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Gütiger Himmel! Da hatte ich mich gerade selbst ertappt. Von wegen, wenn ich Annabel heiratete! Dafür war es doch viel, viel zu früh.

Kurz nachdem wir ins Cottage zurückgekommen waren, rief Ken an.

»Wo sind Sie gewesen?« fragte er.

»Habe mit Greg und Vicky die Stadt auf den Kopf gestellt.«

»Das möchte ich mal erleben. Hören Sie«, er klang verlegen, »meine Mutter hat sich fast die Augen ausgeweint. Sie haben eine Unmenge Kummer freigesetzt. Aber bei Gott, ich danke Ihnen. Ich weiß zwar nicht, woher Sie das alles wissen, was Sie wissen, aber soweit es mich betrifft, kann mein Vater jetzt in Frieden ruhen.«

»Das freut mich.«

»Als ich wieder zu Hause war«, sagte er, »hat Carey angerufen. Er klang ziemlich niedergeschlagen. Er wollte wissen, wie es in der Praxis läuft. Ich sagte ihm, wir brauchten ihn, aber ehrlich gesagt glaube ich, ihm ist das jetzt gleichgültig. Jedenfalls habe ich ihm von den Rechnungen erzählt und was wir unternommen haben.«

»Was meinte er dazu?«

»Nichts weiter. Nur, daß wir unsere Sache gut gemacht hätten. Kam mir nicht so vor, als ob es ihn interessiert. Ich glaube, Oliver hat doch recht. Wir müssen uns neu gruppieren und allein was auf die Beine stellen.«

»Das wird am besten sein.«

Seine Stimme klang entschlossen. »Ich werde die anderen zusammentrommeln, damit wir das bereden können.«

»Gute Idee.«

»Jedenfalls vielen Dank noch mal«, sagte er. »Wir sehen uns sicher morgen.«

Vielleicht, dachte ich, als er auflegte, aber morgen würde Annabel kommen, und da wollte ich ein Essen zu zweit, nicht im Familienkreis.

Sie kam mit dem letzten Vormittagszug, und wir küßten uns zur Begrüßung so vertraut, als wären die acht Tage, die wir einander kannten, achtzig auf einer einsamen Insel gewesen. Sie trug einen weiten Pullover mit weißen Sternen auf schwarzem Grund über einer engen schwarzen Stretchhose. Rosa Lippenstift. Riesengroße Augen.

»Ich habe zum Essen ein Superlokal entdeckt«, sagte ich, »aber wir müssen auf dem Weg dahin kurz anhalten. Kleine kriminalistische Einlage. Wird nicht lange dauern.«

»Schon gut«, sagte sie lächelnd. »Ich habe Ihnen auch was von Broses Freund Higgins mitgebracht, das Ihnen weiterhelfen soll.«

Sie zog einen Briefumschlag aus ihrer glänzend schwarzen Handtasche und gab ihn mir. Er enthielt, wie ich sah, eine Liste von drei Versicherungsgesellschaften, die im vergangenen Jahr für außerhalb der Rennbahn gestorbene Pferde gezahlt hatten. Neben jeder Agentur stand ein Name und eine Telefonnummer, an die ich mich wenden konnte, und darunter hatte Higgins geschrieben: »Berufen Sie sich auf mich, dann bekommen Sie genaueste Auskunft. Nächste Woche mehr.«

»Fabelhaft«, sagte ich erfreut. »Damit müßten wir bald am Ziel sein. Ich rufe die Leute morgen früh an. Es war öder Papierkram, der Al Capone ins Gefängnis gebracht hat, vergessen Sie das nicht. Papierkram kann vernichtend sein, wenn man sich Fehler leistet, das wissen wir im diplomatischen Dienst nur zu gut.«

»Man darf nur nichts unterschreiben«, meinte sie ironisch, »dann bekommt man auch keinen Ärger.«

Wir stiegen in meinen Wagen und fuhren los zur Pferdeklinik.

Ich sagte: »Vicky hat mir ausgerichtet, daß der Kommissar, der wegen Scotts Tod ermittelt, mich heute am späten Vormittag kurz sprechen will. Ken und ich haben uns in letzter Zeit jeden Tag mit ihm in der Klinik unterhalten. Es wird schon zur Gewohnheit.«

»Wie läuft’s so allgemein?«

»Sag ich Ihnen beim Essen, wenn Sie möchten, obwohl es bessere Gesprächsthemen gibt. Wie geht’s dem Bischof?«

»Er ist vorsichtig.«

Ich lächelte. Meine Vorsicht schwand mit jedem Mal, wo ich sie sah, mehr. Die Aussicht auf den kommenden Frühling und Sommer, das Gefühl, daß das Leben erst anfing, die Schauer der Erregung tief im Innern, all das verband sich zu prickelnder Hochstimmung. Laß es keinen Irrtum sein, dachte ich. In ein paar Monaten würden wir wissen, ob es von Dauer war, ob die Anziehung Bestand hatte. Ich hatte noch nie auch nur annähernd in solchen Begriffen gedacht. Vielleicht war es wirklich so, daß man sofort Bescheid wußte, wenn man die Richtige oder den Richtigen traf.

Vielleicht wußte sie es auch. Ich sah in ihren Augen die gleiche glitzernde Erkenntnis, aber ebenso die Gewißheit, daß sie sich zurückziehen würde, wenn es sich für sie als Irrtum erwies. Eine Mischung aus Spaß, Kompetenz und Zurückhaltung, das war Annabel. Ich machte mir schon Sorgen, sie könnte mich, wenn ich sie fragte, am Ende nicht haben wollen.

Ein einziger Wagen parkte am Vordereingang der Klinik, als wir hinkamen. Nicht Ramseys üblicher Wagen und auch keiner, den ich kannte.

»Ich glaube nicht, daß der Kommissar schon da ist, aber irgend jemand ist da«, sagte ich. »Haben Sie Lust, mit reinzukommen und sich mal umzusehen?«

»Ja, gern. Bis jetzt kenne ich nur die Räumlichkeiten in Newmarket.«

Wir gingen in die Eingangshalle und durch den langen Gang zum Büro, in dem sich nicht nur keine Polizisten, sondern gar niemand befand.

»Schauen wir mal, was offen ist«, schlug ich vor, und wir gingen weiter den Gang hinunter zur Tür des Chirurgie-Vorraums. Sie ließ sich öffnen, und wir traten ein, worauf ich Annabel die Umkleideräume und den Giftschrank zeigte und ihr sagte, zumindest brauchten wir uns nicht um Überschuhe, Sterilität und solches Zeug zu kümmern.

Wir betraten den Operationssaal und schauten uns um. Annabel war begeistert von dem Kran.

»In dem Laden in Newmarket, den ich gesehen habe, stellen sie das Pferd neben eine Art Tisch und schnallen es daran fest, solange es noch steht, sediert zwar, aber noch bei Bewußtsein. Wenn es dann betäubt ist, kippen sie den Tisch in die Waagerechte, und zack! fangen sie an zu schneiden.«

Die Schiebetür zu dem gepolsterten Narkose- und Ruheraum stand jedem daherkommenden Bazillus weit offen. Als wir hineingingen, staunte Annabel über den federnden Boden und hüpfte ein paarmal auf und ab.

»Wofür ist die Trennwand?« fragte sie und deutete mit dem Finger.

»Dahinter stellen sich die Ärzte, wenn das Pferd wieder aufwacht«, erklärte ich. »Anscheinend treten die Patienten manchmal um sich, und da ist man lieber aus der Schußlinie.«

»Wie in der Stierkampfarena«, sagte sie.

»Genau.«

Hier war offenbar niemand. Wir gingen auf den Flur hinaus und in die Aufnahme mit ihrem rollenden Gerät entlang den Wänden, alles still und einsatzbereit.

»Normalerweise achten sie peinlich darauf, daß alles abgeschlossen ist«, sagte ich. »Das gesamte System bricht zusammen.«

»Die Ärmsten.«

Ich probierte die Tür zur Außenwelt. Wenigstens die war verschlossen.

Irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl. Mit der ganzen

Chirurgie schien etwas nicht zu stimmen, wenn ich auch nicht sagen konnte, woran es lag.

Der Ort war mir vertraut geworden, und er sah aus wie immer. Der Unterschied war, daß ich jetzt ziemlich sicher wußte, wer Scott umgebracht hatte, und darauf brannte, es möglichst bald Ramsey zu sagen. Daß er noch nicht da war, sah ihm gar nicht ähnlich, obwohl der »späte Vormittag«, den er hatte ausrichten lassen, die Zeit nicht allzu genau festlegte.

Vielleicht hätte ich Ken Bescheid sagen sollen, dachte ich, aber jetzt war es schon passiert. Es war vielleicht gar nicht so gut, an einem Sonntagmorgen hier zu sein.

»Gehen wir zurück ins Büro«, sagte ich abrupt. »Ich rufe Ramsey an und frage, wie lange es noch dauert, bis er herkommt.«

»Okay.«

Ich machte kehrt und ging durch den gepolsterten Raum voran, auf den Gang zu. Ich ging in den OP mit all seiner lebensrettenden und nüchternen Technik und redete über meine Schulter hinweg.

»Waren Sie schon mal wegen etwas wirklich Ernstem im Krankenhaus?«