»Was heißt da >mhm<? Er kann das nicht gewesen sein.« Meine Reaktion empörte ihn. »Er war Tierpfleger.«
»Und Anästhesist.«
»Sie sind genauso schlimm wie die Polizei.«
»Die Möglichkeit bestand doch immer«, gab ich zu bedenken. »Ich sage ja nicht, daß er sie umgebracht hat, sondern daß er die Fähigkeit und die Gelegenheit dazu hatte. Genau wie Sie.«
Er dachte darüber nach. »Oh.«
»Vielleicht hat er herausgefunden, wer sie umgebracht hat«, sagte ich.
Ken schluckte. »Ich habe Ihnen nicht geglaubt, als Sie sagten, die Sache sei gefährlich. Ich meine, Pferde töten ist eine Sache, aber einen Menschen töten ist etwas ganz anderes.«
»Gefährlich wird es, wenn man Mittel und Wege hat, spurlos zu töten.«
»Ja, verstehe.«
»Und Scott ist schon der zweite Tote hier.«
»Der zweite? Ach, Sie meinen den Brandstifter?«
»Alle vergessen ihn«, sagte ich. »Oder sie, natürlich.«
»Sie?«
»Was ist mit dieser Pflegerin, die im Streit gegangen ist?«
»Die hat die Polizei doch sicher überprüft!«
»Ja, wahrscheinlich«, überlegte ich. »Wie wär’s, wenn wir Nagrebb besuchten?«
Er schüttelte sich beim Gedanken daran. »Nagrebb ist schlimm genug, aber sein Sohn ist noch schlimmer.«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, er habe eine Tochter.«
»Hat er auch. Zwei Söhne und eine Tochter. Einer von den Söhnen ist ebenfalls Springreiter, und er ist der gemeinste Hund, der je in einem Sattel gesessen hat.«
»Das will schon was heißen, wo doch Wynn Lees noch da ist.«
»Den werden Sie als nächstes besuchen wollen.«
»Nein, das glaube ich eigentlich nicht.«
»Einen Rest Verstand haben Sie also noch.«
»Nun«, sagte ich, »wer hat denn das Pferd von Fitzwalter trainiert?«
»Er selbst. Er hat eine Lizenz.« »So?« Ich wußte nicht, warum mich das erstaunte. Viele Besitzer von Hindernispferden trainierten ihre Pferde selbst. »Sie sagten, glaube ich, es war ein Hengst?«
»Ja. Ein dreijähriger Hengst. Er hatte als Zweijähriger auf der Flachen gesiegt, und Fitzwalter hat ihn gekauft, weil er sie gern auf Leistung trimmt und sie als Drei- und Vierjährige in Hürdenrennen laufen läßt und etwas später dann über die Hindernisse.«
»Wie ist er?«
»Fitzwalter? Rechthaberisch, aber als Trainer gar nicht so übel. Wenn Sie daran denken, ihn zu besuchen, würde ich mitkommen. Er hat den Tod seines Pferdes recht gut aufgenommen.«
»Wo wohnt er?«
»So fünf Meilen von hier. Soll ich anrufen, um zu sehen, ob er da ist?«
»Wäre vielleicht ganz gut.«
»Er hat mich allerdings nicht sausen lassen. Ich meine, Sie brauchen ihn nicht umzustimmen wie die anderen. Und wie haben Sie bloß Zoe so schnell besänftigt? Sie war ja Wachs in Ihren Händen. Nicht eine Kralle zu sehen.«
»Ich weiß nicht. Ich fand sie attraktiv. Das hat sie wahrscheinlich gemerkt.«
»Attraktiv!«
»Auf ihre Weise.«
»Erstaunlich. Na, jedenfalls beschäftigt uns Fitzwalter quasi auf Vertragsbasis, und der Vertrag besteht noch.«
»Gut - können Sie denn bei ihm reinschneien, ohne daß er Sie ausdrücklich ruft?«
Er nickte. »Ich schau da oft im Vorbeifahren kurz rein.«
»Dann nichts wie los!«
Er suchte in seinem Adreßbüchlein die Nummer heraus und rief an. Offenbar war Fitzwalter zu Hause, denn Ken stieg von meinem Wagen in seinen um und fuhr mir voran, über die Felder und eine Serpentine hinauf zu einer kahlen Hochfläche, auf der ein graues, unscheinbares Steinhaus stand. Direkt daneben ein hektargroßer Autofriedhof voller zertrümmerter und verrosteter Wagen, eine Schutthalde von alten Träumen.
Wir bogen von der Straße auf eine gerade Zufahrt, die an dem Haus vorbeiführte und an einem kleinen, nach hinten offenen Stallhof endete, der aussah, als wäre er aus alten Schuppen, einer Scheune, ein oder zwei Garagen und einem Hühnerstall zusammengezimmert.
»Fitzwalter ist Alteisenhändler«, erklärte Ken unnötigerweise, als wir ausstiegen. »An Wochenenden wimmelt es auf diesem Schrottplatz von Leuten, die nach Einzelteilen, Reifen, Ventilen, Sitzen und nach Kolben suchen, er verkauft alles. Die ausgeschlachteten Kadaver preßt er dann und läßt sie einschmelzen. Verdient ein Vermögen damit.«
»Eigenartige Kombination, Altmetall und Pferde«, sagte ich.
Ken gab belustigt zurück: »Sie würden staunen. Die Hälfte aller Jugendlichen, die bei Springturnieren und Gymkhanas den Pokalen nachjagen, werden auf diese Weise finanziert. Na gut, nicht die Hälfte, aber jedenfalls ein Teil.«
Auf dem Hof standen Türen offen, Burschen schleppten Eimer: Die Abendstallzeit war in vollem Gang. Fitzwalter, von Ken schlicht Fitz genannt und auch so vorgestellt, kam aus einem garagenartigen Stand und begrüßte uns mit einem Winken. Er trug geflickte, schwarz mit Öl verschmierte Kordhosen und ein großkariertes derbes Wollhemd. Keine Jacke, trotz der kalten Luft. Er hatte glattes schwarzes Haar, dunkle Augen, sonnengebräunte Haut, war dünn, energisch und um die Sechzig.
»Sie sollten ihn mal auf der Rennbahn sehen«, sagte Ken leise, als wir über den Hof gingen. »Dort trägt er Maßanzüge und sieht aus wie ein eleganter Städter.«
Im Augenblick sah er eher wie ein Zigeuner aus, aber sein Englisch war gepflegt und sein Benehmen geschäftsmäßig. Er entschuldigte sich, daß er uns nicht die Hand gab, da er Sulfanilamid-Puder an den Fingern hatte, und wischte sie statt dessen beiläufig an seiner Hose ab. Ken kam ihm offenbar wie gerufen, denn er bat ihn, nach einem freundlichen Nicken in meine Richtung, sich doch schnell einmal den Ausschlag am Kniegelenk seiner Stute anzusehen.
Wir gingen zu der Box, aus der er gekommen war und die, wie sich zeigte, eine ungeheure fuchsrote Hinterhand und einen peitschenden Schwanz beherbergte. Vermutlich gehörte dazu auch ein Kopf und das übliche Vordergestell, aber die waren außer Sicht. Ken und Fitz glitten unbekümmert an der Auskeilzone vorbei, doch ich blieb zurück, außer Reichweite.
Da ich von der fachlichen Beratung im Innern nichts hören konnte, beobachtete ich statt dessen das Treiben draußen auf dem Hof und lauschte dem Klappern und Klirren der Eimer.
Hier kam mir nichts bekannt vor. In meinem Gedächtnis herrschte Leere.
»Versuchen Sie es lieber mit Vaseline«, sagte Ken beim Herauskommen. »Halten Sie den Ausschlag eine Zeitlang feucht, statt ihn vorschnell zu veröden. Sonst sieht sie ja ganz gut aus.«
Er und Fitzwalter gingen über den Platz aus festgebackener Erde und welkem braunem Unkraut auf die Scheune zu. Als ich ihnen folgte, sah ich dort drinnen zwei geräumige Stallboxen, stabil genug gebaut für Zugpferde, aber bewohnt von zwei schmalen, fit aussehenden Braunen, die an der Wand angehalftert waren.
Ken und Fitzwalter schauten sie sich der Reihe nach an. Ken tastete die Beine ab. Ausgiebiges Nicken auf beiden Seiten.
»Wie viele Pferde trainieren Sie?« fragte ich Fitzwalter interessiert.
»Sechs zur Zeit«, sagte er. »Jetzt ist ja gerade Hauptsaison. Ich habe Platz für sieben, aber einen haben wir vor einiger Zeit verloren.«
»Ja. Ken hat es mir erzählt. Pech.«
Er nickte und fragte Ken: »Haben Sie rausbekommen, was mit ihm war?«
»Nein, leider nicht.«
Fitzwalter kratzte sich den Nacken. »Guter kleiner Hengst«, sagte er, »schade, daß er sich am Knie verletzt hat.«
»Hatten Sie ihn versichert?« fragte ich mitfühlend.
»Ja, aber nicht hoch genug.« Er zuckte unbekümmert die Achseln. »Manche versichere ich, manche nicht. Meistens ist die Prämie zu hoch, so daß ich lieber verzichte. Ich lasse es drauf ankommen. Aber ihn, na ja, den hatte ich teuer gekauft und mich deshalb auch abgesichert. Allerdings nicht genügend. Mal gewinnt man, mal verliert man.«