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2. Durchbruch

Der Aufsatz »Traumverhalten eines Berggorillas« wurde nie gedruckt. Er wurde wie üblich an drei Wissenschaftler geschickt, die als Herausgeber der Zeitschrift fungierten. Sie sollten die Arbeit begutachten. Aber auf nach wie vor ungeklärte Weise fiel ein Exemplar in die Hände der Vereinigung zum Schutz der Primaten, einer Gruppe, die sich 1975 in New York gebildet hatte, um »die unbegründete und ungesetzliche Ausbeutung intelligenter Primaten durch unnötige Laborforschung« [ Der folgende Bericht über Elliots Leidensweg stützt sich weitgehend auf: »Infringement of Academic Freedom by Press Innuendo and Hearsay: The Experience of Dr. Peter Elliot.« In:    Journal of Academic Law and Psychiarry, 52, N° 12 (1979). pp. 19-38. ] zu verhindern.

Am 3. Juni demonstrierten Mitglieder der Vereinigung vor dem Gebäude des Zoologischen Instituts in Berkeley und forderten die »Freilassung« Amys. Die meisten Demonstranten waren Frauen, darunter viele mit ihren kleinen Kindern. Die Regionalnachrichten des Fernsehens zeigten Videobänder, auf denen ein achtjähriger Junge ein Transparent mit Amys Bild hochhielt und immer wieder rief: »Befreit Amy! Befreit Amy!« Es erwies sich als taktischer Fehler, daß die Projektgruppe beschloß, den Protest zu ignorieren, und lediglich eine kurze Presseerklärung abgab, in der es hieß, die Vereinigung sei »falsch informiert«. Diese Erklärung ging mit dem Briefkopf der Pressestelle von Berkeley an die Öffentlichkeit.

Am 5. Juni veröffentlichte die Vereinigung zum Schutz der Primaten Stellungnahmen anderer Forscher zu Elliots Arbeit. Viele dementierten später diese Stellungnahmen oder behaupteten, man habe sie falsch zitiert. So hieß es zum Beispiel, Dr. Wayne Turman von der University of Oklahoma in Norman habe Elliots Arbeit als »wunderlich und unethisch« bezeichnet. Dr. Felicity Hammond vom Yerkes-Primatenforschungszentrum in Atlanta sagte: »Weder Elliot noch seine Arbeit sind erstklassig.« Und Dr. Richard Aronson von der University of Chicago bezeichnete Elliots Forschungsarbeit als »ihrem Wesen nach eindeutig faschistisch«.

Keiner dieser Wissenschaftler hatte, bevor er sich zum Thema äußerte, Elliots Aufsatz gelesen. Der Schaden, den diese Äußerungen, insbesondere die von Aronson, verursachten, war nicht abzuschätzen. Am 8. Juni sprach Eleanor Vries, die Sprecherin der Vereinigung, von der »kriminellen Forschungsarbeit Dr. Elliots und seiner Nazi-Mitarbeiter«. Sie behauptete, Elliots Versuche hätten Amy Alpträume verursacht, sie werde gefoltert, mit Drogen und mit Elektroschocks behandelt. Ziemlich spät, am 10. Juni, formulierte die Projektgruppe Amy eine längere Presseerklärung, in der sie ihre Position erläuterte und auf den noch unveröffentlichten Aufsatz verwies. Doch ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt war die Pressestelle der Universität »überlastet« und konnte die Erklärung nicht gleich herausgeben.

Am 11. Juni berief die Fakultät eine Sitzung zu einem Gespräch über »Fragen ethischen Verhaltens« innerhalb der Universität ein. Eleanor Vries verkündete, die Vereinigung zum Schutz der Primaten habe den Staranwalt Melvin Belli aus San Francisco damit beauftragt, »Amy aus der Knechtschaft zu befreien«. Dieser Anwalt war unter anderem dadurch bekannt geworden, daß er die Witwen abgestürzter deutscher Starfighter-Piloten bei ihrer Klage gegen den Bund unterstützt hatte. Eine Stellungnahme zu »Amys Knechtschaft« war in Bellis Büro nicht zu erhalten. Am gleichen Tag gelang der Projektgruppe Amy ein unerwarteter Durchbruch, was das Verständnis von Amys Träumen betraf.

Trotz aller Publizität und Aufregung hatte die Gruppe ihre tägliche Arbeit mit Amy fortgesetzt. Amys anhaltender Kummer und ihre Temperamentsausbrüche erinnerten die Betreuer ständig daran, daß das eigentliche Problem noch immer nicht gelöst war, und so suchten sie weiter beharrlich nach Hinweisen. Der Durchbruch allerdings ergab sich beinahe zufällig. Sarah Johnson, eine wissenschaftliche Hilfskraft, überprüfte prähistorische archäologische Stätten im Kongo für den - unwahrscheinlichen - Fall, daß Amy in ihrer frühen Kindheit, bevor sie in den Zoo von Minneapolis gebracht worden war, eine solche Stätte gesehen haben    könnte    (»alte    Gebäude    im Dschungel«). Sie ermittelte, daß die    Region bis vor hundert Jahren nicht von westlichen Forschern erkundet worden    war,    daß in    jüngerer    Zeit Stammesfehden und ein Bürgerkrieg eine wissenschaftliche Erforschung des Gebiets verhindert hatten und daß schließlich die feuchte Dschungelumgebung der Erhaltung von Zeugnissen menschlicher Kultur abträglich war.

Das bedeutete    nichts    anderes,    als daß    man bemerkenswert wenig über die Vorgeschichte des Kongo wußte - und Sarah Johnson konnte ihre Arbeit binnen weniger Stunden abschließen. Aber sie zögerte, den Auftrag so schnell als erledigt zu betrachten, und suchte weiter, sah sich andere Bücher in der anthropologischen Abteilung der Bibliothek an - Ethnographien, geschichtliche Darstellungen, frühe Berichte. Die frühesten Reisenden ins Innere des Kongo waren arabische Sklavenhändler und portugiesische Kaufleute gewesen, und einige hatten Berichte über ihre Reisen geschrieben. Da Sarah Johnson weder Arabisch noch Portugiesisch lesen konnte, betrachtete sie lediglich die Abbildungen.

Dann sah sie ein Bild, bei dessen Anblick ihr »ein Schauder über den Rücken fuhr«, wie sie erklärte.

Es handelte sich um einen portugiesischen Stich ursprünglich aus dem Jahre 1642, den man in einem 1842 veröffentlichten Buch reproduziert hatte. Die Druckfarbe auf dem zerfaserten, brüchigen Papier war verblaßt, doch ließ sich deutlich eine von Riesenfarnen und Schlingpflanzen überwucherte Ruinenstadt im Dschungel erkennen. An den Türen und Fenstern fanden sich halbkreisförmige Bogen, genau wie Amy sie gemalt hatte.

Später sagte Elliot: »Es war eine Gelegenheit, wie sie sich einem Forscher nur einmal im Leben bietet -wenn er Glück hat. Natürlich wußten wir nichts über das Bild. Die Unterschrift war kursiv gedruckt und enthielt ein Wort, das wie >Zinj< aussah, sowie die Jahreszahl 1642. Wir ließen sofort Übersetzer kommen, die Altarabisch und das Portugiesisch des 17. Jahrhunderts beherrschten. Aber darum ging es eigentlich gar nicht. Es ging darum, daß wir eine Gelegenheit hatten, eine wichtige theoretische Frage zu überprüfen, denn Amys Bilder schienen ein klares Beispiel für ein artspezifisches genetisches Gedächtnis zu liefern.« Den Begriff des genetischen Gedächtnisses hatte erstmals Marais im Jahre 1911 eingeführt, und seitdem war er immer wieder heftig diskutiert worden. In ihrer einfachsten Form besagte die Theorie, der Mechanismus genetischer Vererbung, der für die Weitergabe aller körperlichen Merkmale verantwortlich war, sei nicht auf diese allein beschränkt. So sei auch das Verhalten niederer Tiere ganz eindeutig genetisch determiniert, denn sie würden mit einem komplexen Verhaltensmuster geboren, das sie nicht zu erlernen brauchten.

Allerdings sei das Verhalten höherer Tiefe flexibler und damit abhängiger vom Lernen und vom Gedächtnis. Die Frage war nun, ob bei höheren Tieren, insbesondere beim Menschenaffen und beim Menschen, ein Teil des psychischen Verhaltens von Geburt an durch ihre Gene vorbestimmt war.

Jetzt, so meinte Elliot, hatten sie mit Amy einen Beweis für ein solches Gedächtnis. Sie war im Alter von lediglich sieben Monaten aus Afrika fortgebracht worden, und wenn sie diese Ruinenstadt nicht in ihrer Kindheit gesehen hatte, belegten ihre Träume ein artspezifisches genetisches Gedächtnis, das man durch eine Reise nach Afrika verifizieren konnte. Am Abend des 11. Juni waren die Mitglieder der Projektgruppe sich einig. Falls sich die Reise organisieren und finanzieren ließ, würden sie Amy nach Afrika bringen.