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„Oder mit dem Teufel? Sie verschachern unsere Zukunft an die Monster einer fremden Welt. Meine Brüder und Schwestern, über diesem Ort liegt ein Fluch.“ Ellie hatte geglaubt, der Redner habe gar nicht bemerkt, daß sie angehalten hatten. Aber jetzt drehte er sich um und zeigte mit dem Finger auf die Absperrung und die wartende Eskorte.

„Die sprechen nicht für uns! Die vertreten uns nicht! Sie haben nicht das Recht, in unserem Namen zu verhandeln!“ Einige Leute, die an der Absperrung standen, begannen daran zu rütteln. Valerian und der Fahrer sahen sich erschrocken um. Der Motor lief noch, der Fahrer gab sofort Gas, und im nächsten Moment rasten sie in Richtung des ArgusVerwaltungsgebäudes davon. Bis dahin waren es noch einige Meilen durch die Wüste. Noch im Losfahren hörte Ellie den Redner mit lauter Stimme zu der unruhig gewordenen Menge sagen: „Das Unheil an diesem Ort wird ein Ende nehmen. Das schwöre ich euch.“

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Zufallsnäherung

Der Theolog mag dem angenehmen Berufe folgen, die Religion zu beschreiben, wie sie vom Himmel niederstieg, im Gewande ihrer ursprünglichen Reinheit. Eine traurigere Pflicht ist dem Historiker auferlegt. Er hat die unvermeidliche Mischung von Irrtum und Verderbtheit zu entdecken, welche sie während eines langen Aufenthaltes auf Erden unter einer schwachen und entarteten Gattung von Wesen annahm.

Edward Gibbon
Geschichte des Verfalls und Untergangs des Römischen Reiches, XV

Ellie ging nicht nach dem Zufallsprinzip vor, sondern machte einen systematischen Durchgang durch die einzelnen Fernsehprogramme. Die Sendungen Über das Leben von Massenmördern und Die Wette gilt lagen auf benachbarten Kanälen. Dann gab es ein temperamentvolles Basketballspiel zwischen den Johnson City Wildcats und den Union-Endicott Tigers. Die jungen Spieler und Spielerinnen waren mit ganzem Einsatz dabei. Auf dem nächsten Kanal wurde man feierlich in Parsi ermahnt, die vorgeschriebenen Riten während des Ramadan einzuhalten. Daneben lag ein Kanal, auf dem abnorme Sexualpraktiken gezeigt wurden. Ellie schaltete weiter. Sie kam zu einer der ersten Sendungen für Computerspiele, einer Branche, die jetzt einen schweren Stand hatte. Wenn man sich zu Hause mit dem eigenen Computer anschloß, wurde einem hier die Möglichkeit angeboten, in eine neue Welt des Abenteuers vorzudringen. Die heutige Sendung hieß Gilgamesch der Galaxis. Natürlich hoffte man, daß die Sendung so attraktiv war, daß die Zuschauer die entsprechende Diskette über einen der Verkaufskanäle bestellen würden. Ein elektronischer Kopierschutz verhinderte, daß man das Programm während der Sendung aufzeichnete. In Ellie stieg Ärger auf. Die meisten Videospiele waren voll von Klischees und keineswegs dafür geeignet, Heranwachsende auf eine unbekannte Zukunft vorzubereiten.

Sie kam zu einem der älteren Sender, in dem ein Sprecher mit ernster und besorgter Miene zu dem noch ungeklärten Angriff eines nordvietnamesischen Torpedoboots auf zwei Zerstörer der Siebten US-Flotte im Golf von Tongking Stellung nahm und die Bitte des Präsidenten an den Kongreß zitierte, ihn zu ermächtigen, „die notwendigen Vergeltungsschritte einzuleiten“. Es war eine ihrer Lieblingssendungen, in der die Nachrichten früherer Jahre wiederholt wurden. In der zweiten Hälfte der Sendung wurden die Nachrichten dann Punkt für Punkt analysiert, Fehlinformationen festgestellt und die unverbesserliche Leichtgläubigkeit der Nachrichtenorganisationen gegenüber den oft unbestätigten und eigennützigen Angaben der Behörden kritisiert. Die Sendung wurde von einer Gesellschaft produziert, die sich REALI-TV nannte. Weitere Sendungen dieser Gesellschaft waren Promises, Promises, in der unerfüllt gebliebene Wahlversprechen auf lokaler, Bundes- und nationaler Ebene untersucht wurden, und Bamboozles and Baloney, eine Serie, in der jede Woche aufs neue der Kampf gegen verbreitete Vorurteile, Propaganda und Märchen aufgenommen wurde. Das Datum auf dem Bildschirm zeigte den 15. August 1964.

Erinnerungen an ihre Schulzeit stiegen in Ellie auf. Sie drückte auf den nächsten Knopf.

Beim weiteren Durchgang durch die einzelnen Kanäle gelangte sie noch zu einem orientalischen Kochkurs, bei dem diese Woche Hibachi dran war, zu einer ausführlichen Werbung für die erste Generation von Haushaltsrobotern von Hadden Cybernetics, zu den russischen Nachrichten und den Kommentaren der sowjetischen Botschaft, zu mehreren Sendungen für Kinder, Nachrichtensendungen, dem Mathematikprogramm, das die bestechend schönen Computergraphiken des neu eingerichteten Kurses für analytische Geometrie an der Cornell-Universität vorführte, dem lokalen Wohnungs- und Immobilienkanal und einer Unmenge fürchterlicher Fortsetzungsserien. Schließlich kam sie zu den religiösen Sendern, auf denen immer noch aufgeregt und heftig über die BOTSCHAFT diskutiert wurde. Der Besuch der Gottesdienste war in ganz Amerika sprunghaft angestiegen. Ellie vermutete, daß die BOTSCHAFT eine Art Spiegel war, in dem jeder einzelne seine Überzeugungen bestätigt oder in Frage gestellt sah. Von sich gegenseitig ausschließenden apokalyptischen und eschatologischen Doktrinen wurde die BOTSCHAFT zur pauschalen Rechtfertigung der jeweiligen Lehre herangezogen. In den Ländern Peru, Algerien, Mexiko, Zimbabwe, Ekuador und bei den Hopi-Indianern wurde öffentlich darüber diskutiert, ob die Vorfahren aus dem All zurückgekehrt waren. Wer nicht dieser Meinung war, wurde als Kolonialist beschimpft. Katholiken sprachen vom außerirdischen Gnadenstaat. Protestanten diskutierten über frühere mögliche Missionen von Jesus zu benachbarten Planeten und natürlich über seine eventuelle Rückkehr zur Erde. Moslems befürchteten, daß die BOTSCHAFT gegen das Verbot von Götzenbildern verstoßen könnte. In Kuwait war ein Mann aufgetaucht, der den Anspruch erhob, der Irnam der Schiiten zu sein. Messianischer Eifer war unter den Sossafer Chassidim ausgebrochen. In anderen jüdisch-orthodoxen Gemeinden interessierte man sich plötzlich wieder für Astruk, einen religiösen Fanatiker, der gefürchtet hatte, daß Wissen den Glauben untergrabe. Dieser Mann hatte 1305 den Rabbi von Barcelona, den führenden jüdischen Geistlichen der damaligen Zeit, dazu veranlaßt, allen jungen Männern unter fünfundzwanzig das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie unter Androhung der Exkommunikation zu verbieten. Ähnliche Strömungen zeigten sich auch zunehmend im Islam. In Thessalien erregte ein Philosoph mit dem verheißungsvollen Namen Nikolas Polydemos große Aufmerksamkeit mit leidenschaftlichen Reden für eine — wie er es nannte — „Wiedervereinigung“ aller Religionen, Regierungen und Völker der Welt. Seine Kritiker stellten als erstes einmal das „Wieder“ in Frage.

UFO-Clubs organisierten rund um die Uhr Wachen beim Brooks-Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von San Antonio, da dort angeblich die vollkommen erhaltenen Körper von vier Passagieren einer fliegenden Untertasse, die hier 1947 angeblich eine Bruchlandung gebaut hatte, in Kühlschränken schmachteten; angeblich waren die Außerirdischen einen Meter groß und hatten kleine, makellose Zähne. In Indien berichtete man von Erscheinungen Vischnus, in Japan war Amida Buddha erschienen. In Lourdes war von Hunderten von Wunderheilungen die Rede. In Tibet rief sich ein neuer Bodhisattva aus. In Australien wurde ein neuartiger, aus Neuguinea stammender Kult eingeführt, der den Nachbau primitiver Fetische in Form von Radioteleskopen predigte, die reiche außerirdische Geschenke anziehen sollten. Für die weltweite Vereinigung der Freidenker war die BOTSCHAFT die Widerlegung der Existenz Gottes. Die Mormonen erklärten sie zur zweiten Offenbarung des Engels Moroni.

Die BOTSCHAFT wurde von den verschiedensten Gruppierungen als Beweis für eine Vielzahl von Göttern, für einen Gott oder für überhaupt keinen Gott interpretiert. Chiliasmus war weitverbreitet. Einige prophezeiten das Ende der Welt für das Jahr 1999 — als kabbalistische Umkehrung des Jahres 1666, für das Sabbatai Zevi das Ende der Welt angenommen hatte. Andere wählten die Jahre 1996 oder 2033, in die vermutlich die zweitausendste Wiederkehr der Geburt und des Todes Jesu fielen. Der berühmte Kalender der alten Mayas sollte mit dem Jahr 2011 enden, in dem nach der Überlieferung dieser eigenständigen Kultur der Kosmos unterging. Das Zusammentreffen der Prophezeiung der Mayas und der christlichen Endzeitvorstellungen führte zu einer Art apokalyptischer Hysterie in Mexiko und Zentralamerika. Einige Chiliasten, die an den früheren Zeitpunkt glaubten, verschenkten ihren Reichtum an die Armen, weil Geld bald sowieso nichts mehr wert sein würde und weil sie sich für das Jüngste Gericht eine gute Ausgangsposition verschaffen wollten.