»Sie haben vermutlich recht.« Ich schwieg, dann sagte ich: »Kannten sie auch alle Ihren Vater?«
Er warf mir einen leicht verstörten Blick zu, wich aber der Frage nicht aus.
»Der alte Mackintosh offensichtlich schon«, sagte er. »War das nicht allerhand? Daß ich ihm so ähnlich sehe, wußte ich gar nicht.«
»Wer noch?«
»Keine Ahnung. Da er Tierarzt hier in der Gegend war, nehme ich an, er hat die meisten von ihnen gekannt.«
»Und er wußte natürlich von Wynn Lees.«
»Aber das kann doch jetzt keine Rolle mehr spielen, nach so langer Zeit.«
»Ich denke nur laut«, sagte ich. »Kennen sie sich alle untereinander?«
Er runzelte die Stirn. »Eaglewood kennt Lees und Mackintosh und Upjohn. Bei Nagrebb weiß ich’s nicht. Die drei Trainer kennen sich natürlich gut. Sie treffen sich ja dauernd beim Rennen. Nagrebb lebt in einer anderen Welt. Wynn Lees auch.«
»Und das Ganze hat angefangen, nachdem Wynn Lees aus Australien zurückgekommen ist.«
»Ich nehme es an.«
Völlig deprimiert tranken wir unsere Gläser leer und fuhren nach Thetford Cottage. Belinda, die müde aussah, hatte Vicky und Greg bereits von Scott erzählt, und so verbrachten wir einen langen gedrückten Abend. Vicky erbot sich, zur Verbesserung unserer Laune zu singen, doch Belinda war damit nicht einverstanden. Sie und Ken gingen um zehn, und wir anderen legten uns erleichtert schlafen.
Am Morgen fuhr ich wie von einem Magnet angezogen wieder zur Klinik, doch da tat sich nichts. Die Türen des Containers waren zu. Der gewöhnlich überfüllte Parkplatz war halb leer. Zwei Polizeiwagen standen vor der Klinik, aber nirgends war eine Schranke, die andere Fahrzeuge ferngehalten hätte.
Ich parkte am Vordereingang und ging hinein und fand Ken, Oliver, Jay und Lucy düster schweigend im Büro sitzen.
»Morgen«, sagte ich.
Niemand konnte sich zu einer Begrüßung aufraffen.
»Carey hat die Praxis geschlossen«, sagte Ken, die allgemeine Stimmung erklärend. »Er hat sämtliche Kleintiertermine von der Sekretärin absagen lassen. Sie war im Container und telefonierte herum, als wir kamen. Jetzt nimmt sie die Anrufe entgegen und sagt den Leuten, sie sollen sich andere Tierärzte suchen.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß er uns das antut«, rief Lucy aus. »Er hat uns nicht mal gefragt.«
»Er hat gar nicht das Recht dazu«, sagte Oliver. »Wir haben eine Gemeinschaftspraxis. Da kann er zwar aussteigen, wenn er will - je eher, desto besser -, aber er kann uns nicht einfach so um unsere Arbeit bringen.«
Jay sagte: »Meine Rinder sind ja von der Unheilswelle hier gar nicht berührt. Ich werde meine Klienten anrufen und ihnen sagen, daß ich mich selbständig gemacht habe.«
»Manchmal brauchen Sie die Klinik«, sagte Ken.
»Wenn das anfällt, werde ich den OP mieten.«
»Gute Idee«, meinte Oliver.
Ich unterließ es, darauf hinzuweisen, daß es für sie als gemeinsame Besitzer, die jeder einen Teil der Hypothek abtrugen, schwerer sein könnte, von der Klinik loszukommen, als sie dachten. Das ging mich nichts an.
»Ist Carey hier?« fragte ich.
Sie schüttelten die Köpfe. »Er war hier. Er hat uns
Bescheid gesagt. Es hat uns die Sprache verschlagen. Dann ist er wieder weg.«
»Und die Polizei? Ihre Wagen sind da.«
»Im OP«, sagte Lucy. »Wir wissen nicht, was sie da machen.«
Wie aufs Stichwort erschien ein Polizist am Eingang und bat die Tierärzte, mit ihm zum Kommissar zu kommen. Sie strömten hinaus und folgten ihm durch den Gang, und ich hätte vielleicht versuchen können, mich unauffällig dranzuhängen, doch das Telefon auf dem Schreibtisch brachte mich auf eine bessere Idee, und ich rief statt dessen Annabel im Jockey-Club an.
»Ah, gut«, sagte sie, als ich mich meldete, »ich wußte nicht, wie ich Sie erreichen kann. Ein paar Leute, die ich kenne, suchen einen neuen Untermieter. Sind Sie interessiert?«
»Brennend«, sagte ich.
»Wann können Sie kommen?«
»Heute abend«, sagte ich.
»Können Sie mich um sechs bei mir zu Hause abholen?«
»Ja, um sechs, und ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Muß jetzt Schluß machen. Tschüs.«
»Tschüs«, sagte ich, aber sie war schon weg. Ich dachte beim Auflegen, daß das Leben doch nicht nur aus Not und Verderben bestand.
Fast sofort klingelte das Telefon wieder, und da niemand aus der Chirurgie herbeigelaufen kam, nahm ich nach einigen Augenblicken den Hörer ab und sagte: »Hewett und Partner, was kann ich für Sie tun?«, genau wie Ken.
Eine Stimme am anderen Ende sagte: »Hier ist die Parkway Chemical Company. Wir müßten Kenneth McClure sprechen, von dem wir heute morgen einen Brief erhalten haben.«
Ich sagte: »Am Apparat.« Im Ausland lügen für das eigene Land .!
»Schön, Dann also zu Ihrer Anfrage. Ich bin übrigens der Verkaufsleiter. Wir bedauern, daß es bei Ihnen gebrannt hat.«
»Danke. Es ist ein Chaos.«
»Müssen Sie jetzt alles ersetzen, was verlorengegangen ist?«
»Ja«, sagte ich. »Wenn Sie uns die früheren Rechnungen zuschicken würden, könnten wir eine neue Einkaufsliste zusammenstellen.«
»Ausgezeichnet«, sagte er. »Sie erinnern sich aber doch sicher auch, daß einige Stoffe darunter sind, die wir nicht mit der Post aufgeben können. Da werden Sie wie letztes Mal wieder jemand schicken müssen, der sie abholt.«
»Okay«, sagte ich.
»Unseren Unterlagen zufolge war Ihr Bote letztes Mal ein Mr. Scott Sylvester. Er ist abholberechtigt, aber wenn Sie jemand anders schicken, dann benötigen wir einen vollständigen Nachweis seiner Legitimation und ein Begleitschreiben Ihres Labors. Auch Mr. Sylvester würde sich ausweisen müssen. Tut uns leid und alles, aber Sie wissen, wir müssen vorsichtig sein.«
»Ja«, sagte ich. »Könnten Sie uns die Rechnungskopien möglichst bald zukommen lassen?«
»Natürlich. Wir stellen sie gerade eben zusammen. Sie gehen heute noch raus.«
»Könnten Sie auch eine Kopie des Lieferscheins mitschicken, den Sie Scott Sylvester sicher gegeben haben, als er die Ware bei Ihnen abgeholt hat?«
»Natürlich, wenn Sie möchten.« »Es erleichtert uns die Neuordnung unserer Unterlagen.«
»Selbstverständlich. Ich suche das gleich heraus.«
»Haben Sie herzlichen Dank.«
»Keine Ursache. Wir helfen gern.« Er legte sanft den Hörer auf, und ich stand da und dachte über die mögliche Bedeutung dessen nach, was er mir erzählt hatte.
Scott hatte mindestens eine Substanz, die nicht mit der Post versandt werden durfte, persönlich abgeholt. Es konnte etwas Harmloses sein. Es konnte alles mögliche sein. Ich hätte den Verkaufsleiter gern gefragt, was Scott eigentlich befördert hatte, doch er hatte davon gesprochen, als wüßte ich Bescheid, und ich hatte ihn nicht mißtrauisch machen wollen. Morgen früh oder wann immer die Antwort durch den Briefkastenschlitz von Thetford Cottage fiel, würden wir es herausfinden. Geduld, dachte ich, war manchmal die schwerste aller Tugenden.
Ich kam pünktlich um sechs bei Annabel an, und sie öffnete auf mein Klingeln die Tür.
Ihre Kleidung bestand diesmal aus einer flatterigen schwarzen Seidenhose und einem weiten Top, das aussah, als sei es ganz aus zarten weißen Federn. Dazu trug sie silberne Stiefel, einen breiten silbernen Gürtel, silberne Ohrringe und hatte gegen die Kälte ein schwarzes Cape überm Arm. Ihr Mund war rosa, und ihre Augen lächelten. Ich küßte sie auf die Wange.
»Wir können eigentlich gleich mit Ihrem Wagen weiterfahren«, sagte sie. »Die Leute erwarten uns.«
»Prima.«
Unterwegs erzählte sie mir, daß die Leute ein Wohnschlafzimmer anboten, daß ich aber Putzen und Frühstück in Kauf nehmen müßte.
»Es liegt ihnen daran, Sie wieder loswerden zu können, wenn ihnen Ihre Gewohnheiten nicht passen. Sie möchten keinen Rechtshandel.«