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»Er kommt genau auf die Linse zu«, sagte sie. Es war mehr, als man erhoffen konnte. »Was für atmosphärische Tonstörungen sind das?«

Sie hörten ein seltsames Geräusch, es klang wie ein zischelndes Seufzen oder Keuchen.

»Das ist keine atmosphärische Tonstörung, das gehört zu den Geräuschen, die wir hier herüberbekommen.« »Lösen Sie es auf«, sagte Ross. Die Techniker drückten auf verschiedene Knöpfe, änderten die Tonfrequenzen, aber das Geräusch blieb seltsam und unscharf. Dann bewegte sich der Schatten, und der Mann trat genau vor die Linse. »Diopter«, sagte Karen Ross. Aber es war bereits zu spät. Das Gesicht war schon nicht mehr zu sehen, war zu dicht vor der Linse, als daß man es ohne Diopter hätte scharf einstellen können. Man sah eine verschwommene, dunkle Gestalt, sonst nichts. Bevor sie die Visiereinrichtung zuschalten konnten, war das Wesen fort.

»Ob das ein Eingeborener war?«

»Dieses Gebiet des Kongo ist unbewohnt«, antwortete Karen Ross.

»Irgend etwas muß aber da wohnen.«

»Rundumschwenk«, sagte Karen Ross. »Sehen Sie zu, ob Sie ihn wieder auf den Bildschirm bekommen können.« Die Kamera schwenkte weiter.

Karen Ross stellte sich vor, wie sie da im Dschungel auf ihrem Stativ stand, mit surrendem Motor, während der Objektivhalter sich langsam drehte. Dann kippte das Bild plötzlich seitwärts weg. »Er hat sie umgeworfen.« »Verdammt!«

Aus dem Fernsehbild wurden bunt durcheinanderlaufende gestörte Linien. Es war sehr schwer, irgend etwas zu erkennen. »Auflösen! Auflösen!«

Noch einmal sahen sie flüchtig ein großes Gesicht und eine dunkle Hand, die auf die Parabolantenne niederfuhr. Das Bild aus dem Kongo schnurrte zu einem Punkt zusammen und war verschwunden.

2. Störfelder

Im Juni 1979 waren für die Earth Resources Technology Services Expertenteams unterwegs, die in Bolivien Uranvorkommen erforschten, in Pakistan Kupfervorkommen,    Möglichkeiten landwirtschaftlicher Nutzung in Kaschmir, die Wanderung von Gletschern auf Island, die Nutzholzvorräte in Malaysia und Vorkommen bestimmter Diamanten im Kongo. Dergleichen war für die ERTS nichts Ungewöhnliches - im allgemeinen waren jeweils sechs bis acht Gruppen gleichzeitig unterwegs. Da die Experten oft in gefährlichen oder politisch instabilen Gegenden der Erde arbeiteten, wurde bei der ERTS mit besonderer Sorgfalt auf die ersten Anzeichen von »Stördaten« geachtet. (In der Terminologie der Fernerkundung wird das charakteristische Auftreten eines Gegenstands oder einer geologischen Formation auf einer Fotografie oder einem Videobild als »Kenndatum« bezeichnet.) Die Stördaten - auch als Störfelder bekannt - waren meist politischer Art.

1977 hatte die ERTS während einer örtlich begrenzten kommunistischen Erhebung ein Team auf dem Luftweg aus Borneo herausgeholt, und 1978    war ein ähnliches Unternehmen wegen eines Militärputsches in Nigeria erforderlich gewesen. Gelegentlich kam es zu geologischen Störungen - so hatte man 1976 nach dem großen Erdbeben ein Team aus Guatemala abziehen müssen.

Nach Meinung von R. B. Travis, den man in den späten Abendstunden des 13. Juni 1979 aus dem Bett geholt hatte, zeigten die Videobänder aus dem Kongo »die bisher schlimmste Störung«, doch blieb die Ursache geheimnisvoll. Man wußte lediglich, daß das Lager binnen sechs Minuten zerstört worden war - so lange dauerte es von der Signalauslösung aus Houston bis zum Empfang der Satellitenübertragung im Kongo. Diese Schnelligkeit war beängstigend, und so wollte Travis von seinen Mitarbeitern als erstes wissen, »was zum Teufel da draußen vorgefallen ist«. Travis, ein gedrungener Mann von achtundvierzig Jahren, war mit Krisen durchaus vertraut.

Er war von Haus aus Ingenieur, hatte für die RCA und später für Rockwell Satelliten gebaut, war dann Mitte Dreißig auf die Unternehmensleitungsebene umgestiegen und das geworden, was Raumfahrtingenieure als »Regenmacher« bezeichnen. Unternehmen, die Satelliten herstellen, gaben eineinhalb bis zwei volle Jahre im voraus eine Trägerrakete in Auftrag, die den Satelliten auf die Umlaufbahn bringen sollte, und hofften dann, daß der Satellit mit seiner halben Million Einzelteile zum vorgesehenen Zeitpunkt fertig wurde. Andernfalls gab es nur noch die Möglichkeit, um schlechtes Wetter zu beten, weil dann der Start verschoben werden mußte - also einen Regenzauber zu veranstalten.

Travis hatte sich seinen Humor bewahrt, obwohl er ein ganzes Jahrzehnt lang Probleme auf höchster technischer Ebene gelöst hatte. Seine Arbeitshaltung ging aus einem großen, an der Wand hinter seinem Schreibtisch befestigten Schild hervor, auf dem es hieß: »EGGIS.« Was bedeutete: »Etwas geht garantiert immer schief.«

Aber in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni versagte sein Humor. Seine ganze Expedition war verloren, alle ERTS-Experten tot -acht seiner besten Leute - und mit ihnen alle Träger. Acht Leute! Das war die schlimmste Katastrophe in der Geschichte der ERTS, schlimmer noch als 1978 in Nigeria. Travis fühlte sich erschöpft und innerlich ausgelaugt, wenn er nur an all die Telefongespräche dachte, die er jetzt führen mußte. Dabei meinte er nicht seine eigenen Anrufe, sondern die, die er entgegennehmen mußte. Ob der und der rechtzeitig zur Schulabschlußfeier seiner Tochter oder zum Sportfest seines Sohnes zurück sein werde? All diese Anrufe würde man an Travis weiterleiten, und er würde die erwartungsvollen Stimmen hören, die hoffnungsvollen Fragen, denen er seine eigenen wohlüberlegten, ziselierten Antworten entgegensetzen mußte ... Daß er nicht ganz sicher sei, selbstverständlich sehe er die Schwierigkeiten, er werde sein Bestes tun, natürlich, ganz klar ... Die Aussicht darauf machte ihm im voraus zu schaffen.

Er würde niemandem sagen können, was vorgefallen war, mindestens zwei Wochen, möglicherweise einen ganzen Monat lang nicht. Dann aber würde er selbst anrufen, Hausbesuche machen und an den Gedenkgottesdiensten teilnehmen müssen. Da wo sonst der Sarg stand, würde eine deutlich sichtbare Lücke klaffen, er würde die unvermeidlichen Fragen der Angehörigen und Verwandten unbeantwortet lassen müssen. Sie würden in seinem Gesicht nach dem kleinsten verräterischen Anzeichen suchen, das leiseste Zögern ausdeuten. Was könnte er ihnen schon sagen?

Sein einziger Trost war, daß er ihnen in einigen Wochen möglicherweise mehr berichten konnte. Eines war sicher: Wenn er die schrecklichen Anrufe heute nacht noch tätigen müßte, könnte er den Angehörigen überhaupt nichts sagen, denn niemand bei der ERTS hatte eine Vorstellung davon, was vorgefallen war, und das steigerte noch Travis' Gefühl der Erschöpfung. Außerdem mußte man sich noch um Einzelheiten kümmern: Morris, der Sachbearbeiter des Unternehmens für Versicherungsfragen,    kam herein und wollte wissen.:    »Was    soll    mit    den RisikoLebensversicherungen    geschehen?«    Die ERTS schloß für jedes Mitglied ihrer Expeditionen RisikoLebensversicherungen ab, auch für die eingeborenen Träger. Für die afrikanischen Träger lautete die Versicherung auf jeweils 15000 US-Dollar - ein auf den ersten Blick lächerlich geringer Betrag -andererseits galt es zu bedenken, daß das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Afrika bei durchschnittlich 180 US-Dollar lag. Travis hatte stets den Standpunkt vertreten, auch das Risiko der eingeborenen Expeditionsteilnehmer müsse angemessen gedeckt werden, auch um den Preis, daß Familien, die ihren Ernährer verloren, ein - nach ihren Vorstellungen -kleines Vermögen erhielten, daß die ERTS ein kleines Vermögen an Versicherungsprämien dafür aufbrachte. »Erst einmal nichts«, sagte Travis. »Wissen Sie, was uns die Policen pro Tag kosten?« »Wir machen erst einmal nichts«, sagte Travis. »Und wie lange?« »Dreißig Tage«, sagte Travis. »Noch dreißig Tage?« »Ja.«

»Aber sie sind doch mit Sicherheit alle tot.« Morris konnte Geldverschwendung nicht ruhig mitansehen. Es tat ihm in seiner Buchhalterseele weh.