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Ich fand Greg und den freundlichen Polizisten im Warteraum, bedrückt nebeneinandersitzend: Greg sah bleich und erschöpft aus, der Polizist strotzte vor Gesundheit und sah den vorbeikommenden Krankenschwestern nach, wie ich es selber auch tat, nachdem ich mich dazugesetzt hatte.

»Wie fühlen Sie sich?« fragte ich Greg - eine überflüssige Frage.

»Müde«, sagte er, »aber mit meinem Kopf ist alles in Ordnung. Nur eine Prellung, sagen sie. Brauche bloß ein bißchen Ruhe.«

Ich nickte. »Ich bin mit Ihrem Wagen gekommen«, sagte

ich. »Ich fahre Sie nach Hause.«

»Danke«, sagte er matt.

Die Unterhaltung schlief ein. Das Verhältnis von mittelalten zu jugendlichen Krankenschwestern lag bei zehn zu eins. Enttäuschend.

Nach langem Warten erschien Vicky dann in einem Rollstuhl, den eine (mittelalte) Krankenschwester hereinschob, und in Begleitung eines jungen Arztes, dessen schmuddeliger weißer Kittel von langem Bereitschaftsdienst zeugte. Vicky trug einen dicken weißen Verband wie einen Ohrenschützer über dem blutbefleckten Glitzerkasack, hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und hatte die Augen zu. Ihr von Schminke gesäubertes Gesicht wirkte faltig und verquollen. Die falschen Wimpern hatte man entfernt. Die Bühnenpersönlichkeit war abgemeldet; die Großmutter allein bewohnte den Körper.

Der junge Arzt sagte Greg, seiner Frau gehe es gut, die Wunde an ihrem Ohr sei unter örtlicher Betäubung genäht worden, die Heilung werde unproblematisch sein; er habe ihr ein Schmerzmittel, ein Beruhigungsmittel und Antibiotika gegeben und sie solle später am Tag zum Wechseln des Verbands noch einmal wiederkommen. Vicky schlug die Augen auf und sah nicht besser aus.

Ich warf einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, daß es schon fast zwei war. Die Zeit vergeht im Flug, dachte ich sarkastisch, wenn man sich amüsiert.

Der Arzt ging fort, und der Polizist stellte Vicky behutsam einige Fragen, die sie nüchtern mit leiser Stimme beantwortete. Danach holte er eine Karte mit seinem Namen hervor und bat sie und Greg, am Morgen um zehn auf die Polizeistation zu kommen, um ihre Aussagen zu vervollständigen.

»Sie auch«, sagte er zu mir.

»Ihre Kollegen haben mir schon eine Karte gegeben.« Ich zeigte sie ihm. Er beäugte sie und nickte. »Selbe Zeit, selber Ort.«

Er sagte uns gute Nacht und ging, und ich begriff, daß seine Freundlichkeit Methode war, ein gewohnheitsmäßig eingesetztes Mittel, um seine Arbeit zu erledigen, nicht etwa tiefes Mitgefühl mit jedem einzelnen. Trotzdem noch sehr viel besser, als generell die Gefühle anderer Leute mit Füßen zu treten.

Die Krankenschwester kam wieder und schob Vicky bis zum Ausgang, aber kein Stück weiter. Krankenhausbehandlung und Krankenhausversicherung hörten hier auf, sagte sie entschieden. Daß ich den Wagen an die Tür bringen durfte, damit Vicky nicht zu laufen brauchte, war schon das äußerste; selbst dieses Zugeständnis machte sie ungern. Greg und Vicky konnte das nicht mehr erschüttern.

Sie setzten sich im Wagen beide nach hinten, und ich stellte ihnen nur die allernötigsten Fragen nach dem Weg, etwa, in welche Richtung wir abbiegen mußten. Es war wie ein Wunder, daß wir doch noch bei ihnen zu Hause ankamen, denn Vicky hielt die Augen geschlossen, und Greg schlief immer wieder ein, wachte auf, wenn ich anhielt, und fragte mich, wo wir seien.

»Sagen Sie mir das«, erwiderte ich.

Ich unterdrückte meine aufkommende Gereiztheit und fuhr vorsichtig, und schließlich hielten wir auf der halbkreisförmigen Zufahrt zu ihrem Haus. Greg hatte zum Glück noch die Haustürschlüssel in der Tasche, und mir schien es nicht so ganz der passende Augenblick, um laut darüber nachzudenken, ob die Diebe sich das Wissen, das sie aus ihrem Fang geschöpft haben mußten, zunutze gemacht hatten und hierhergekommen waren, um zu stehlen und zu demolieren, während ihre Opfer sich im Krankenhaus befanden.

Ich bat die beiden, noch einen Moment sitzen zu bleiben, ließ mir von Greg den Hausschlüssel geben und sperrte mit einem unguten Gefühl die Tür auf. Es war jedoch dunkel und still im Haus, und als ich, tastend, den Lichtschalter fand, zeigte sich, daß auch alles unberührt war.

Die vielen Büsche draußen schienen mir ein sehr geeignetes Versteck für Räuber, und da ich halb auf einen zweiten Überfall gefaßt war, versuchte ich Greg und Vicky ins Haus zu scheuchen, so rasch es ging, ohne sie vollends zu entnerven, doch sie waren entsetzlich langsam. Erst als wir alle drinnen hinter der verschlossenen Tür in Sicherheit waren, entspannte ich mich ein wenig.

Sie bewohnten ein eingeschossiges Haus, in dem die meisten Zimmer türlos ineinander übergingen. Heizungsprobleme gab es hier in Südflorida natürlich nicht. Ich ging umher, sah nach, ob alle Vorhänge zugezogen waren, und stellte dabei fest, daß die Wayfields eine Vorliebe für farbenfrohe Blumenmuster und für Mahagonimöbel hegten.

Als ich wiederkam, saßen sie beide in den Sesseln ganz vorn bei der Haustür, als hätten ihre Beine sie nicht weiter getragen - die Lebenskraft am Tiefpunkt -, und ich schlug ihnen vor, sich etwas Warmes, Süßes zu trinken zu machen, bevor sie schlafen gingen. Ich würde mir jetzt ein Taxi rufen, sagte ich.

Sie schauten mich entsetzt an.

»Bitte nicht«, sagte Vicky, den Tränen nahe. »Bleiben Sie. Bitte bleiben Sie hier. Ich sage es ungern, aber ich fühle mich so alt und wacklig. Und ich habe Angst. Ich kann nichts dafür. Die könnten doch herkommen. Mir ist klargeworden, daß sie jetzt unsere Adresse haben.«

Greg streckte den Arm aus und drückte ihr die Hand. Er sagte zwar nicht direkt, daß er Angst hatte, aber auch er bat mich zu bleiben.

»Sie haben sie ja schon mal verjagt«, sagte Vicky. »Die kommen nicht, wenn Sie hier sind.«

Ich dachte sehnsüchtig an mein ruhiges Bett im Flughafenhotel, sah aber ein, daß es unmöglich war, sie in dieser Nacht mit ihrer Furcht alleinzulassen. Ich kannte sie noch keine sechs Stunden; und doch war es, als hätten wir schon immer zusammengehört.

»Gut, ich bleibe«, sagte ich, »aber der sie verscheucht hat, war ich nicht. Das waren Sie«, sagte ich zu Vicky, »Sie mit Ihrem unglaublichen Schrei.«

Ich sah sie wieder vor mir, eine weißhaarige Hexe mit scharfen scharlachroten Krallen und leuchtenden Augen, die Verkörperung aller dunklen weiblichen Kräfte, vor denen die Männer seit Urzeiten zu Stein erstarrt sind.

»Sie waren großartig«, sagte ich; beängstigend, hätte ich ehrlicherweise hinzufügen müssen.

Ihr Gesicht hellte sich bei der Erinnerung ein wenig auf, ihre Augen funkelten. »Es war nicht bloß der Schrei«, sagte sie. »Es war der Tritt.«

Mir ging ein Licht auf, und ich fragte: »Wo ging der hin?«

Sie sah auf ihre hochhackigen, spitzen Schuhe nieder. »Was meinen Sie wohl?« sagte sie. »Ich hab auch getanzt früher. Hoch das Bein. Ich war hinter ihm und hab direkt unter die Basis seiner Wirbelsäule gezielt. Ich war so wütend - ich hätte ihn umgebracht, wenn ich gekonnt hätte.« Sie sah mit beinah lächelnden Augen auf, voll befriedigter Rachsucht. »Ich hab alles da hineingelegt. Es war ein Volltreffer, hart und genau. Er hatte die Beine auseinandergestellt, um das Gleichgewicht zu halten, während er auf Sie einschlug.« Sie schwieg und schloß dann mit einem befriedigten Nicken. »Ich habe ihm in die Eier getreten.«

Kapitel 2

Am übernächsten Abend flog ich nach England. Auf der anderen Seite des Mittelgangs schlummerten Vicky und Greg friedlich Haupt an Haupt, bis zum Kinn in Decken eingemummt, wie Babies in der Wiege.

»Ihnen macht’s doch nichts aus, Peter, Ihre Abreise noch einen Tag hinauszuschieben«, hatte Fred gesagt. »Sie haben doch nichts Bestimmtes vor. Und Sie wissen, wie sehr Vicky und Greg das alles mitgenommen hat.«