schließlich hielten noch zwei gewöhnliche Polizeiwagen vor dem Eingang, doch nur der erste spie seine Insassen aus, die Türen des anderen blieben geschlossen. Ein untersetzter Mann mit der adrigen Gesichtshaut eines Bauern schlenderte ohne sonderliche Eile in die Eingangshalle, gefolgt von einem älteren Mann in einem zu großen Anzug, mit einer dicken, schwarzgerahmten Brille, die ihm halb von der Nase rutschte, und einer altmodischen schwarzen Arzttasche.
Der bäuerliche Typ fragte kurz: »Das Büro?«
»Den Gang runter, erste Tür rechts«, sagte ihm Jay.
Er nickte und ging dort entlang, und die Sache kam in Bewegung, wenn auch nichts daran erfreulich war. Ein Fotograf und mehrere andere Spezialisten, die dem zweiten Polizeifahrzeug entstiegen, wurden bald darauf von Jay hinter ihrem Vorgesetzten her dirigiert.
Ken kam schlackernd mit ruckartigen Schritten aus der Gegenrichtung. »Sie sind in den Operationssaal gegangen«, sagte er.
»Kommen Sie mit nach draußen, Peter. Ich brauche Luft.«
Ich ging mit ihm und sah auf meine Uhr. 10 vor 10. Der Morgen schien schon eine Woche gedauert zu haben. Die Luft war frisch und kalt.
»Haben Sie an die Obduktion gedacht?« fragte ich.
»Carey. Er hat ihnen telefoniert, sie sollen ohne uns anfangen.« Er holte tief Atem, als sauge er Leben aus der Luft, inwendig völlig leer.
Ich sagte: »Haben Sie, ehm, ihn gebeten, etwas Gewebe von dem Fohlen zu besorgen?«
Er zog die Brauen hoch. »Hab ich vergessen. Ist das noch wichtig?«
»Vielleicht wichtiger denn je. Man kann nie wissen.«
»O Gott.« Er nahm sein Funktelefon vom Gürtel, sah die Nummer in einem kleinen Adreßbuch nach und rief die Abdeckerei an. Er erklärte jemandem, mit dem es offenbar keine Verständigungsschwierigkeiten gab, er brauche ordnungsgemäß etikettierte Gewebeproben, und fügte, als wäre es ihm plötzlich eingefallen, hinzu, er hätte außerdem gern ein Ohr des Fohlens und den Schwanz und etwas von der Mähne der Stute.
»Warum in aller Welt Ohr und Schwanz?« fragte ich, als er das Telefon wegsteckte.
»Haare«, sagte er knapp. »Anhand von Haaren ist eine einwandfreie DNS-Bestimmung möglich, und natürlich verwest Haar auch nicht. Für den Vaterschaftsnachweis bei dem Fohlen braucht man Haar von ihm selbst, das Haar seiner Mutter und das seines Vaters. Oder eben irgendein anderes Gewebe. Sie bestimmen das DNS-Muster der Stute, dann ziehen Sie das Muster des Fohlens davon ab. Was im Fohlen-DNS dann übrigbleibt, entspricht dem Vater. Das Verfahren ist langwierig und teuer, aber eine genetische Übereinstimmung ist der absolut sichere Beweis.«
Ich sah in den grauen Himmel hoch. »Und wenn nun der Mörder von Scott ein Haar auf ihm zurückgelassen hat?«
»Am besten wär’s, Scott hätte sich zur Wehr gesetzt und ihn gekratzt. Mörder und Vergewaltiger können anhand der abgekratzten Hautpartikel unter den Fingernägeln ihrer Opfer überführt werden. Das ist heute eine exakte Wissenschaft.«
»Mhm.« Ich lächelte halb. »Es funktioniert, wenn man einen Verdächtigen hat.«
Wir beobachteten, wie die Katzen- und Hundebrigade ein und aus ging.
»Ob die Polizei uns den Laden schließt?« fragte Ken.
»Gott weiß.«
»Der Polizist, der mit dem zweiten Schub kam«, sagte Ken, »ist ein Kommissar. Die Vorhut wollte nichts unternehmen, bis er hier war, jedenfalls nicht, nachdem ich Scotts Zustand beschrieben hatte. Reine Drückebergerei, so kam mir das vor.«
»Eher klug und korrekt.«
»Sie sind an eine Hierarchie gewöhnt«, sagte er. »Ich nicht.«
Hewett und Partner waren für meine Begriffe selbst hierarchisch organisiert, aber ich bestand nicht auf dem Punkt. Statt dessen fragte ich Ken, ob er so etwas wie eine Schreibmaschine besitze.
»Wofür denn?«
»Für die Briefe. Die Kuverts. Das Büro kann ich nicht benutzen, es ist voller Polizei.«
»Ach ja. Schicken wir die Briefe denn noch ab?«
»Und ob wir das tun.«
Er überlegte kurz. »Ich habe eine alte verbeulte
Reiseschreibmaschine daheim. Würde die gehen?«
»Je eher, je lieber«, sagte ich nickend. »Wo wohnen Sie?«
»Wir können doch jetzt nicht weg«, wandte er ein. »Die Polizei hat mir gesagt, ich soll warten.«
»Mir hat sie nicht gesagt, daß ich warten soll«, erwiderte ich.
»Wenn Sie mir den Weg erklären und Ihre Schlüssel geben, hole ich die Schreibmaschine und komme wieder her. Dann kann ich sobald wie möglich mit den Briefen anfangen.«
»Aber was sage ich ...?«:
»Falls jemand meckert, sagen Sie, ich hätte Hunger gehabt. Ich bringe ein paar Croissants oder so was mit.«
»Zwei Häuser von meiner Wohnung ist auch eine ganz gute Bäckerei.«
»Prima.«
Er gab mir seine Hausschlüssel und sagte mir, wo die Schreibmaschine stand, und da die Hunde- und Katzenautos noch unterwegs waren, konnte ich ohne Schwierigkeiten mit ihnen vom Parkplatz herunterfahren. Mehr Probleme hätte es mir schon bereitet, ohne ein krankes Tier als Beifahrer wieder hereinzukommen, wäre nicht Ken, der nach mir Ausschau hielt, herbeigeeilt und hätte dem am Tor postierten Polizisten gesagt, daß ich dazugehörte.