„Was mich viel mehr beschäftigt“, sagte Ellie, „ist im Gegenteil die Möglichkeit, daß sie es gar nicht erst versuchen. Sie könnten mit uns in Verbindung treten, gut, aber sie tun es nicht, weil sie sich nichts davon versprechen. Also wie.“ — sie schaute auf einen Zipfel des Tischtuches, das sie über das Gras gebreitet hatten — „… wie die Ameisen. Ameisen leben in derselben Welt wie wir. Sie haben eine Menge zu tun, alles Dinge, die sie in Anspruch nehmen. Auf eine bestimmte Art wissen sie über ihre Umgebung sehr gut Bescheid. Aber wir versuchen nicht, mit ihnen in Verbindung zu treten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß sie irgend eine Ahnung haben, daß es uns gibt.“
Eine große Ameise, die unternehmungslustiger als ihre Kameraden war, hatte sich auf das Tischtuch gewagt und marschierte jetzt munter diagonal über die roten und weißen Quadrate. Ellie unterdrückte eine heftigere Reaktion und schnippte die Ameise vorsichtig zurück aufs Gras — wohin sie gehörte.
3
Weißes Rauschen
Erlauschter Klang ist süß;
noch Süßeres sagt Der Stumme.
Die grausamsten Lügen brauchen oft keine Worte.
Schon seit Jahren wanderten die Pulse durch die unendliche Finsternis zwischen den Sternen. Hin und wieder drangen sie durch eine unförmige Wolke aus Gas und Staub, die einen kleinen Teil der Energie absorbierte. Der Rest bewegte sich in der ursprünglichen Richtung weiter. Ein schwaches gelbes Leuchten eilte ihnen voraus, das im Gegensatz zu den stetig leuchtenden Sternen des Alls immer heller wurde. Obwohl für das menschliche Auge noch immer ein Punkt, war es jetzt bereits das bei weitem hellste Objekt am schwarzen Himmel. Und dann trafen die Pulse auf einen Haufen gigantischer Schneebälle.
Eine gertenschlanke Frau Ende Dreißig betrat das Verwaltungsgebäude der Argus. Die großen, weit auseinanderstehenden Augen verliehen ihren kantigen Gesichtszügen eine gewisse Weichheit. Das lange, dunkle Haar wurde von einer Schildpattspange im Nacken lose zusammengehalten. Lässig in Strickpullover und Khakirock gekleidet, schlenderte sie den Flur im ersten Stock entlang, hielt vor einer Tür, auf der „Direktor E. Arroway“ stand, und öffnete das Spezialschloß mit einem Druck ihres Daumens. Einem Beobachter wäre dabei vielleicht der Ring an ihrer rechten Hand aufgefallen, in den ungeschickt ein merkwürdig milchig-roter Stein eingesetzt war. Drinnen machte sie die Schreibtischlampe an, durchstöberte eine Schublade und kramte schließlich einen Kopfhörer heraus. An der Wand neben ihrem Schreibtisch leuchtete für einen Moment ein Zitat aus Franz Kafkas Parabeln auf:
Nun haben die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen.
Es ist. vielleicht denkbar, daß sich jemand vor ihrem Gesang gerettet hätte, vor ihrem Schweigen gewiß nicht.
Mit einer Handbewegung löschte sie das Licht und ging im Halbdunkel zur Tür.
Im Kontrollraum überzeugte sie sich mit einem Blick, daß alles in Ordnung war. Durch das Fenster konnte sie einige der 131 Radioteleskope sehen. Sie waren auf einem Gelände von über zehn Kilometer Länge in der Wüste New Mexicos verteilt und sahen wie exotische Metallblumen aus, die in den Himmel wuchsen. Es war früh am Nachmittag, und letzte Nacht war sie lange aufgeblieben. Radioastronomie konnte man freilich auch bei Tageslicht betreiben, weil die Atmosphäre zwar das sichtbare Licht der Sonne, nicht aber Radiowellen streute. Für ein Radioteleskop, das nicht auf die Sonne gerichtet war, war der Himmel pechschwarz, von den Radioquellen abgesehen.
Jenseits der Erdatmosphäre, auf der anderen Seite des Himmels, gab es ein Universum, das voll von Radiostrahlung war. Wenn man diese Radiowellen genau untersuchte, konnte man eine Menge über Planeten, Sterne und Galaxien, die Zusammensetzung der riesigen organischen Molekülwolken, die zwischen den Sternen trieben, und den Ursprung, die Entwicklung und das Schicksal des Universums erfahren. Dabei handelte es sich allerdings um natürliche Radiostrahlung — verursacht durch physikalische Prozesse, durch Elektronen, die sich spiralförmig im galaktischen Magnetfeld bewegten, interstellare Moleküle, die aufeinander stießen, oder die fernen Echos des Urknalls, dessen Strahlung von den Gammastrahlen am Anfang des Universums zu den friedlicheren, kalten Radiowellen, die jetzt den gesamten Weltraum erfüllten, rotverschoben war. In den wenigen Jahrzehnten, seit die Menschen Radioastronomie betrieben, hatte es nie ein wirkliches Signal aus den Tiefen des Weltalls gegeben, das Produkt einer außerirdischen künstlichen Intelligenz gewesen war. Falschen Alarm hatte es häufiger gegeben. So hatte man die regelmäßigen Zeitabweichungen der Radiostrahlung von Quasaren und besonders Pulsaren anfänglich voller Aufregung für eine Art außerirdisches Signal gehalten oder sogar eine Art Radioleuchtturm zu Navigationszwecken für exotische Raumschiffe, die zwischen den Sternen im Weltall kreuzten, in ihnen vermutet. Aber alles hatte sich schließlich als etwas ganz anderes entpuppt — als etwas, das vielleicht genauso exotisch war wie ein Signal von Wesen im Weltall. Quasare waren allem Anschein nach gewaltige Energiequellen, die irgend etwas mit den kompakten Schwarzen Löchern in den Zentren der Galaxien zu tun hatten. Viele von denen, die man beobachtet hatte, reichten in ihrer Entstehung weit in die Geschichte des Universums zurück. Pulsare waren Atomkerne, die sich mit rasender Geschwindigkeit drehten und die Ausmaße einer Stadt besaßen. Es hatte noch andere geheimnisvolle Botschaften gegeben, die sich zwar als durchaus intelligent herausstellten, mit extraterrestrischen Wesen jedoch wenig zu tun hatten. Inzwischen war der Himmel trotz der flehentlichen Bitten einiger Radioastronomen mit geheimen militärischen Radarsystemen und Nachrichtensatelliten vollgestopft worden. Es gab regelrechte Banditen, die die internationalen Abkommen im Nachrichtenwesen ignorierten. Eine Regreßpflicht oder Strafen dafür gab es nicht. In einigen Fällen wollte keine Nation die Verantwortung übernehmen. Aber nie war ein eindeutig als solches identifizierbares außerirdisches Signal gekommen. Aber der Ursprung des Lebens schien jetzt so einfach zu erklären zu sein — es gab so und so viele Planetensysteme und Welten und so und so viele Milliarden Jahre der Evolution —, daß man kaum glauben konnte, daß die Galaxis nicht vor Leben und Intelligenz überquoll. Das Projekt Argus war das größte der Welt, das der Suche nach extraterrestrischer Intelligenz mit Hilfe von Radiostrahlung gewidmet war. Radiowellen bewegten sich mit Lichtgeschwindigkeit, also schneller als alles andere. Sie waren leicht zu erzeugen und leicht zu entdecken. Selbst technisch so rückständige Zivilisationen wie die der Erde mußten bei der Erforschung der physikalischen Welt frühzeitig über die Radiostrahlung stolpern. Sogar mit der zur Verfügung stehenden rudimentären Radiotechnologie — seit der Erfindung des Radioteleskops waren nur wenige Jahrzehnte vergangen — konnte man wahrscheinlich mit einer identischen Zivilisation im Zentrum der Galaxis Kontakt aufnehmen. Dabei waren allerdings so viele Stellen am Himmel und so viele Frequenzen, auf denen eine unbekannte Zivilisation senden konnte, zu untersuchen, daß ein systematisches und langfristiges Beobachtungsprogramm erforderlich war. Argus war seit vier Jahren in Betrieb. Bisher hatte es zwar immer wieder Hoffnung und den nächsten falschen Alarm gegeben, aber keine Botschaft.
„Tag, Frau Dr. Arroway.“
Der Ingenieur, der sich allein in dem Raum befand, lächelte Ellie freundlich zu. Sie nickte. Die 131 Teleskope des Projekts Argus waren computergesteuert. Die Anlage tastete den Himmel selbsttätig ab. Der Computer überwachte die Teleskope auf mechanische und elektronische Pannen und verglich die Daten verschiedener Einzelteleskope. Ellie warf einen Blick auf den Frequenzanalysator, der mit einer Milliarde Kanälen ausgestattet war und mit seiner Elektronik eine ganze Wand einnahm, dann sah sie nach der optischen Anzeige des Spektrometers.