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„Sie wollen vermutlich eine Antwort auf Ihre Thesen“, hörte Ellie sich sagen. „Es gibt allerdings keine ‚offizielle’ Meinung seitens der Wissenschaft zu den Problemen, die Sie aufgeworfen haben. Ich kann deshalb nicht im Namen aller Wissenschaftler, ja noch nicht einmal für die des Projekts Argus sprechen. Aber ich kann für mich eine Antwort versuchen, wenn Sie wollen.“

Rankin nickte heftig mit dem Kopf und lächelte sie ermutigend an. Joss ließ keine Reaktion erkennen. Er wartete ab. „Ich möchte vorausschicken, daß ich niemanden in seinem Glauben angreife. Von mir aus können Sie jede Lehrmeinung vertreten, die sie wollen, auch wenn sie nachweislich falsch ist. Und vieles, was Sie sagen und was Reverend Joss gesagt hat — ich habe vor ein paar Wochen Ihre Rede im Fernsehen gehört — kann man nicht einfach abtun. Ich werde also keine leichte Aufgabe haben. Trotzdem will ich versuchen zu erklären, warum ich glaube, daß Sie insgesamt nicht recht haben.“

Bis jetzt, ging es Ellie durch den Kopf, bin ich die Zurückhaltung in Person gewesen.

„Ihnen bereitet der naturwissenschaftliche Skeptizismus Unbehagen. Aber es gibt diesen Skeptizismus, weil unsere Welt komplex ist. Sogar äußerst komplex. Nicht jede Idee ist schon bei ihrem ersten Auftauchen notwendigerweise richtig. Menschen können sich täuschen. Auch Naturwissenschaftler. Alle möglichen Doktrinen mit schrecklichen Folgen für die Gesellschaft wurden zeitweise von Wissenschaftlern unterstützt, darunter bekannten Wissenschaftlern, berühmten, erstklassigen Wissenschaftlern. Und natürlich Politikern. Und angesehenen Führern religiöser Gruppen. Die Sklaverei zum Beispiel oder der Rassismus der Nationalsozialisten. Wissenschaftler machen Fehler, Theologen machen Fehler,

jeder macht Fehler. Das ist bei uns Menschen eben so. Auch bei Ihnen heißt es doch: ‚Irren ist menschlich’. Fehler vermeiden oder zumindest die Fehlerquote verringern kann man durch kritische Prüfung. Man überprüft seine Ideen nach strengen Wahrheitskriterien. Ich glaube nicht, daß es so etwas wie eine endgültige Wahrheit gibt. Aber wenn man die verschiedensten Meinungen zu Wort kommen läßt, wenn jeder Skeptiker seine Experimente durchführen kann, um eine Behauptung zu überprüfen, dann hat die Wahrheit eine Chance. Das ist die Erfahrung der ganzen Geschichte der Wissenschaft. Es ist kein perfekter Ansatz, aber der einzige, der zu funktionieren scheint. Wenn ich mir jetzt die Religion anschaue, dann sehe ich auch dort viele widerstreitende Meinungen. Zum Beispiel glauben die Christen, daß das Universum eine begrenzte Zahl von Jahren alt ist. Aus der Ausstellung in Ihrem Museum wird deutlich, daß einige Christen und Juden und Moslems glauben, daß das Universum nur sechstausend Jahre alt ist. Die Hindus glauben dagegen — und es gibt viele Hindus auf der Welt —, daß das Universum unendlich alt ist und im Laufe seiner Geschichte immer wieder neu entsteht und von neuem zerstört wird. Aber es können doch nicht beide recht haben. Entweder hat das Universum einen Anfang oder es ist ohne einen solchen. Ihre Freunde da draußen“ — Ellie deutete auf die Glastür, hinter der einige Mitarbeiter des Museums an „Darwins Versäumnissen“ vorbeischlenderten — „sollten mit den Hindus diskutieren. Gott scheint den Hindus etwas anderes erzählt zu haben als ihnen. Aber sie sprechen in der Regel ja nur mit ihresgleichen.“

War sie jetzt zu weit gegangen? Sie gestattete sich keine Pause. „Die Weltreligionen widersprechen sich auf allen Ebenen. Sie können nicht alle Recht haben. Was wäre, wenn keine recht hat? Die Möglichkeit zumindest besteht doch. Ihnen muß an der Wahrheit gelegen sein. Nun, um die Spreu vom Weizen zu trennen, muß man mißtrauisch sein. Ich stehe Ihrem religiösen Glauben nicht mißtrauischer gegenüber als jeder neuen wissenschaftlichen Idee, von der ich erfahre. Aber bei meiner Arbeitsmethode heißen sie Hypothesen und nicht Eingebung oder Offenbarung.“

Joss machte eine Handbewegung, aber es war Rankin, der antwortete: „Im Alten und Neuen Testament gibt es unzählige Offenbarungen und Prophezeiungen von Gott. Das Kommen des Erlösers wird in Jesaja 53, in Sacharja 14 und in der Chronik I, 17 vorhergesagt. Daß er in Bethlehem geboren würde, wird in Micha 5 prophezeit. Daß er aus dem Geschlecht Davids kommen würde, steht bei Matthäus 1 und — “

„Bei Lukas. Aber das sollte Sie eigentlich in Verlegenheit bringen. Wie erfüllt sich die Prophezeiung denn? Matthäus und Lukas schreiben Jesus zwei völlig verschiedene Abstammungen zu. Und noch schlimmer, sie ziehen eine Linie von David zu Joseph und nicht von David zu Maria. Oder glauben Sie nicht an Gott als den Vater?“ Rankin sprach ruhig weiter. Vielleicht hatte er sie gar nicht richtig verstanden. „… Amt und Leiden Jesu werden in Jesaja 52 und 53 und im 22. Psalm prophezeit. Daß er für dreißig Silberstücke verraten würde, steht ausdrücklich in Sacharja 11. Und wenn Sie ehrlich sind, können Sie die Erfüllung dieser Prophezeiung nicht leugnen.

Und die Bibel spricht auch von unserer heutigen Zeit. Israel und die Araber, Gog und sein Land Magog, Amerika und Rußland, der Atomkrieg — das steht alles in der Bibel. Mit ein wenig Verstand kann es jeder erkennen. Dazu braucht man kein Universitätsprofessor zu sein.“

„Ihre Schwierigkeit“, entgegnete Ellie, „ist mangelnde Einbildungskraft. Die Prophezeiungen sind fast alle vage, zweideutig, ungenau und offen für Betrug. Sie lassen viele verschiedene Interpretationen zu. Selbst die direkten Prophezeiungen von ganz oben interpretieren Sie nach Belieben — wie zum Beispiel das Versprechen Jesu, daß das Reich Gottes noch zu Lebzeiten einiger seiner Zuhörer kommen würde. Und jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, daß das Reich Gottes in mir ist. Seine Zuhörer haben ihn ganz im wörtlichen Sinne verstanden. Sie zitieren nur die Prophezeiungen, die Ihnen erfüllt zu sein scheinen, und übergehen den Rest einfach. Und man darf auch nie vergessen, was für ein Bedürfnis nach Erfüllung der Prophezeiungen es gab. Aber stellen Sie sich einmal vor, Ihr Gott, der allmächtig, allwissend und barmherzig ist, wollte den zukünftigen Generationen einen Bericht hinterlassen, der seine Existenz den, nun, entfernteren Nachkommen Mose unmißverständlich machen sollte. Das ist einfach, beinahe trivial. Einige wenige rätselhafte Sätze und das strenge Gebot, sie unverändert weiterzugeben.“

Joss beugte sich fast unmerklich nach vorne. „Wie zum Beispiel.?“

„Zum Beispiel Sätze wie: ‚Die Sonne ist ein Stern’. Oder: ‚Der Mars ist ein rostfarbener Ort mit Wüsten und Vulkanen wie der Sinai’. Oder: ‚Ein Körper in Bewegung neigt dazu, in Bewegung zu bleiben’. Oder, einen Moment bitte“ — Ellie kritzelte einige Zahlen auf einen kleinen Block — „‚Die Erde wiegt eine Million mal eine Million mal eine Million mal eine Million soviel wie ein Kind’. Oder — mir ist aufgefallen, daß Sie beide Schwierigkeiten mit der speziellen Relativität haben, aber sie wird wirklich täglich von Teilchenbeschleunigern und kosmischen Strahlen bestätigt — also wie wäre es mit einem Satz wie: ‚Es gibt keine privilegierten Bezugssystemen Oder: ‚Du sollst dich nicht schneller bewegen als das Licht’. Das alles kann man vor dreitausend Jahren unmöglich gewußt haben.“

„Noch mehr?“ fragte Joss.

„Es gibt noch unendlich viele — mindestens einen für jedes physikalische Prinzip. Lassen Sie mich überlegen. ‚In dem kleinsten Kieselstein verbergen sich Wärme und Licht’. Oder: ‚Der Weg der Erde ist wie zwei, aber der Weg des Magneten ist wie drei’. Damit meine ich, daß der Schwerkraft ein Gesetz zugrunde liegt, das dem reziproken Wert des Abstandsquadrates proportional ist, während die Kraftwirkung eines magnetischen Dipols einem Gesetz folgt, das dem reziproken Wert des Abstandes hoch drei proportional ist. Oder in der Biologie — “ sie nickte Der Heer zu, der ein Schweigegelübde abgelegt zu haben schien — „wie wäre es mit ‚Zwei verschlungene Stränge sind das Geheimnis des Lebens’?“