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„Ich könnte ihn zusammenschlagen, diesen selbstsicheren Alleswisser und Oberheiligen.“

„Warum, Ellie? Sind denn Unwissen und irrige Ansichten nicht schmerzlich genug?“

„Ja, wenn er nur das Maul hielte. Aber er korrumpiert Millionen.“

„Liebste, genauso denkt er über dich.“

Als Ellie und Der Heer vom Mittagessen zurückkamen, merkte Ellie sofort, daß Rankin eher gedämpft wirkte, während Joss, der als erster sprach, nicht nur höflich, sondern ausnehmend freundlich war.

„Frau Dr. Arroway“, begann er, „ich kann verstehen, daß Sie darauf brennen, uns Ihre Entdeckungen vorzuführen, und daß Sie nicht hierher gekommen sind, um theologische Fragen zu erörtern. Aber ich bitte Sie um noch ein wenig Geduld mit uns. Sie haben eine scharfe Zunge. Ich kann mich nicht erinnern, wann sich Bruder Rankin das letzte Mal so über Fragen des Glaubens ereifert hat. Es muß schon Jahre her sein.“ Er warf einen kurzen Blick auf seinen Kollegen, der äußerlich gleichgültig auf einem gelben, linierten Block herumkritzelte und den obersten Kragenknopf aufgemacht und seine Krawatte gelockert hatte.

„Ein, zwei Dinge, die Sie heute morgen gesagt haben, beschäftigen mich. Sie bezeichnen sich selbst als Christin. Darf ich Sie fragen, in welchem Sinn Sie das meinen?“

„Sie wissen, daß das keine Voraussetzung meiner Arbeit war, als ich den Direktorposten des Projekts Argus annahm.“ Ellie klang gelassen. „Ich bin Christin in dem Sinn, daß ich Jesus Christus als eine historische Figur bewundere. Ich halte die Bergpredigt für eines der großartigsten Dokumente der Ethik und eine der besten Reden der Geschichte. Ich glaube, daß der Satz ‚Liebet eure Feinde’ vielleicht auf lange Sicht selbst das Problem des Atomkriegs lösen könnte. Ich wünschte, Jesus würde heute leben. Ein großer Mann, ein mutiger Mann, ein Mann mit Einsichten in Wahrheiten, die nicht populär waren.

Aber ich glaube nicht, daß er Gott oder der Sohn Gottes oder etwa der Großneffe Gottes war.“

„Sie wollen nicht an Gott glauben“, entgegnete Joss einfach. „Sie meinen, Sie können gleichzeitig Christin sein und nicht an Gott glauben. Lassen Sie mich ganz direkt fragen: Glauben Sie an Gott?“

„Die Frage ist nicht ganz eindeutig. Wenn ich mit Nein antworte, habe ich dann gesagt, ich bin davon überzeugt, daß es Gott nicht gibt, oder sage ich, daß ich nicht sicher weiß, ob es ihn gibt? Das sind zwei verschiedene Aussagen.“

„Sind sie wirklich so verschieden, Frau Dr. Arroway? Sie glauben doch an Ockhams Rasiermesser, nicht? Wenn Sie zwei verschiedene, aber gleich gute Erklärungen für dasselbe Erlebnis haben, dann entscheiden Sie sich doch für die einfachere. Die ganze Geschichte der Wissenschaft spricht Ihrer Meinung nach für dieses Vorgehen. Wenn Sie nun ernsthafte Zweifel hegen, ob es Gott gibt — soviel Zweifel, daß Sie sich nicht diesem Glauben anvertrauen wollen —, dann müssen Sie sich auch eine Welt ohne Gott vorstellen können: Eine Welt, die ohne Gott entstanden ist, eine Welt, die in ihrem Alltag keinen Gott kennt, eine Welt, in der die Menschen ohne Gott sterben. Keine göttlichen Strafen. Keine Belohnungen. Die Heiligen, die Propheten und all die Gläubigen, die jemals gelebt haben — Sie müssen glauben, daß sie alle Narren gewesen sind. Sie haben sich selbst betrogen, würden Sie wahrscheinlich sagen. Es wäre eine Welt ohne Sinn und ohne Ziel, in der wir lebten. Alles bestünde nur aus den unberechenbaren Zusammenstößen von Atomen — das stimmt doch? Einschließlich der Atome, aus denen der Mensch besteht.

Für mich wäre es eine hassenswerte und unmenschliche Welt. Ich wollte nicht in ihr leben. Aber wenn Sie sich so eine Welt vorstellen können, warum schwanken Sie dann noch? Warum halten Sie sich irgendwo zwischen den beiden Welten auf? Wenn Sie sich eine Welt ohne Gott vorstellen können, wäre es dann nicht viel einfacher, sich offen einzugestehen, daß es keinen Gott gibt? Sie verhalten sich nicht wie Ockhams Messer. Ich glaube, daß Sie inkonsequent sind. Wie kann eine überzeugte Wissenschaftlerin die Frage offenlassen, ob es einen Gott gibt, wenn sie sich eine Welt ohne Gott vorstellen kann? Müßten Sie dann nicht Atheistin sein?“

„Ich dachte, Sie wollten darauf hinaus, daß Gott die einfachere Hypothese ist“, sagte Ellie, „aber Ihr Argument ist viel interessanter. Wenn es nur eine Frage innerhalb der Naturwissenschaften wäre, würde ich Ihnen zustimmen, Reverend Joss. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich in der Hauptsache mit dem Aufstellen und Verbessern von Hypothesen. Wenn die Naturgesetze alle Tatsachen ohne übernatürliche Eingriffe erklären könnten oder auch nur so gut wie die Hypothese eines Gottes funktionieren würden, dann würde ich mich von jetzt ab als Atheistin bezeichnen. Wenn dann ein einziges Beweisstück entdeckt würde, das nicht paßte, würde ich vom Atheismus ablassen. Und wir entdecken tatsächlich immer wieder Lücken und Unstimmigkeiten in den Naturgesetzen. Aber der Grund, warum ich mich selbst nicht als Atheistin bezeichne, ist, daß es hier nicht nur um ein wissenschaftliches Problem geht. Es ist vor allem ein religiöses und ein politisches Problem. Es liegt am Versuchscharakter einer wissenschaftlichen Hypothese, daß sie sich nicht auf diese Gebiete erstrecken kann. Sie sprechen von Gott nicht als von einer Hypothese. Sie glauben, daß Sie im Alleinbesitz der Wahrheit sind, deshalb weise ich mit aller Deutlichkeit darauf hin, daß Sie ein, zwei Dinge übersehen haben. Aber wenn Sie mich fragen, dann kann ich Ihnen gern sagen: Ich kann nicht sicher sagen, ob ich recht habe oder nicht.“

„Ich dachte immer, daß ein Agnostiker ein Atheist ist, der nicht den Mut hat, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen.“

„Sie können genausogut sagen, daß ein Agnostiker eine tief religiöse Person ist, die dennoch nicht ganz vergessen hat, daß wir Menschen irren können. Wenn ich sage, daß ich Agnostikerin bin, dann meine ich damit nur, daß Gott nicht bewiesen ist. Es gibt keinen zwingenden Beweis, daß Gott existiert — zumindest Ihre Art Gott —, und es gibt keinen zwingenden Beweis, daß es ihn nicht gibt. Da mehr als die Hälfte der Menschen auf der Erde keine Juden, Christen oder Moslems sind, müßte ich eigentlich sagen, daß es keine zwingenden Argumente für Ihre Art Gott gibt. Sonst müßte die ganze Welt sich zum Christentum bekehren. Ich kann nur immer wieder sagen, wenn Ihr Gott uns wirklich von seiner Existenz hätte überzeugen wollen, dann hätte er es viel besser machen können.

Sehen Sie, etwas wie die BOTSCHAFT ist nachweisbar authentisch. Sie wird überall auf der Welt empfangen. Radioteleskope in Ländern mit der verschiedensten Vergangenheit und den verschiedensten Sprachen und Religionen verfolgen das Signal. Und alle bekommen dieselben Daten von demselben Ort am Himmel auf denselben Frequenzen mit derselben Polarisationsmodulation. Moslems, Hindus, Christen und Atheisten — alle empfangen sie dieselbe Botschaft. Jeder Skeptiker kann sich ein Radioteleskop hinstellen — es muß gar nicht besonders groß sein — und diese Daten empfangen.“

„Sie sind also nicht der Meinung, daß Ihre Radiobotschaft von Gott kommt?“ schaltete sich Rankin ein. „Nein, auf keinen Fall. Ich glaube nur, daß die Zivilisation auf der Wega, die über weit weniger Energien verfügt, als Sie Ihrem Gott zuschreiben, sich viel klarer ausdrückt als Ihr Gott. Wenn Ihr Gott tatsächlich auf dem eher unwahrscheinlichen Weg der mündlichen Überlieferung und der alten Schriften über die Jahrtausende zu uns sprechen wollte, dann hätte er sich so ausdrücken können, daß seine Existenz ein für alle Mal erwiesen gewesen wäre.“ Ellie machte eine Pause, aber weder Joss noch Rankin sagten ein Wort. Sie versuchte, das Gespräch nochmals auf die Daten zu lenken.

„Warum halten wir uns mit Urteilen nicht noch eine Weile zurück, bis wir mit der Entschlüsselung der BOTSCHAFT weiter vorangekommen sind? Möchten Sie sich vielleicht einmal einige Daten ansehen?“

Beide stimmten bereitwillig zu. Aber sie konnte ihnen nur endlose Reihen von Nullen und Einsen vorführen, die weder besonders erbaulich noch anregend waren. Ausführlich erklärte sie, daß man vermutete, die einzelnen Seiten seien numeriert, und daß man hoffe, noch einen Code zur Entschlüsselung der BOTSCHAFT zu erhalten. In stillschweigender Übereinkunft erwähnten weder Ellie noch Der Heer die sowjetische Vermutung, daß es sich womöglich um den Plan für eine Maschine handelte. Die Vermutung war zu unsicher und von den Sowjets bisher auch noch nicht in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht worden. Abschließend beschrieb sie noch die Wega selbst — ihre Masse, Oberflächentemperatur, Farbe, Entfernung von der Erde, ihr Alter und den Ring aus rotierendem Schutt, der sie umgab und der 1983 von einem Infrarotsatelliten entdeckt worden war.