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„Er ist nur dreihundert Kilometer über uns“, bemerkte Ellie. „Oh, Sie haben es noch nicht gehört? Sol ist ungefähr zur gleichen Zeit gestorben, wie die Maschine aktiviert wurde. Eigenartige Sache. Tut mir leid, ich hätte es Ihnen sagen sollen. Ich habe nicht daran gedacht, daß Sie ihm. nahestanden.“

Sie wußte nicht, ob sie Kitz glauben sollte. Hadden war in den Fünfzigern und hatte einen körperlich gesunden Eindruck gemacht. Sie wollte später Nachforschungen darüber anstellen.

„Und was machen wir in Ihrer Lügengeschichte?“ fragte sie. „Wir? Wer ist ‚wir’?“

„Wir. Die fünf, die an Bord der Maschine gingen, die, wie Sie behaupten, nie funktioniert hat.“

„Oh. Sie werden noch ein Weilchen verhört, dann können Sie gehen. Ich glaube nicht, daß einer von Ihnen so dumm sein wird, mit dieser Lügengeschichte an die Öffentlichkeit zu treten. Aber um sicherzugehen, werden wir psychiatrische Gutachten über Sie anfertigen lassen. Persönlichkeitsprofile. Kein Grund zur Aufregung. Sie waren schon immer ein wenig rebellisch, unzufrieden mit dem System — in welchem System Sie auch aufwuchsen. Das ist in Ordnung. Es ist gut, wenn Leute unabhängig sind. Wir fördern das, vor allem bei Wissenschaftlern. Aber der Streß der letzten Jahre hat Sie erschöpft — er hat Sie nicht gerade dienstuntauglich gemacht, aber eben erschöpft. Das gilt vor allem für Sie und Dr. Lunatscharski. Zuerst waren Sie daran beteiligt, die BOTSCHAFT zu finden, zu entschlüsseln und die Regierungen zu überzeugen, die Maschine bauen zu lassen. Dann gab es Probleme beim Bau, Industriesabotage, Sie erlebten einen Start, der zu nichts führte. Es war hart. Nur Arbeit und kein Vergnügen. Und Wissenschaftler sind sowieso überaus empfindlich. Daß die Maschine nicht funktionierte, hat Sie alle ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Jeder wird Ihnen das nachfühlen können. Verständnis haben. Aber niemand wird Ihre Geschichte glauben. Niemand. Wenn Sie sich anständig benehmen, gibt es keinen Grund, die Gutachten je zu veröffentlichen.

Es wird deutlich werden, daß die Maschine noch hier ist. Sobald die Straßen wieder frei sind, werden wir ein paar Photographen vom Funkbilderdienst hereinlassen, die sie photographieren. Wir werden ihnen zeigen, daß die Maschine nirgends hingeflogen ist. Und die Besatzung? Die Besatzung ist natürlich enttäuscht. Vielleicht ein wenig entmutigt. Sie wollen jetzt noch nicht mit der Presse sprechen. Finden Sie nicht, daß das ein schöner Plan ist?“ Kitz lächelte. Er erwartete, daß sie seinen gelungenen Plan würdigen würde. Sie sagte nichts.

„Finden Sie nicht, daß wir jetzt sehr vernünftig sind, nachdem wir zwei Billionen Dollar für diesen Dreckhaufen ausgegeben haben? Wir könnten Sie Ihr Leben lang aus dem Verkehr ziehen, Frau Arroway. Aber wir lassen Sie Saufen. Sie müssen nicht einmal eine Kaution hinterlegen. Ich finde, wir verhalten uns wie Gentlemen. Das ist der Geist der Jahrtausend wende. Das ist Machindo.“

22

Gilgamesch

Und daß es niemals wiederkehrt, Das macht des Lebens Süße.

Emily Dickinson
Gedicht Nr. 1741

Zu dieser Zeit, die überschwenglich als Beginn eines neuen Zeitalters gepriesen wurde, war ein Begräbnis im Weltraum eine teure, doch auch schon alltägliche Angelegenheit. Es gab bereits eine lebhafte Konkurrenz von Unternehmen, bei denen man so etwas in Auftrag geben konnte. Besonders hoch war die Nachfrage bei den Leuten, die in früheren Zeiten darum gebeten hätten, daß ihre Asche über ihrer Heimat verstreut würde oder doch zumindest über der Industriestadt, in der sie ihr erstes Vermögen gemacht hatten. Jetzt konnte es jedermann arrangieren, daß seine Überreste die Erde auf ewig umkreisten — oder jedenfalls so lange, wie es für seine Nachkommen auf der Erde eine Rolle spielte. Man brauchte nur einen kurzen Nachtrag an sein Testament anfügen — vorausgesetzt natürlich, man hatte die nötigen Mittel. War man dann gestorben und eingeäschert, wurde die Asche in einen kleinen, fast spielzeugartigen Barren gepreßt. Darauf waren Name und Daten des Verstorbenen sowie ein kurzes Erinnerungsgedicht und ein religiöses Symbol nach Wahl (drei standen zur freien Auswahl) eingeprägt. Zusammen mit Hunderten ähnlicher Miniatursärge wurde er dann in den Weltraum geschossen und in mittlerer Höhe ausgesetzt, wobei sowohl die vielbefahrenen Korridore des geostationären Orbits als auch die Turbulenzen der Atmosphäre in den erdnahen Umlaufbahnen sorgfältig umgangen wurden. So umkreiste die Asche den Geburtsplaneten des Betreffenden triumphierend in der Mitte der Van-Allen-Strahlungsgürtel in einem Protonensturm, in den sich kein Raumschiff je hineinwagen würde. Der Asche hingegen macht das nichts aus.

In dieser Höhe war die Erde inzwischen von einer dichten Hülle sterblicher Überreste ihrer bedeutendsten Bewohner umgeben, und der ahnungslose Besucher einer fernen Welt hätte leicht glauben können, er sei auf eine düstere Totenstadt des Raumzeitalters gestoßen. Die gefährliche Lage der Totenstadt mochte das Fehlen von Gedenkbesuchen durch trauernde Anverwandte erklären.

S. R. Hadden war bei dem Gedanken entsetzt gewesen, mit welch unbedeutender Unsterblichkeit sich diese werten Verblichenen zufriedengegeben hatten. All ihre organischen Teile — Hirn, Herz, eben alles, was sie als Person ausgezeichnet hatte — wurden bei der Verbrennung in Atome aufgelöst. Nach der Verbrennung war nichts mehr von ihnen übrig, außer pulverisierten Knochen. Auch für eine sehr fortgeschrittene Zivilisation war das kaum genug, um die Menschen aus ihren Überresten wieder zusammenbauen zu können.

Wie viel besser wäre es doch gewesen, wenn ein paar Zellen bewahrt werden könnten. Lebende Zellen mit intakter DNS. Vor Haddens geistigem Auge entstand eine Aktiengesellschaft, die gegen eine kräftige Gebühr ein wenig Epithelgewebe einfrieren und in eine Umlaufbahn hoch über den Van-Allen- Gürteln schicken würde, vielleicht sogar über den geostationären Orbit hinaus. Dazu brauchte man gar nicht erst zu sterben. Verschiebe nie auf morgen, was du heute kannst besorgen. Dann konnten außerirdische Molekularbiologen oder ihre irdischen Kollegen den Betreffenden in ferner Zukunft von Grund auf rekonstruieren oder klonen. Man würde sich die Augen reiben, sich strecken und im Jahre 10000000 erwachen. Und auch wenn sich keiner der Überreste annahm, so waren doch immerhin mehrere Kopien der genetischen Information vorhanden. Im Prinzip war man lebendig. In jedem Falle konnte man sagen, daß man ewig lebte.

Aber als Hadden weiter über die Sache nachdachte, erschien ihm auch dieser Plan zu bescheiden. Weil ein paar von den Fußsohlen abgekratzte Zellen doch nicht wirklich man selbst waren. Bestenfalls konnte man daraus die physische Gestalt wiederherstellen. Aber das war nicht dasselbe wie man selbst. Wenn man es wirklich ernst meinte, mußte man Familienphotos beifügen, eine peinlich genaue Autobiographie, alle Bücher und Platten, an denen man Spaß gehabt hatte, und so viel Informationen über einen selbst wie möglich. Zum Beispiel das Lieblingsrasierwasser oder die Lieblingsdiätcola. Das war extrem egoistisch, er wußte es, und genau das gefiel ihm ungeheuer. Schließlich befand sich die Welt seit geraumer Zeit in einem Delirium eschatologischer Erwartungen. Es war nur natürlich, an das eigene Ende zu denken, wenn alles vom Tod der Art, vom Untergang des Planeten oder von der massenhaften Himmelfahrt der Auserwählten redete. Es war nicht zu erwarten, daß die Außerirdischen Englisch sprachen. Aber wenn sie einen wieder zusammensetzen sollten, mußten sie die Sprache des Betreffenden kennen. Also mußte man eine Art Übersetzung beilegen. Das war ein Problem nach Haddens Geschmack, das Gegenstück zu dem Problem, das einmal die Entschlüsselung der BOTSCHAFT aufgegeben hatte.

All das erforderte eine größere Raumkapsel. Sie mußte so geräumig sein, daß man sich nicht mehr auf bloße Gewebeproben zu beschränken brauchte. Ebensogut konnte man den Körper als Ganzes hochschicken. Wenn man sich nach dem Tod sozusagen schockgefrieren ließ, hatte das noch einen Nebenvorteil. Vielleicht funktionierte dann noch so viel an einem, daß diejenigen, die einen fanden, zu mehr als bloßer Rekonstruktion imstande waren. Vielleicht konnten sie einen wiederbeleben — natürlich nachdem sie zuerst in Ordnung gebracht hatten, woran man gestorben war. Wenn man eine Weile herumlag, bevor man eingefroren wurde — weil vielleicht die Verwandten noch nicht gemerkt hatten, daß man tot war —, schwanden natürlich die Aussichten auf eine Wiederbelebung. Hadden kam zu dem Schluß, daß es am sinnvollsten war, den Körper unmittelbar vor dem Tod einzufrieren. Das würde eine mögliche Auferstehung sehr viel wahrscheinlicher machen, obwohl die Nachfrage nach dieser Dienstleistung vermutlich beschränkt bleiben würde. Aber warum dann unmittelbar vor dem Tod? Angenommen, man wußte, daß man nur noch ein oder zwei Jahre zu leben hatte. War es dann nicht besser, sich auf der Stelle einfrieren zu lassen, bevor das Fleisch schlecht wurde? Hadden seufzte. Freilich konnte die Krankheit, die den Körper befallen hatte, immer noch unheilbar sein, wenn man wiederbelebt wurde. Man wäre ein Erdzeitalter lang eingefroren und würde nur wiedererweckt, um sofort einem Melanom oder Herzinfarkt zu erliegen, von dem die Außerirdischen nichts geahnt hatten.