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Alles in allem waren es ungefähr dreißig Leute — die Techniker und Wissenschaftler, die zum Projekt Argus gehörten, und einige hochgestellte Regierungsbeamte, darunter in Zivil der stellvertretende Direktor der Spionageabwehr. Weiter waren Valerian, Drumlin, Kitz und Der Heer anwesend. Ellie war die einzige Frau. Man hatte eine riesige Fernsehanlage aufgebaut, die auf einen Bildschirm von zwei Quadratmetern an der gegenüberliegenden Wand gerichtet war. Während Ellie zu der Gruppe sprach, bewegten sich ihre Finger über die Tastatur vor ihr.

„In den letzten Jahren haben wir uns mit Hilfe von Computern auf die Entschlüsselung eventueller Botschaften verschiedenster Art vorbereitet. Jetzt haben wir durch Dr. Drumlins Analyse herausgefunden, daß in der vorliegenden Polarisationsmodulation Information steckt, daß also, mit anderen Worten, der rasende Wechsel zwischen links und rechts eine Bedeutung hat. Es handelt sich nicht um ein zufälliges Rauschen. Stellen Sie sich vor, Sie werfen eine Münze. Natürlich erwarten Sie, daß Kopf und Zahl mit gleicher Häufigkeit oben liegen werden. Aber dann merken Sie, daß statt dessen eine Seite doppelt so oft erscheint wie die andere. Sie schließen daraus, daß die Münze nicht echt ist oder, wie in unserem Fall, daß die Polarisation nicht zufällig ist, sondern einen Inhalt. Oh, schauen Sie sich das an. Was uns der Computer gerade mitteilt, ist sogar noch viel interessanter. Die Folge von Kopf und Zahl wiederholt sich sozusagen exakt. Die Sequenz ist lang, also handelt es sich um eine komplexe Botschaft, und die sendende Zivilisation will wahrscheinlich sicherstellen, daß wir sie richtig empfangen. Hier, sehen Sie das? Da wiederholt sich die Botschaft. Wir befinden uns jetzt in der ersten Wiederholung. Jedes Bit an Information, jeder Punkt und jeder Strich — wenn Sie es sich so vorstellen wollen — ist identisch mit dem vorherigen Datenblock. Jetzt analysieren wir die Gesamtzahl der Bits. Dabei handelt es sich um mehrere Milliarden. Aha! Sie ist das Produkt dreier Primzahlen.“

Obwohl Drumlin und Valerian beide strahlten, kam es Ellie so vor, als ob sie dabei völlig verschiedene Gefühle durchlebten.

„Und jetzt? Was bedeuten ein paar Primzahlen mehr?“ fragte ein Besucher aus Washington.

„Es könnte bedeuten, daß man uns ein Bild schickt. Sehen Sie, die Botschaft besteht aus einer großen Zahl an Bits. Nehmen wir einmal an, daß diese große Zahl das Produkt dreier kleinerer Zahlen ist, Zahlen also, die miteinander multipliziert diese Zahl ergeben. Dann haben wir drei Dimensionen in der Botschaft. Ich vermute, daß es entweder ein statisches dreidimensionales Bild in der Art eines Hologramms ist oder ein zweidimensionales Bild, das sich in der Zeit verändert, also ein Film. Nehmen wir einfach einmal an, daß es sich um einen Film handelt. Wenn es ein Hologramm ist, brauchen wir jedenfalls länger, um das zu zeigen. Für den Film haben wir einen idealen Entschlüsselungs-Algorithmus.“

Auf dem Bildschirm war undeutlich ein sich bewegendes Muster aus Schwarz und Weiß zu sehen. „Willie, würden Sie bitte ein Interpolationsprogramm dazu schalten? Egal welches. Und versuchen Sie, es ungefähr neunzig Grad gegen den Uhrzeigersinn zu drehen.“

„Frau Dr. Arroway, es gibt hier offensichtlich noch einen Nebenkanal. Vielleicht ist es der Ton zum Film.“

„Schalten Sie ihn ein.“

Die einzige praktische Anwendung von Primzahlen, die Ellie einfiel, war ein Code, der gegenwärtig bei vielen geschäftlichen und nationalen Sicherheitsangelegenheiten Verwendung fand. Man konnte mit Primzahlen eine Botschaft verschlüsseln, die auch der Dümmste verstand; man konnte sie aber genauso gut dazu verwenden, um eine Botschaft vor intelligenteren Geistern zu verbergen.

Ellie blickte forschend in die auf sie gerichteten Gesichter. Kitz sah beunruhigt aus. Vielleicht sah er schon einen fremden Eindringling vor sich, oder, noch schlimmer, den Bauplan einer Waffe, die so geheim war, daß Ellie und ihr Team sie gar nicht sehen durften. Willie blickte ernsthaft drein und mußte vor lauter Aufregung immer wieder schlucken. Ein Bild ist etwas ganz anderes als bloße Zahlen. Die Möglichkeit einer sichtbaren Botschaft weckte in den Zuschauern unbewußte Ängste und Phantasien. Nur Der Heers Gesicht strahlte eine wunderbare Gelassenheit aus. Er war jetzt nicht mehr der Funktionär und Bürokrat, der Berater der Präsidentin, sondern ganz Wissenschaftler.

Das immer noch unkenntliche Bild wurde von einem tiefen, rumpelnden Glissando begleitet. Die Töne glitten das akustische Spektrum erst hinauf und dann wieder hinunter, bis sie sich etwa eine Oktave unter dem mittleren C einpendelten. Ganz allmählich konnte die Gruppe ein zarte, aber anschwellende Musik vernehmen. Das Bild drehte sich, stellte sich auf und wurde scharf.

Ellie starrte auf das grobkörnige Schwarzweißbild einer massigen Tribüne, die mit einem riesigen Jugendstil-Adler geschmückt war. Die Betonkrallen des Adlers schlossen sich um.

„Ein Scherz. Jemand hat sich einen Scherz erlaubt!“ Überall waren erstaunte und ungläubige Ausrufe, Gelächter und erregte Wortwechsel zu hören.

„Sehen Sie? Sie haben sich hinters Licht führen lassen“, sagte Drumlin fast leutselig zu Ellie. Er grinste. „Ein raffiniert inszenierter Schabernack. Und damit haben Sie die Zeit von uns allen verschwendet.“

In den Betonkrallen des Adlers konnte sie jetzt ganz deutlich ein Hakenkreuz erkennen. Die Kamera fuhr langsam an dem Adler nach oben und bekam das lächelnde Gesicht von Adolf Hitler vor die Linse, der einer zu Marschmusik singenden Menge zuwinkte. Seine Uniform ohne einen einzigen Orden vermittelte bescheidene Einfachheit. Der tiefe Bariton eines Ansagers, der kratzend, aber unverkennbar Deutsch sprach, füllte den Raum. Der Heer trat zu Ellie.

„Können Sie Deutsch?“ flüsterte sie ihm zu. „Was sagt er?“

„Der Führer“, übersetzte er langsam, „heißt die ganze Welt willkommen im deutschen Vaterland zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936.“

6

Palimpsest

Wenn aber die Wächter nicht glückselig sind, wer soll es dann sonst sein?

Aristoteles
Politik, Zweites Buch, Kapitel 5

Als die Maschine ihre Flughöhe erreicht hatte und Albuquerque bereits mehr als hundert Meilen hinter ihnen lag, warf Ellie träge einen Blick auf das kleine weiße, mit blauen Buchstaben bedruckte Pappschild, das an ihr Flugticket geheftet war. Der Wortlaut hatte sich seit ihrem ersten Flug nicht verändert: „Dies ist kein Gepäckschein im Sinn von Artikel 4 des Warschauer Abkommens.“ Warum machten sich die Fluggesellschaften bloß solche Sorgen, daß die Passagiere dieses Stück Pappe mit einem Gepäckschein des Warschauer Abkommens verwechseln könnten? Was war überhaupt ein solcher Schein? Warum hatte sie bisher noch nie einen zu Gesicht bekommen? Wo kam er her? Es mußte in der Geschichte der Luftfahrt einmal eine Katastrophe gegeben haben: Eine unachtsame Fluggesellschaft mußte vergessen haben, diese Warnung auf rechteckige Pappschilder zu drucken. Daraufhin wurde sie von zornigen Passagieren in den Bankrott getrieben, weil den Passagieren daraus ein Schaden entstanden war, daß sie ihren Gepäckschein für einen Warschauer Gepäckschein gehalten hatten. Sicher gab es handfeste finanzielle Gründe dafür, daß auf der ganzen Welt so sorgfältig unterschieden wurde, welche Pappschilder nicht durch das Warschauer Abkommen beschrieben waren. Man stelle sich vor, dachte Ellie, daß der gesamte Text dieser Karten etwas Sinnvollem gewidmet wäre — wie beispielsweise der Geschichte der Entdeckung der Welt, oder weniger beachteten Entdeckungen der Wissenschaft, oder vielleicht sogar der Ermittlung, wie viele Meilen ein Flugzeug im Durchschnitt zurücklegte, bevor es abstürzte. Wenn sie Kitz’ Angebot, ein Militärflugzeug zu nehmen, akzeptiert hätte, wäre sie wahrscheinlich auf andere Gedanken gekommen. Aber sie hatte es sich nicht zu bequem machen wollen, zumal sie sich selbst und das Projekt nicht in Abhängigkeit von den Militärs bringen wollte. Lieber flogen Valerian und sie mit einem regulären Linienflug. Valerian waren die Augen gleich zugefallen, nachdem er es sich neben ihr bequem gemacht hatte. Sie hatten vor ihrem Abflug keine Eile gehabt und sich noch über den neuesten Stand der Datenanalyse informieren können. Sie hatten einen Linienflug nach Washington gebucht, mit dem sie rechtzeitig zur morgigen Konferenz eintreffen würden. Es blieb sogar noch Zeit, sich auszuschlafen. Ellie warf einen Blick auf den Telefax, der sicher verpackt in einer Ledertasche unter ihrem Sitz stand. Er war um einige hundert Kilobit pro Sekunde schneller als Peters altes Modell, und seine graphischen Darstellungen waren viel besser. Vielleicht brauchte sie ihn morgen, um der Präsidentin der Vereinigten Staaten anhand eines Telefax zu erklären, was Adolf Hitler auf der Wega machte. Ellie war, das mußte sie sich eingestehen, ein bißchen nervös wegen der Konferenz. Sie hatte noch nie zuvor einen Präsidenten persönlich kennengelernt. Gemessen an dem, was die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu bieten gehabt hatte, war die amtierende Präsidentin gar nicht so übel. Nicht einmal für den Friseur hatte Ellie die Zeit gereicht, geschweige denn für die Kosmetikerin. Aber es war egal, sie ging ja nicht ins Weiße Haus, um wegen ihres Aussehens bewundert zu werden.