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Die Führer der Chiliasten hatten ihren fanatischen Anhängern auf Massendemonstrationen versichert, daß Lebensversicherungen, die über eine Unfallversicherung hinausgingen, von wankelmütigem Glauben zeugten und daß der vorzeitige Kauf eines Grabes oder Vorkehrungen für das spätere Begräbnis, wenn es sich nicht um alte Menschen handelte, eine gottlose Handlung seien. In wenigen Jahren würden alle wahrhaft Gläubigen leibhaftig gen Himmel fahren und vor dem Thron Gottes stehen. Ellie wußte, daß Lunatscharskis berühmter Verwandter einer der wenigen bolschewistischen Revolutionäre mit einem wissenschaftlichen Interesse für die Weltreligionen gewesen war. Dagegen war die Aufmerksamkeit, die Waygay der weltweit wachsenden religiösen Unruhe entgegenbrachte, gedämpft. „Das wichtigste religiöse Problem in meinem Land“, sagte er, „wird sein, ob die Wegianer die Irrlehre Leo Trotzkis auch nachdrücklich genug angeprangert haben.“

Je näher sie dem Argus-Gelände kamen, desto mehr parkende Autos, Campingbusse und Zelte säumten den Straßenrand. Nachts erleuchteten Lagerfeuer die einst so friedliche Hochebene von San Augustin. Es waren durchaus nicht nur wohlhabende Leute, die am Highway campierten. Ellie beobachtete zwei junge Ehepaare. Die Männer trugen T-Shirts und alte Jeans mit Gürteln. Selbstbewußt und lässig, wie sie es von ihren älteren Schulkameraden beim Eintritt in die High School gelernt hatten, schlenderten sie am Straßenrand entlang und unterhielten sich angeregt. Der eine schob einen klapprigen Kinderwagen, in dem fröhlich ein Baby krähte. Die Frauen folgten ein paar Schritte hinter ihnen. Eine hielt ein kleines Kind an der Hand, das anscheinend gerade erst Laufen gelernt hatte, und die andere schleppte sich mit einem dicken Bauch ab, aus dem in einem oder zwei Monaten ein neues Leben das Licht dieser rätselhaften Welt erblicken würde.

Sie sahen Schwärmer weltabgeschiedener Gemeinden aus der Gegend von Taos, die das Rauschmittel Psilocybin für die Kommunion benutzten, und Nonnen aus einem Kloster in der Nähe von Albuquerque, die für denselben Zweck Äthanol nahmen. Männer mit wettergegerbter Haut und vielen Falten im Gesicht, die ihr ganzes Leben unter freiem Himmel verbracht hatten, und blasse, belesene Studenten von der Universität in Tucson. Navajoindianer verkauften seidene Halstücher und Halsketten aus polierten Silberschnüren zu Wucherpreisen, einmal eine Umkehrung der bisherigen Handelsbeziehungen zwischen den weißen und den eingeborenen Amerikanern. Beurlaubte Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Davis-Monthan kauten heftig auf Kaugummis und Kautabak. Der elegant gekleidete, weißhaarige Mann mit dem farblich passenden Cowboyhut, der neben den Soldaten stand, war wahrscheinlich ein Viehzüchter. Hier waren die unterschiedlichsten Leute versammelt, Menschen, die sonst in Baracken, Wolkenkratzern, Lehmhütten, Studentenwohnheimen oder Wohnwagenkolonien lebten. Einige waren gekommen, weil sie nichts Besseres zu tun hatten, andere, weil sie ihren Enkeln erzählen wollten, daß sie dabeigewesen waren. Einige hofften auf das Scheitern der Aktion, andere waren davon überzeugt, daß sie Zeugen eines Wunders werden würden. Stille Hingabe, lärmende Fröhlichkeit, mystische Verzückung und gedämpfte Erwartung lagen an diesem strahlenden Nachmittag über der Menge. Nur wenige drehten die Köpfe, um einen Blick auf die vorbeifahrenden Wagen zu werfen, die die Aufschrift der Fahrbereitschaft der amerikanischen Regierung trugen. Einige Leute aßen auf der Ladefläche ihrer Kleinlaster zu Mittag, andere standen bei den Verkaufswagen, auf denen mit großen Buchstaben SNACKMOBIL oder WELTRAUMSOUVENIRS stand. Vor den kleinen, stabilen Toilettenkabinen, für die Argus vorausblickend gesorgt hatte, standen lange Schlangen. Kinder tollten zwischen den Autos, Schlafsäcken, Decken und tragbaren Campingtischen herum. Fast nie wurden sie von den Erwachsenen gescholten — außer, wenn sie dem Highway zu nahe oder in die Nähe des Zauns am Teleskop 61 kamen, wo ein paar kahlrasierte, safrangelb gekleidete junge Leute im Kotau feierlich das heilige „Om“ intonierten. Überall hingen Poster mit phantasievollen außerirdischen Wesen, einige davon kannte man aus Comics oder Filmen. Auf einem stand: „Marsmenschen auf der Erde“. Ein Mann mit goldenen Ohrringen rasierte sich unter Zuhilfenahme des Außenspiegels eines kleinen Lieferwagens, und eine schwarzhaarige Frau in einem Poncho hob eine Kaffeetasse zum Gruß, als die Eskorte vorbeibrauste. Als sie auf das neue Haupttor neben dem Teleskop 101 zufuhren, sah Ellie auf einem provisorisch errichteten Podium einen jungen Mann auf eine Menschenmenge einreden, die sich vor ihm versammelt hatte. Er trug ein T-Shirt mit einem Bild von der Erde, auf die ein Blitz niederfuhr. Andere in der Menge trugen dasselbe rätselhafte Emblem. Auf Ellies Drängen hielt der Fahrer hinter dem Tor an. Sie kurbelte die Fensterscheibe herunter und hörte zu. Der Sprecher stand mit dem Rücken zu ihnen, so daß sie die Gesichter der Zuhörer sehen konnte. Ellie sah, daß sie von seinen Worten tief ergriffen waren.

Der Redner war mitten im Satz: „… und andere sagen, daß es ein Pakt mit dem Teufel ist, daß die Wissenschaftler ihre Seelen verkauft haben. In jedem dieser Teleskope befinden sich wertvolle Edelsteine.“ Er zeigte mit der Hand auf das Teleskop 101. „Das geben sogar die Wissenschaftler zu. Einige behaupten, daß das der Lohn des Teufels ist, dem die Wissenschaftler sich verkauft haben.“

„Religiöse Fanatiker“, brummte Lunatscharski finster. Sehnsüchtig blickte er auf die freie Straße vor ihnen. „Noch einen Augenblick bitte“, sagte Ellie. Auf ihren Lippen spielte ein verwundertes Lächeln.

„Einige Menschen, religiöse, gottesfürchtige Menschen glauben, daß diese BOTSCHAFT von Wesen aus dem Weltall stammt, von feindlichen Kreaturen, Monstern, die uns Übles wollen.“ Diesen Satz schrie er und hielt dann inne, um seine Worte einwirken zu lassen. „Aber ihr alle seid angewidert von der Verderbtheit und Bestechlichkeit, von den Lastern, dem Modergeruch der Gesellschaft. Wem verdanken wir das? Der gedankenlosen, hemmungslosen und gottlosen Technologie. Ich weiß nicht, wer hier recht hat. Ich kann euch nicht sagen, was die BOTSCHAFT bedeutet oder wer sie schickt. Ich habe da meine Zweifel. Aber das werden wir noch früh genug erfahren. Was ich aber sicher weiß, ist, daß die Wissenschaftler, Politiker und Bürokraten uns etwas verheimlichen. Sie haben uns nicht alles gesagt, was sie wissen. Sie betrügen uns, wie immer. Aber schon zu lange. Bei Gott, wir haben die Lügen geschluckt, die sie uns aufgetischt haben, und sie führen uns ins Verderben.“ Zu Ellies Erstaunen ging ein zustimmendes Raunen durch die Menge. Er hat einen wunden Punkt getroffen, soviel hatte sie verstanden.

„Die Wissenschaftler glauben nicht, daß wir die Kinder Gottes sind. Sie denken, wir stammen von den Affen ab. Es sind bekannte Kommunisten dabei. Wollt ihr, daß solche Leute über das Schicksal der Welt entscheiden?“ Die Menge antwortete mit einem donnernden „Nein!“

„Wollt ihr, daß eine Horde Ungläubiger mit Gott spricht?“

„Nein“, brüllten sie wieder.