gefühlsmäßig einigermaßen im Gleichgewicht bleiben wollte. Ellie war entschlossen, so realistisch wie möglich zu sein, jedoch ohne ihren Sinn für das Wunderbare aufzugeben, der ihr eigentlicher Antriebsmotor war.
Aus ihren kargen Vorräten im gemeinschaftlich benutzten Kühlschrank hatte Ellie ein kleines Picknick fürs Mittagessen zusammengepackt, und nun saß sie mit Valerian am Rand der Talmulde, in der das Observatorium lag. In der Ferne konnte man die Arbeiter sehen, die Streifen in der Bespannung reparierten oder auswechselten. Sie trugen besondere Schneeschuhe, damit sie die Aluminiumplatten nicht einrissen und durch sie hindurch in die Tiefe stürzten. Valerian war begeistert von ihren Fortschritten. Zuerst unterhielten sie sich über den neuesten Klatsch und die letzten Erkenntnisse der Wissenschaft. Dann gingen sie zu SETI über, wie man die Suche nach extraterrestrischen Intelligenzen damals zu bezeichnen begann.
„Haben Sie je darüber nachgedacht, sich ganz dieser Sache zu widmen, Ellie?“
„Ich habe darüber nie viel nachgedacht. Und es ist nicht besonders realistisch, oder? Soweit ich weiß, gibt es auf der ganzen Welt keine einzige größere Anlage, die ausschließlich an SETI arbeitet.“
„Nein, bis jetzt noch nicht. Aber es besteht die Möglichkeit, daß der Very Large Array um mehrere Dutzend zusätzlicher Reflektoren erweitert und dann zu einem ausschließlich der Forschung an SETI dienenden Observatorium gemacht wird. Natürlich müßte auch die konventionelle Radioastronomie dazukommen. Es wäre ein großartiges Interferometer. — Ist ja nur eine Möglichkeit. Sie ist kostspielig, und ohne handfeste politische Unterstützung geht dabei nichts. Und selbst im günstigsten Fall würde es noch Jahre dauern, bis es soweit ist. Aber man kann ja mal darüber nachdenken.“
„Peter, ich habe gerade über vierzig benachbarte Sterne untersucht, alle ungefähr vom Typ des Sonnenspektrums. Ich habe mir die 21-Zentimeter-Wasserstofflinie angeschaut, von der alle sagen, daß sie die geeignetste Trägerfrequenz ist, weil Wasserstoff das am häufigsten vorkommende Atom im Universum ist, und so weiter. Und ich habe die Beobachtung mit der höchsten Empfindlichkeit durchgeführt, die man je eingesetzt hat. Nicht das kleinste Signal habe ich gefunden. Vielleicht gibt es überhaupt niemanden da draußen. Vielleicht ist die ganze Sache nur Zeitverschwendung.“
„Genauso wie das Leben auf der Venus? Sie sagen das nur, weil Sie enttäuscht sind. Die Venus ist eine Hölle. Aber sie ist nur ein Planet neben den vielen hundert Milliarden anderer Sterne der Galaxis. Sie haben davon nur eine Handvoll untersucht. Glauben Sie nicht auch, daß es etwas verfrüht ist, jetzt schon aufzugeben? Sie haben gerade ein Milliardstel des Problems bewältigt. Wahrscheinlich sogar noch viel weniger, wenn man noch andere Frequenzen einbezieht.“
„Das weiß ich schon. Aber glauben Sie nicht auch, daß es solche Intelligenzen, wenn es sie gibt, überall geben muß?
Wenn wirklich höherentwickelte Burschen tausend Lichtjahre von uns entfernt leben, warum sollten sie dann nicht auch bei uns hinter dem Haus einen Vertreter haben? Die Sache mit SETI könnte man ewig weitertreiben, ohne je die Überzeugung zu erlangen, zum Ende gekommen zu sein.“
„Jetzt reden Sie fast wie Dave Drumlin. Was er nicht zu seinen Lebzeiten finden kann, interessiert ihn nicht. Wir haben mit SETI gerade erst angefangen. Sie wissen, wie viele Möglichkeiten es gibt. Gerade jetzt sollte man sich jede offenhalten. Jetzt sollte man optimistisch sein. In jeder anderen Epoche der Menschheitsgeschichte hätten wir uns das ganze Leben lang über dieses Problem den Kopf zerbrochen, ohne einen Schritt auf seine Lösung hin tun zu können. Unsere Zeit gibt uns eine einmalige Chance. Zum ersten Mal kann buchstäblich jeder nach extraterrestrischen Intelligenzen suchen. Sie haben den Detektor entwickelt, mit dem man nach Zivilisationen auf Millionen anderer Sterne forschen kann. Den Erfolg kann Ihnen niemand garantieren. Aber können Sie sich eine wichtigere Aufgabe denken? Stellen Sie sich vor, sie schicken uns von da draußen Signale, und niemand auf der Erde hört sie. Das wäre ein Witz, ein schlechter Witz. Würden Sie sich nicht für unsere Zivilisation schämen, wenn wir in der Lage sein könnten, es zu hören, aber nicht die Geduld dazu aufbrächten?“
Links zogen zweihundertsechsundfünfzig Bilder der linksseitigen Welt vorbei. Rechts glitten zweihundertsechsundfünfzig Bilder der rechtsseitigen Welt vorbei. Er fügte sämtliche 512 Bilder zu einer Rundumansicht seiner Umgebung zusammen. Er steckte tief in einem Wald riesiger wogender Halme, einige grün, andere von einem bleichen Gelb, und fast alle höher als er. Ohne Schwierigkeiten bahnte er sich seinen Weg, balancierte über einen schwankenden Halm, der abgeknickt war, fiel auf das weiche Kissen aus am Boden liegenden Halmen, stand unbeirrt wieder auf und setzte seine Reise fort. Er wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. Frisch und scharf stach die Luft in seinen Lungen. Es war ihm egal, wenn er auf seinem Weg ein Hindernis erklettern mußte, das hundert oder tausend Mal größer war als er selbst. Er brauchte keine Seile und Stangen dazu, er war bereits vollständig ausgerüstet. Der Boden unmittelbar vor ihm roch nach einem Markierungsduft, der noch frisch war und von einem anderen Kundschafter seiner Sippe stammen mußte. Das bedeutete fast immer Futter. Das Futter tauchte wie aus heiterem Himmel auf. Kundschafter machten es ausfindig und markierten den Weg. Er und seine Kameraden schleppten es dann zurück. Manchmal war das Futter ein Wesen, das so aussah wie er. Dann wieder war es nur ein unförmiger oder kristallartiger Brocken, der so groß sein konnte, daß man viele aus seiner Sippe brauchte, die ihn in gemeinsamer Anstrengung über abgeknickte Blätter nach Hause schleppten. Genußvoll schmatzend bewegte er schon im voraus den Unterkiefer.