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Aber sicher wußten außerirdische Wesen besser als wir, welche Frequenzmodulationen akzeptabel waren. Vielleicht hatten sie aus einer früheren Zeit Erfahrung mit interstellarer Kommunikation und neu in Erscheinung tretenden Zivilisationen. Wenn es einen Bereich für diese Pulsraten gab, den eine empfangende Zivilisation mit größter Wahrscheinlichkeit abhören konnte, dann würde die sendende Zivilisation in diesem Bereich funken. Ob sie in Mikrosekunden oder in Stunden modulierte, was machte ihr das aus? Im Verhältnis zur Erde würde sie über überlegene Techniken und gewaltige Energiequellen verfügen. Wenn sie mit uns Kontakt aufnehmen wollte, würde sie es uns einfach machen. Sie würde Signale auf verschiedenen Frequenzen schicken. Sie würde verschiedene Modulationsgeschwindigkeiten benutzen. Sie würde von unserer Rückständigkeit wissen und Mitleid haben.

Aber warum hatte man noch nie ein Signal empfangen? Hatte Dave vielleicht doch recht? Gab es keine außerirdischen Zivilisationen? Lagen all die Milliarden Welten ohne Leben unfruchtbar brach? Gab es intelligente Wesen nur in dieser einen dunklen Ecke des unfaßbar weiten Universums? Ellie brachte es einfach nicht übers Herz, an diese Möglichkeit zu glauben. Sie entsprach so perfekt den menschlichen Ängsten und Sehnsüchten, den nicht bewiesenen Lehren über das Leben nach dem Tod und Pseudo-Wissenschaften wie Astrologie. Es war die moderne Inkarnation des geozentrischen Solipsismus, der Vorstellung unserer Vorfahren, daß wir das Zentrum des Universums waren. Drumlins Argumentation war schon deswegen zweifelhaft, weil wir nur zu gern bereit waren, sie zu glauben. Also immer mit der Ruhe, dachte Ellie. Wir haben noch nicht einmal die nördliche Hemisphäre vollständig untersucht. Wenn wir in den nächsten sieben oder acht Jahren nichts hören, dann kann man sich immer noch Sorgen machen. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte sind wir in der Lage, nach Bewohnern anderer Welten zu suchen. Wenn wir scheitern, haben wir die Seltenheit und Kostbarkeit des Lebens auf unserem Planeten bestätigt, eine Tatsache — wenn es eine ist —, die zu kennen sich lohnt. Und wenn wir Erfolg haben, werden wir die Geschichte der Menschheit verändern und die Fesseln unseres Provinzialismus abstreifen. Bei einem so hohen Einsatz mußte man bereit sein, ein kleines berufliches Risiko auf sich zu nehmen. Ellie riß das Steuer herum, schaltete in den höchsten Gang und raste mit quietschenden Reifen zurück zur Argus-Anlage. Die Hasen, die immer noch am Straßenrand saßen und jetzt von der Morgendämmerung in rosiges Licht getaucht wurden, reckten die Hälse.

4

Primzahlen

Gibt es denn keine Mährischen Brüder auf dem Monde, daß noch kein Missionar diesen unseren armen Heidenplaneten besucht hat, um die Zivilisationen zu zivilisieren und die Christenheit zum Christentum zu bekehren?

Herman Melville
Weißjacke(1850)

Schweigen allein ist groß; alles andere Schwäche.

Alfred De Vigny
La Mort du Loup (1864)

Das kalte, schwarze Vakuum lag hinter ihnen. Die Pulse näherten sich jetzt einem gewöhnlichen gelben Zwergstern und ergossen sich über die Welten, die um diesen Stern kreisten. Die Pulse waren an Planeten aus Wasserstoffgas vorbeigeströmt, in Monde aus Eis eingedrungen, hatten die organischen Wolken einer Welt passiert, in der sich Vorläufer von Leben regten, und waren über einen Planeten hinweggefegt, dessen Blüte bereits eine Milliarde Jahre zurücklag, jetzt schlugen sie gegen eine warme Welt, die sich blauweiß im Sternenhimmel drehte.

Diese Welt war verschwenderisch mit vielfältigem und formenreichem Leben ausgestattet. Da gab es springende Spinnen auf den eisigen Gipfeln hoher Berge und schwefelfressende Würmer in heißen Vulkanen auf dem Grund des Ozeans. Es gab Lebewesen, die nur in konzentrierter Schwefelsäure leben konnten, und andere, die von eben dieser konzentrierten Schwefelsäure vernichtet wurden, so wie es Organismen gab, die durch Sauerstoff vergiftet wurden, während andere nur überleben konnten, wenn sie Sauerstoff atmeten.

Sonderbare Wesen mit ein wenig Intelligenz hatten sich neuerdings über den Planeten ausgebreitet. Sie waren auf den Grund des Ozeans und in eine Umlaufbahn von geringer Höhe um ihren Planeten vorgedrungen. Es wimmelte von ihnen in allen Winkeln und Ritzen ihrer kleinen Welt. Der Übergang von der Nacht zum Tag verschob sich, je weiter westwärts man auf dieser Welt kam, und entsprechend dieser Bewegung vollführten Millionen dieser Wesen rituelle Morgenwaschungen. Dann legten sie sich Mäntel oder Lendentücher um, tranken ein Gebräu aus Kaffeebohnen, Teeblättern oder Löwenzahn, fuhren auf Fahrrädern, mit Automobilen oder mit Ochsengespannen und dachten dazwischen immer wieder für eine kurze Zeit über Schulaufgaben, die Aussichten für die Frühjahrssaat oder das Schicksal der Welt nach. Unbemerkt drangen die ersten Pulse der Radiowellen durch die Atmosphäre und die Wolken, schlugen auf der Erde auf und wurden zu einem Teil zurück ins All reflektiert. Immer wieder spülten die Pulse in Wellen um die sich drehende Erde und überschwemmten das ganze Sonnensystem. Nur geringe Energiemengen wurden dabei von dem System aufgefangen. Der größte Teil der Pulse strömte an ihm vorbei — und der gelbe Stern und sein System blieben hinter ihnen in der pechschwarzen Finsternis zurück.

Ein Mann betrat das Kontrollgebäude, um seine Nachtschicht anzutreten. Er trug eine Jacke, auf der über einem stilisierten Volleyball aus Filz das Wort „Marodeure“ stand. Eine Gruppe von Radioastronomen kam gerade heraus, um zum Abendessen zu gehen.

„Na, wie lange sucht ihr denn schon nach den kleinen grünen Männchen? Doch schon mehr als fünf Jahre, oder, Willie?“ Obwohl die Neckereien nicht böse gemeint waren, spürte Wiliie die Spitze.

„Gib uns doch auch einmal eine Chance, Willie“, sagte ein anderer. „Unser Quasar-Leuchtkraft-Programm sieht wirklich vielversprechend aus. Aber es wird noch ewig dauern, wenn wir nur zwei Prozent der Teleskopzeit kriegen.“

„Ja, Jack, ist ja gut.“

„Willie, wir schauen bis zum Ursprung des Universums zurück. Auch unser Programm hat seine Risiken — aber wenigstens wissen wir, daß es da draußen ein Universum gibt. Ihr wißt nicht einmal, ob es ein einziges grünes Männchen gibt.“

„Erzählen Sie das lieber Frau Dr. Arroway. Die ist sicher glücklich, Ihre Meinung zu hören“, antwortete Willie mürrisch.

Er betrat den Kontrollraum. Mit einem Blick überflog er ein paar Dutzend Bildschirme, die die Fortschritte der Suche im Radiowellenbereich aufzeichneten. Gerade hatten sie die Untersuchung des Sternbilds Herkules abgeschlossen. Sie hatten sich das Zentrum dieses riesigen Galaxienhaufens jenseits der Milchstraße, der hundert Millionen Lichtjahre entfernt war, genau angesehen. Sie hatten M 113 untersucht, einen Kugelsternhaufen von etwa 300000 Sternen, der durch die Schwerkraft zusammengehalten wurde und sich in einer Entfernung von 26000 Lichtjahren um unsere Galaxis bewegte. Sie hatten den Ras Algethi, einen Doppelstern, und Zeta und Lambda Herculis untersucht — einige Sterne waren von der Sonne völlig verschieden, andere ähnelten ihr. Fast alle, die man mit bloßem Auge sehen konnte, waren nur wenige hundert Lichtjahre entfernt. Die Wissenschaftler hatten Hunderte kleiner Sektoren der Himmelsregion, in der Herkules lag, mit einer Milliarde verschiedener Frequenzen sorgfältig abgehorcht, aber nichts gefunden. In den Jahren davor hatten sie die Sternbilder unmittelbar westlich von Herkules abgesucht — Serpens, Corona borealis, Bootes, Canes venatici… aber auch dort hatten sie nichts gefunden. Einige der Teleskope waren noch dazu abgestellt, fehlende Daten zu Herkules zusammenzutragen. Der Rest zielte bereits stumpfsinnig auf das im Osten an Herkules angrenzende Sternbild. Für die Menschen des östlichen Mittelmeerraumes hatte es vor ein paar tausend Jahren Ähnlichkeit mit einem Saiteninstrument gehabt und war deshalb mit dem griechischen Helden Orpheus in Verbindung gebracht worden. Das Sternbild hieß Lyra oder Leier. Computergesteuert drehten sich die Teleskope, um den Sternen der Lyra von ihrem Aufgang bis zu ihrem Untergang folgen zu können. Selbsttätig speicherten die Computer die Radiophotonen, überwachten die Funktion der Teleskope und verarbeiteten die Daten in ein für ihr menschliches Bedienungspersonal handliches Format. Willie durchquerte den Raum, vorbei an der Büchse mit Süßigkeiten, an der Kaffeemaschine, dem in Elfenrunen geschriebenen Satz Tolkiens vom Artificial Intelligence Laboratory der Universität Stanford und dem Anstecker, auf dem zu lesen war: Schwarze Löcher kann mann nicht sehen. Er trat an das Kommandoschaltpult und nickte dem Diensthabenden vom Nachmittag freundlich zu, der gerade seine Aufzeichnungen zusammenpackte und sich für das Abendessen fertigmachte. Da die Daten übersichtlich auf dem bernsteinfarbenen Hauptbildschirm aufgelistet waren, brauchte Willie gar nicht nach den Fortschritten der letzten Stunden zu fragen. „Sie sehen, nichts Besonderes. Es gab einen deutlichen Glitch — es sah zumindest so aus — auf Kanal Neunundvierzig“, sagte der Physiker mit einer vagen Handbewegung in Richtung Fenster. „In der Anhäufung von Quasaren stieg der Energieausstoß vor ungefähr einer Stunde um das Zehn- bis Zwanzigfache. Die scheinen ja sehr gute Daten zu kriegen.“