„Dr. Lunatscharski und ich sind der Überzeugung, daß das, was Sie hier sehen, verschiedene Ansichten derselben dreidimensionalen Struktur sind. Gestern haben wir die Figur in einer vom Computer simulierten Drehung vorgeführt. Wir glauben, obwohl wir nicht hundertprozentig sicher sind, daß sie das Innere der Maschine zeigt. Bis jetzt haben wir noch keinen eindeutigen Maßstab. Vielleicht beträgt der Durchmesser einen Kilometer, vielleicht ist das Ganze auch submikroskopisch. Aber sehen Sie sich einmal diese fünf Gegenstände an, die gleichmäßig in der Hauptkammer innerhalb des Dodekaeders verteilt sind. Hier eine Nahaufnahme. Es sind die einzigen Dinge in dem Raum, die man erkennen kann.
Das hier sieht wie ein ganz normaler, dick gepolsterter Sessel aus, wie gemacht für ein menschliches Wesen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß außerirdische Wesen, die sich in einer ganz anderen Welt entwickelt haben, uns so sehr ähneln, daß sie unseren Geschmack für Wohnzimmermöbel teilen. Schauen Sie sich diese Nahaufnahme mal etwas genauer an. Das kenne ich noch aus dem Gästezimmer meiner Mutter, als ich ein kleines Mädchen war.“ Tatsächlich sahen die Sessel aus, als hätten sie geblümte Schonbezüge. Ellie fühlte sich plötzlich schuldig. Sie hatte versäumt, ihre Mutter anzurufen, bevor sie nach Europa geflogen war. Und überhaupt, sie hatte ihre Mutter seit der Entdeckung der BOTSCHAFT erst einoder zweimal angerufen. Ellie, wie konntest du nur? Jetzt machte sie sich Vorwürfe.
Sie wandte sich wieder den Computergraphiken zu. Die Symmetrie des Pentagondodekaeders setzte sich in den fünf Sesseln im Innern fort, die jeweils einer der fünfeckigen Flächen gegenüberstanden. „Wir, also Dr. Lunatscharski und ich, behaupten deshalb, daß die fünf Sessel für uns gedacht sind. Für Menschen. Das würde bedeuten, daß der Innenraum nur wenige Meter Durchmesser hat, und das Äußere vielleicht zehn bis zwanzig Meter lang ist. Zweifellos ist das Niveau der dabei angewandten Technologie ungeheuerlich, aber es kann unserer Ansicht nach keine Rede davon sein, daß wir etwas von der Größe einer Stadt bauen müssen. Oder etwas so Kompliziertes wie einen Flugzeugträger. Wir wären sehr wohl in der Lage, dies hier, was es auch sein mag, zu bauen, wenn wir alle zusammenarbeiten. Was ich eigentlich sagen will, ist, daß man in eine Bombe keine Sessel stellt. Ich glaube nicht, daß es sich hier um eine Weltuntergangsmaschine oder ein Trojanisches Pferd handelt. Ich bin völlig einig mit dem, was Frau Sakhavati gesagt oder vielleicht nur angedeutet hat; die Idee, daß dies ein Trojanisches Pferd sein könnte, zeigt nur, wie sehr wir noch umdenken müssen.“
Wieder brach unter den Delegierten ein Sturm los. Aber dieses Mal unternahm Der Heer keine Anstrengungen, ihn zu besänftigen. Im Gegenteil, er schaltete das Mikrophon eines der protestierenden Delegierten ein. Es war derselbe Abgeordnete, der Frau Sukhavati vorhin ins Wort gefallen war: Philip Bedenbaugh aus Großbritannien, Minister der Labour Party in einer wackeligen Koalitionsregierung. „… Sie einfach nicht begreifen, was unsere Sorge ist. Wenn diese Maschine von einem fremden Stern im buchstäblichen Sinn ein hölzernes Pferd wäre, dann würden wir nie auf die Idee kommen, sie in die Stadt hereinzulassen. Unseren Homer haben wir gelesen. Aber sie ist mit ein paar Möbeln verziert, und schon schwindet unser Mißtrauen. Und warum? Weil man uns schmeichelt. Uns in Sicherheit wiegen will. Wir stehen vor einem Wagnis von historischer Bedeutung. Vor der Verheißung neuer Technologien. Möglicherweise vor der Anerkennung durch -
wie soll ich mich ausdrücken — höhere Wesen. Aber ich sage, ganz egal welche hochfliegenden Phantasien die Radioastronomen auch immer vorbringen mögen, solange auch nur eine winzige Möglichkeit besteht, daß die Maschine ein Werkzeug der Zerstörung ist, sollte sie nicht gebaut werden. Noch besser wäre es, wie der sowjetische Kollege bereits vorgeschlagen hat, alle Datenbänder zu verbrennen und den Bau von Radioteleskopen zum Kapitalverbrechen zu erklären.“ Die Versammlung geriet allmählich außer Kontrolle. Massenweise hatten die Delegierten ihre Knöpfe gedrückt, um das Wort erteilt zu bekommen. Der Lärm schwoll zu einem solchen Tumult an, das Ellie sich an die Jahre erinnert fühlte, als sie das radioastronomische Rauschen in der Atmosphäre untersucht hatte. Eine Wiederherstellung der Ordnung schien in der nächsten Zeit nicht möglich zu sein, und die beiden Präsidenten waren offensichtlich nicht imstande, die Delegierten zu bändigen.
Als ein chinesischer Delegierter aufstand, um zu sprechen, erschienen die Angaben zu seiner Person nicht auf Ellies Bildschirm, und sie schaute sich hilfesuchend um. Sie hatte keine Ahnung, wer der Mann war. Nguyen „Bobby“ Bui, ein Angehöriger des Nationalen Sicherheitsrates, der jetzt Der Heer unterstellt war, beugte sich zu ihr und sagte: „Er heißt Xi Qiaomu. Großes Kaliber. Auf dem Langen Marsch geboren. Ging als Teenager freiwillig nach Korea. Regierungsfunktionär, Politik. Während der Kulturrevolution kurzfristig kaltgestellt. Jetzt Mitglied des Zentralkomitees. Sehr einflußreich. Erst neulich in den Nachrichten gewesen. Außerdem leitet er die archäologischen Ausgrabungen in China.“
Xi Qiaomu war ein großer und breitschultriger Mann um die sechzig. Die Falten in seinem Gesicht machten ihn älter, aber Haltung und Figur gaben ihm ein jugendliches Aussehen. Er trug seine Jacke zugeknöpft bis zum Kragen, eine Mode, die für politische Funktionäre in China so obligatorisch war wie der Dreiteiler für Angehörige der amerikanischen Regierung, die Präsidentin natürlich ausgenommen. Ellie erinnerte sich, daß sie einen langen Artikel über Xi Qiaomu in einem der Videonachrichtenmagazine gelesen hatte. „Wenn wir Angst haben“, sagte er, „werden wir nichts tun. Das wird sie vielleicht aufhalten. Aber Sie dürfen nicht vergessen, sie wissen, daß wir hier sind. Unser Fernsehen reicht bis zu ihrem Planeten. Sie werden jeden Tag an uns erinnert. Haben Sie unser Fernsehprogramm schon einmal genau angesehen? Sie werden uns nicht vergessen. Wenn wir nichts unternehmen, dann werden sie sich schließlich fragen, ob wir überhaupt noch da sind, und zu uns kommen, Maschine hin oder her. Wir können uns nicht vor ihnen verstecken. Wenn wir uns still verhalten hätten, dann hätten wir dieses Problem nicht. Wenn wir nur Kabelfernsehen und keine großen militärischen Radargeräte hätten, dann wüßten sie vielleicht nichts von uns. Aber jetzt ist es zu spät. Wir können nicht mehr zurück. Die Entscheidung ist gefallen. Wenn Sie ernsthaft befürchten, daß diese Maschine unsere Erde zerstört, dann bauen Sie sie nicht auf der Erde. Bauen Sie sie woanders. Wenn sich dann herausstellt, daß sie die Erde zerstören sollte, weil sie explodiert und eine ganze Welt in die Luft jagt. dann wird das nicht unsere Welt sein. Freilich wird das sehr viel Geld kosten. Wahrscheinlich zuviel. Und wenn wir nicht soviel Angst haben, warum bauen wir sie nicht in einer menschenleeren Wüste? Eine Explosion in der Takopi-Wüste in der Provinz Xinjing gefährdet keinen Menschen. Und wenn wir gar keine Angst haben, dann können wir die Maschine in Washington bauen. Oder Moskau. Oder Peking. Oder hier in dieser wunderbaren Stadt.
Im alten China hießen die Wega und zwei benachbarte Sterne Chih Neu. So nannte man eine junge Frau mit einem Spinnrad. Das ist ein gutes Omen: eine Maschine, die neue Kleider für die Menschen auf der Erde macht. Wir haben eine Einladung bekommen. Eine sehr ungewöhnliche Einladung. Vielleicht zu einem großen Bankett. Die Erde ist noch nie zu einem Bankett eingeladen worden. Es wäre unhöflich, abzulehnen.“