Peter Elliots Schwierigkeiten begannen am 2. Februar 1979. Amy lebte in einem Wohnwagen auf dem Universitätsgelände in Berkeley; die Nächte verbrachte sie dort allein, und gewöhnlich begrüßte sie am folgenden Morgen ihre Betreuer überschwenglich. Doch an diesem Vormittag war sie mürrisch - was gar nicht zu ihr paßte. Sie reagierte gereizt und hatte einen verschleierten Blick. Sie verhielt sich, als hätte man ihr Unrecht getan. Elliot war der Ansicht, irgend etwas müsse sie während der Nacht aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Als man sie fragte, machte sie immer wieder Zeichen, die »Schlaf-Kasten« bedeuteten, eine neue Wortverbindung, die ihm nichts sagte. An sich war das nicht ungewöhnlich - Amy erfand ständig neue Wortverbindungen, die oft schwer zu verstehen waren. Noch wenige Tage zuvor hatte sie alle damit verblüfft, daß sie von »Krokodil-Milch« gesprochen hatte. Schließlich kamen sie dahinter, daß Amys Milch sauer geworden war, und da ihr Krokodile, die sie allerdings nur aus Bilderbüchern kannte, widerwärtig waren, bezeichnete sie nun offenbar saure Milch als »Krokodil-Milch«. Jetzt sprach sie von »Schlaf-Kasten«. Zuerst nahm man an, sie meine damit ihr ausgepolstertes Schlafnest. Doch zeigte, sich, daß sie das Wort »Kasten« in dem ihr vertrauten Sinne gebrauchte, nämlich für Fernsehgerät.
Alles in ihrem Wohnwagen, auch der Fernseher, wurde vierundzwanzig Stunden am Tag über Computer gesteuert. Man prüfte, ob das Gerät womöglich über Nacht eingeschaltet gewesen war und ihren Schlaf gestört hatte. Da Amy gern fernsah, war es durchaus denkbar, daß sie es fertiggebracht hatte, es selbst einzuschalten. Doch als sie darangingen, das Fernsehgerät im Wohnwagen näher zu untersuchen, bedachte Amy sie mit einem verächtlichen Blick. Offenkundig meinte sie etwas anderes. Schließlich kam man zu dem Ergebnis, sie meine »Schlaf-Film« oder »Schlaf-Bilder«. Als man sie befragte, machte sie Zeichen, aus denen hervorging, daß es sich um »schlechte Bilder« und »alte Bilder« handelte, bei denen »Amy weinen« mußte. Sie träumte also.
Die Tatsache, daß Amy der erste Primat war, von dessen Träumen man erfuhr, rief unter Elliots Mitarbeitern ungeheure Erregung hervor, die allerdings nur von kurzer Dauer war. Obwohl Amy in den darauffolgenden Nächten wieder träumte, weigerte sie sich, von ihren Träumen zu berichten. Sie schien sogar den Forschern Vorwürfe zu machen wegen dieses neuen und verwirrenden Eindringens in ihr Seelenleben. Schlimmer war, daß ihr Verhalten im Wachzustand sich auf alarmierende Art verschlechterte.
Die Quote ihres Spracherwerbs sank von 2,7 auf 0,8 Wörter pro Woche, die Anzahl ihrer spontanen Wortbildungen von 1,9 auf 0,3. Ihre aufgezeichnete Aufmerksamkeitsdauer ging auf die Hälfte zurück, Stimmungsumschwünge nahmen zu, unmotiviertes und unberechenbares Verhalten wurde zur Regel. Täglich hatte sie Wutanfälle und schlechte Laune. Amy war zu jener Zeit ein Meter siebenunddreißig groß, wog neunundfünfzig Kilogramm und war ungeheuer kräftig. Elliots Mitarbeiter fragten sich, ob sie notfalls in der Lage sein würden, Amy zu bändigen. Ihre Weigerung, über ihre Träume zu sprechen, ärgerte die Mitglieder der Gruppe. Sie probierten auf verschiedene Art, an Amy heranzukommen: sie zeigten ihr Bilder aus Büchern und Zeitschriften, sie ließen die an der Decke angebrachten Video-Überwachungsgeräte Tag und Nacht laufen, für den Fall, daß sie während ihres Alleinseins etwas Wichtiges bezeichnete, denn Amy sprach wie Kleinkinder »oft mit sich selbst«, und sie versuchten es schließlich mit einer ganzen Batterie neurologischer Testverfahren, einschließlich eines Elektroenzephalogramms.
Ganz zum Schluß verfielen sie auf Fingerfarben. Damit hatten sie sofort Erfolg. Amy war begeistert davon, und nachdem sie Cayenne-Pfeffer mit den Farbpigmenten vermischt hatten, hörte sie auch auf, sich die Finger abzulecken. Sie malte sehr schnell und immer wieder, und sie schien sich etwas zu beruhigen und sich langsam wieder zu fangen. David Bergman, der Kinderpsychologe, notierte: »Amy malt eine Vielzahl augenscheinlich zusammengehöriger Bildsymbole: liegende Mondsicheln oder Halbkreise, denen stets eine Fläche mit grünen Streifen zugeordnet ist. Sie erklärt, daß diese >Wald< bedeuten, und die Halbkreise nennt sie schlechte Häuser< oder >alte Häuser<. Außerdem malt sie oft schwarze Kreise, die sie als >Löcher< bezeichnet.«
Bergman warnte vor dem naheliegenden Schluß, sie male alte Gebäude im Dschungel. »Wenn ich sehe, wie sie unaufhörlich ein Bild nach dem anderen malt, bin ich davon überzeugt, daß es sich dabei um eine ganz persönliche Obsession handelt. Amy fühlt sich von ihr bedrückt und versucht sie loszuwerden, indem sie sie auf das Papier >bannt<.«
Tatsächlich blieb es den Mitarbeitern der Projektgruppe rätselhaft, welcher Art diese Bildwelt war. Bis Ende 1979 war man zu dem Ergebnis gekommen, daß es die vier folgenden, hier nach ihrer Bedrohlichkeit aufgeführten Erklärungen gab:
1. Die Träume stellen einen Versuch zur Bewältigung von Alltagserlebnissen dar. Das ist die übliche Erklärung für Träume (bei Menschen), doch wurde bezweifelt, daß sie auf Amy anwendbar war.
2. Die Träume sind eine vorübergehende Erscheinung der Pubertät. Mit sieben Jahren war Amy in einem Alter, in dem Gorillas pubertieren, und sie hatte auch schon seit nahezu einem Jahr viele dafür typische Verhaltensweisen gezeigt. Dazu gehörten Wutanfälle und Schmollphasen, viel Getue um ihr Aussehen und ein neues Interesse am anderen Geschlecht.
3. Die Träume sind ein artspezifisches Phänomen. Es war möglich, daß alle Gorillas aufwühlende Träume hatten und daß in der Wildnis das Gruppenverhalten die daraus resultierenden psychischen Belastungen in gewisser Weise regulierte. Allerdings gab es keinerlei Belege dafür, obwohl wildlebende Gorillas bereits seit zwanzig Jahren untersucht worden waren.
4. Die Träume sind das erste Anzeichen beginnenden Schwachsinns. Diese Möglichkeit wurde am meisten gefürchtet. Wer einen Menschenaffen mit Aussicht auf Erfolg ausbilden wollte, mußte sehr früh damit beginnen. Erst im Laufe der Jahre ließ sich feststellen, ob das Tier klug oder dumm, widerborstig oder umgänglich, gesund oder kränklich war. Die Gesundheit der Tiere war eine Quelle ständiger Besorgnis. Viele Forschungsprogramme brachen nach Jahren der Mühe und hoher Kosten zusammen, weil die Affen an physischen oder seelischen Krankheiten starben. Timothy, ein Schimpanse, dessen Verhalten in Atlanta erforscht wurde, entwickelte 1976 eine Psychose und beging Selbstmord durch Koprophagie: er erstickte an seinem eigenen Kot. Maurice, ein Orang-Utan in Chicago, wurde neurotisch und entwickelte Phobien, so daß die Arbeit mit ihm 1977 abgebrochen werden mußte. Ihre Intelligenz, um derentwillen die Affen so lohnende Forschungsobjekte waren, machte sie zugleich so anfällig und unzuverlässig wie Menschen. Aber die Projektgruppe Amy sah sich außerstande, in dieser Frage weiterzukommen. Im Mai 1979 entschloß man sich zu einem, wie sich zeigen sollte, folgenschweren Schritt: man beschloß, Amys Bilder zu veröffentlichen und schickte sie an eine Zeitschrift für Verhaltensforschung, das Journal of Behavioral Sciences.