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Annabel bewegte sich.

Ich empfand eine ungeheure, herzerhebende Erleichterung und Dankbarkeit. Ich drückte ihre Hand, und wenn sie auch den Druck nicht erwiderte, nahm ich doch an, daß sie mich jetzt hören konnte.

»Sei unbesorgt«, sagte ich. »Ich bin hier bei dir. Es geht dir jetzt bald wieder gut. Ein Verrückter hat dir eine kleine Dosis Betäubungsmittel gespritzt, aber die Wirkung läßt schon nach, und alles ist in Ordnung. Laß dir Zeit. Es wird jetzt sehr schnell besser, das kann ich dir versprechen.«

Ich redete ihr weiter zu, und schließlich schlug sie die Augen auf und lächelte mich an.

Sie saß in meine Arme geschmiegt, zitterte aber vor Angst, daß die immer noch am Boden liegende Gestalt in dem OP-Kittel erwachen, aufspringen und uns etwas antun könnte. Er sei über die Trennwand hinweg auf sie losgegangen, sagte sie. Sie hatte ihn zu ihrem Schreck gerade noch gesehen, bevor er ihr die Nadel in den Hals gestochen hatte.

»Wenn er sich rührt«, sagte ich, »hole ich die Ketten ein, damit es ihm die Arme hinterm Rücken weiter hochzieht. Dann bleibt er unten.«

»Das gefällt mir alles nicht.«

Mir gefiel es auch nicht. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der stämmige Kommissar neugierig vom Gang her durch die Tür trat und verblüfft auf die Gestalt am Boden starrte.

Ich stand auf und ging ihm entgegen.

»Was genau liegt an?« fragte er.

»Ich glaube«, sagte ich, »daß das Ihr Mörder ist. Und seien Sie vorsichtig, denn unter ihm oder dicht bei ihm liegt eine Spritze mit etwas, was Ihrer Gesundheit sehr schaden könnte.«

Eine Woche danach rief ich meine Mutter an und erzählte ihr das meiste, was geschehen war. Nichts von Russet Eaglewood, nicht zuviel von Scott, nichts von dem verzweifelten Kampf um mein Leben.

Am Ende rief sie aus: »Ich kann nicht glauben, daß ein Tierarzt Pferde umbringt!«

»Tierärzte töten andauernd Pferde.«

»Das ist etwas anderes.«

»So anders auch wieder nicht.«

»Er muß verdreht im Kopf gewesen sein!«

»Ja, schon«, sagte ich.

Ich dachte an Carey, wie ich ihn zuletzt noch kurz gesehen hatte, auf einer Tragbahre festgeschnallt, mit einer dicken Beule an der Stirn. Die Augen geschlossen.

Dem Anschein nach harmlos. Später hörte ich, er sei mit einer Gehirnerschütterung aufgewacht und seither verblüffend ruhig gewesen. »Er ist erleichtert, schätze ich«, meinte Ramsey in einem Anfall von ungewohnter Geschwätzigkeit. »Die sind oft erleichtert, wenn alles vorbei ist. Komisch.«

Eine Spritze mit Spuren eines Betäubungsmittels war hinter der Trennwand am Boden des Narkoseraums gefunden worden.

Die zweite Spritze, die mir Carey im OP hatte verpassen wollen, war unter einen nahen Tisch gerollt. Eine vorsichtige Analyse ergab, daß sie unzweifelhaft Tetrodotoxin enthielt. Die leere Ampulle mit dem Firmennamen Parkway und der Seriennummer in Schwarz sowie dem roten Aufdruck »Vorsicht! Gift!« lag in der Nierenschale, in der die Spritze gewesen war.

»In flagranti«, sagte Ramsey befriedigt.

Bei der Durchsuchung von Careys Wohnung fanden sie ein Buch über gefährliche Meerestiere, unter denen der Kugelfisch ganz vorn rangierte.

»Indizienbeweis«, sagte Ramsey.

In Ramseys Verzeichnis von den Porphyr-Park-Anlegern war Carey mit einem Betrag vertreten, der mich zusammenzucken ließ.

Higgins’ Freunde aus der Versicherungsbranche fanden jedes tote Pferd auf unserer Liste: Agent jeweils Theodore Travers; Zahlungsempfänger zumeist fiktiv, aber auch Wynn Lees, Fitzwalter und Nagrebb.

Der eilends angeforderte Bericht über den Chromosomenvergleich der Stute und des Fohlens mit Rainbow Quest war negativ: keinerlei Übereinstimmung, er war eindeutig nicht der Vater. Wynn Lees, den man mit Sicherheit wegen Betrugs belangt hätte, war schlauerweise ins Ausland geflohen.

Meine Mutter sagte: »Was ist mit Ken?«

»Ich mußte ihm sagen, daß ich als Junge hier gewohnt habe. Er hat sich die ganze Zeit gewundert, woher ich so viel wußte.«

»Du hast ihm aber doch nicht von mir und seinem Vater erzählt?« fragte sie besorgt.

»Kein Wort. Das wird besser nicht bekannt.«

»Diplomat wie eh und je«, sagte sie neckend, aber erleichtert.

Die Hochzeit von Ken und Belinda, sagte ich ihr, werde stattfinden wie geplant. »Und geplant ist genau das richtige Wort dafür. Die beiden gehen das so praktisch an. Kein verliebter Funke. Aber auch keine Bedenken, wie es scheint.«

»Du räumst ihnen also nicht viel Chancen ein?« fragte sie, hörbar enttäuscht.

»Fifty-fifty, würde ich sagen. Aber Belinda sagt zu ihrer Mutter jetzt Vicky statt Mutter. Das könnte alles ändern.«

Meine eigene Mutter lachte leise. »Du meintest, Vicky würde mir gefallen.«

»Sehr sogar.«

»Wir werden uns nie kennenlernen.«

»Doch. Dafür sorge ich schon.«

Ken selbst, erzählte ich ihr, werde mit weitgehend wiederhergestelltem Ruf aus der Geschichte hervorgehen.

»Es kann sein«, sagte ich, »daß manche behaupten werden, er hätte früher erkennen müssen, warum die Pferde bei der Operation gestorben sind. Da ich kein Tierarzt bin, kann ich das nicht beurteilen. Insgesamt sieht es aber ganz gut aus. Die Partner haben sich getroffen und beschlossen, ab sofort weiterzumachen und die rechtlichen

Fragen später zu klären, und die Praxis ist jetzt umbenannt in McClure Quincy Amhurst, was den bösen Zungen den Wind aus den Segeln nehmen dürfte.«

»Fabelhaft!«

»Und Mama«, sagte ich, »dein Kenny ...«

»Ja?«

»Ich habe herausgefunden, warum er gestorben ist.«

Es war still in der Leitung, dann sagte sie: »Erzähl es mir«, und ich erklärte ihr die Theorien und daß Josephine sie für wahr hielt und als tröstlich empfand.

»Stimmen deine Theorien?«

»Ja, ich glaube schon.«

Eine kurze Stille. Ein leises, gehauchtes: »Danke, Schatz.«

Ich lächelte. »Hättest du gern eine Schwiegertochter?« fragte ich.

»Ja! Das weißt du doch.«

»Sie heißt Annabel«, sagte ich.