Выбрать главу

»Ich wollte sowieso dorthin«, sagte Elliot. »Mit Amy.« »Wer ist Amy?« »Ein Gorilla«, sagte Peter Elliot.

2. Tag

San Francisco

14. Juni 1979

1. Projekt Amy

Es wäre ungerecht zu sagen, wie einige Primatenforscher es später taten, Peter Elliot habe im Juni 1979 »aus der Stadt verschwinden« müssen. Seine Beweggründe und die Planung, die seiner Entscheidung, in den Kongo zu gehen, zugrunde lag, sind bekannt und nachweisbar. Dr. Elliot und die Projektgruppe Amy hatten mindestens zwei Tage vor Karen Ross' Anruf eine Reise nach Afrika beschlossen.

Aber angegriffen wurde Peter Elliot: von Außenstehenden, der Presse, Kollegen, die dasselbe Forschungsgebiet bearbeiteten, und sogar von Angehörigen seines Instituts in Berkeley. Es ging so weit, daß man Elliot schließlich als »Naziverbrecher« anprangerte, der sich mit der »Folterung stummer (sie) Kreaturen« beschäftigte. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß er zu Beginn des Jahres 1979 um seine wissenschaftliche Existenz kämpfte.

Dabei hatte seine Forschungsarbeit ruhig und beinahe    zufällig    begonnen.    Als dreiundzwanzigjähriger Doktorand hatte Peter Elliot im Institut für Anthropologie in Berkeley erstmals von einem einjährigen Gorilla gelesen, der an Amöbenruhr litt und den man zur Behandlung vom Zoo der Stadt Minneapolis zum veterinärmedizinischen Institut nach San Francisco geflogen hatte. Das war 1973, in den erregenden ersten Jahren der Sprachuntersuchung an Primaten. Die Vorstellung, man könne Primaten eine Sprache beibringen, war alt. Bereits 1661 hatte Samuel Pepys in London einen Schimpansen gesehen und in seinem Tagebuch vermerkt: »Er war in so vielen Dingen wie ein Mensch, und ich glaube, daß er bereits gut Englisch versteht/Ich meine auch, man könnte ihn lehren, sich mittels der Sprache oder mit Zeichen zu verständigen.« Ein anderer Schriftsteller des 17. Jahrhunderts ging noch weiter: »Menschenaffen und Paviane«, sagte er, »können zwar sprechen, tun das aber nicht, weil sie fürchten, man ließe sie dann Arbeiten verrichten.«

Doch schlugen in den folgenden drei Jahrhunderten offenbar alle Versuche fehl, Menschenaffen eine Sprache zu lehren. Ihren Höhepunkt fanden sie in der ehrgeizigen Bemühung eines Ehepaares aus Florida, Keith und Kathy Hayes, die zu Beginn der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts ein Schimpansenweibchen namens Vicki sechs Jahre lang aufzogen, als sei es ein Kind. In dieser Zeit lernte Vicki vier Wörter: »Mama«, »Papa«, »Cup« (Tasse) und »up« (hinauf, auf). Die Aussprache allerdings war mühselig, und sie machte nur schleppende Fortschritte. Ihre Schwierigkeiten schienen die sich unter Wissenschaftlern zunehmende Überzeugung zu stützen, der zufolge der Mensch als einziges Tier eine Sprache zu lernen verstand. Kennzeichnend dafür war die Aussage von George Gaylord Simpson:    »Sprache ist der auffälligste Wesenszug der Menschen: alle normalen Menschen können sprechen, kein anderes lebendes Wesen vermag das.«

Das schien so selbstverständlich, daß in den darauffolgenden fünfzehn Jahren niemand den Versuch unternahm, einem Menschenaffen das Sprechen beizubringen. Dann sahen sich im Jahre 1966 Beatrice und Allen Gardner aus Reno, Nevada, Filme an, die zeigten, wie Vicki sprach. Sie hatten den Eindruck, daß Vicki weniger Schwierigkeiten mit dem Erlernen der Sprache als vielmehr mit dem Sprechen hatte. Es fiel ihnen auf, wie schwerfällig -im Gegensatz zu den geschmeidigen ausdrucksstarken Handbewegungen des Affen -seine Lippenbewegungen waren. Die naheliegende Schlußfolgerung lautete: Man muß es mit einer Zeichensprache versuchen.

Im Juni des Jahres 1966 begannen die Gardners damit, ein junges Schimpansenweibchen namens Washoe im Gebrauch der für Taubstumme entwickelten amerikanischen Zeichensprache Ameslan zu unterrichten. Washoe machte rasche Fortschritte und verfügte bereits 1971 über einen Sprachschatz von einhundertsechzig Zeichen, die sie in der Unterhaltung einsetzte. Sie kombinierte auch selbst neue Wörter für Dinge, die sie nie zuvor gesehen Hatte: beispielsweise machte sie, als sie zum erstenmal einen Schwan sah, das Zeichen für »Wasservogel«. Die Arbeit der Gardners war umstritten: es zeigte sich, daß viele Wissenschaftler von der Unfähigkeit der Affen, eine Sprache zu lernen, fest überzeugt waren. So sagte ein Forscher: »Wenn man daran denkt, wie viele berühmte Leute wie viele gelehrte Abhandlungen, darüber verfaßt haben, daß nur der Mensch über Sprache verfügt -wie schrecklich!«

Auf Grund von Washoes Fertigkeiten machte man sich an zahlreiche weitere Sprach-Lern-Experimente. Einem Schimpansenweibchen namens Lucy wurde beigebracht, über einen Computer mit der Außenwelt zu kommunizieren, ein weiteres, Sarah, lernte, Kunststoffmarken auf einer Tafel sinnvoll anzuordnen. Auch mit anderen Affenarten wurde experimentiert. So nahm man 1971 den Unterricht mit Alfred, einem Orang-Utan, auf, 1972 mit Koko, einem Flachland-Gorilla, und schließlich begann 1973 Peter Elliot mit Amy, einem Berggorilla-Weibchen, zu arbeiten. Bei seinem ersten Besuch im Krankenhaus fand er ein jämmerliches kleines Geschöpf vor, das unter dem Einfluß starker Beruhigungsmittel stand und an seinen dürren schwarzen Armen und Beinen mit Gurten festgebunden war. Er streichelte den Kopf der Äffin und sagte freundlich: »Hallo, Amy, ich bin Peter.« Amy biß ihn prompt in die Hand, so daß sie blutete. Aus diesen wenig verheißungsvollen Anfängen entwickelte sich ein einzigartig erfolgreiches Forschungsprogramm. 1973 war die Grund-Unterrichtsmethode, das »Nachbilden«, weithin bekannt. Dem Tier wurde ein Gegenstand gezeigt, und zugleich bildete der Forscher mit der Hand des Tieres das richtige Zeichen, bis eine feste Gedankenverbindung bestand. Anschließende Überprüfungen ergaben, daß das Tier die Bedeutung des Zeichens verstand.

Zwar gab es grundsätzliche Übereinstimmung über das Verfahren selbst, doch wetteiferten die Wissenschaftler bei seiner Anwendung, so zum Beispiel, was die Geschwindigkeit des Zeichenerwerbs oder den Erwerb von »Vokabular« anging. Man bedenke, daß beim Menschen der Wortschatz als eine der besten Möglichkeiten gilt, die Intelligenz einzuschätzen. Die Geschwindigkeit des Zeichenerwerbs konnte als Maßstab für die Fähigkeiten des Wissenschaftlers oder für die des Tieres dienen. Inzwischen erkannte man allgemein an, daß Affen individuell unterschiedliche Persönlichkeiten hatten. Ein Wissenschaftler drückte das so aus: »Die Erforschung von Orang-Utans ist möglicherweise das einzige Gebiet, auf dem die Lernenden und nicht die Lehrenden Gegenstand des akademischen Klatsches sind.« In der Welt der Primatenforschung, die zunehmend von Wettstreit und Eifersüchteleien beherrscht wurde, hieß es bald, Lucy sei Alkoholikerin, Koko eine verzogene Göre, Lana habe sich durch ihre Berühmtheit den Kopf verdrehen lassen (»sie arbeitet nur noch, wenn ein Interviewer in der Nähe ist«), und Nim sei von geradezu gespenstischer Dummheit. Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, daß auch Peter Elliot angegriffen wurde. Der gutaussehende und eher zurückhaltende Mann, Sohn eines Bibliothekars im Marin Country, war in den Jahren, in denen er mit Amy arbeitete, allen Streitigkeiten aus dem Weg gegangen. Seine Veröffentlichungen waren bescheiden und gemäßigt, seine Fortschritte mit Amy gründlich belegt; er hatte kein Interesse an Publicity und gehörte auch nicht zu den Forschern, die ihre Affen in die Talkshow mitnahmen. Doch verbarg sich hinter Elliots zaghaftem Auftreten nicht nur eine wache Intelligenz, sondern auch brennender Ehrgeiz. Er mied Auseinandersetzungen lediglich, weil er keine Zeit dafür hatte - er arbeitete seit Jahren auch nachts und an den Wochenenden und nahm seine Mitarbeiter und auch Amy erbarmungslos heran. Er verstand etwas von der geschäftlichen Seite der Wissenschaft und bekam allerlei Zuwendungen. Auf Kongressen, bei denen es um Verhaltensforschung ging, wo andere in Bluejeans und karierten Jacken erschienen, trat Elliot stets in einem makellosen Anzug mit Weste auf. Er wollte an der Spitze der Primatenforschung stehen, und Amy sollte an der Spitze der Affen stehen. Elliot war so geschickt im Beschaffen von finanziellen Mitteln, daß die Projektgruppe Amy 1975 acht Mitarbeiter (darunter ein Kinderpsychologe und ein ComputerProgrammierer) umfaßte und über einen Jahresetat von hundertsechzigtausend Dollar verfügte. Später sagte ein ständiger Mitarbeiter des Bergren-Instituts, Elliot sei »eine gute Investition« gewesen, und das habe seinen Reiz ausgemacht. »Beispielsweise haben wir bei dem Projekt Amy fünfzig Prozent mehr Computerzeit für unser Geld bekommen, weil Elliot sich mit seinem parallel arbeitenden Datenplatz nachts und an Wochenenden in das Netz einschaltete, wenn die Computerzeit billiger ist. So war die Kosten-Nutzen-Relation bei ihm sehr günstig. Und er war ein besessener Forscher. Offenbar war ihm im Leben nichts wichtig außer seiner Arbeit mit Amy. Das machte ihn zwar zu einem langweiligen Gesellschafter, aber von unserem Standpunkt aus betrachtet war Geld, das wir in ihn investierten, gut angelegt. Es läßt sich schwer sagen, ob jemand wirklich brillant ist; eher läßt sich erkennen, ob einer eine starke Antriebskraft hat, und das ist auf die Dauer möglicherweise wichtiger. Wir erwarteten große Dinge von Elliot.«