„Vielleicht ist Barudas Idee vom Trojanischen Pferd gar nicht so abwegig“, sagte sie. „Aber, wie Xi gesagt hat, wir haben keine Wahl. Wenn sie wollen, können sie tatsächlich in gut zwanzig Jahren hiersein.“
Sie waren bei dem monumentalen Bogen im römischen Stil angekommen, den die heroisch verklärte Statue Napoleons krönte, der einen Triumphwagen lenkte. Wie kläglich mußte diese Pose aus der Ferne, also aus extraterrestrischer Sicht, wirken. Sie setzten sich auf eine Bank, und ihre langen Schatten fielen auf ein Blumenbeet, das in den Farben der französischen Republik bepflanzt war. Ellie hätte zu gern über ihre privaten Probleme gesprochen, aber sie fürchtete politische Folgen und wollte nicht indiskret sein. Sie kannte Devi Sukhavati nicht besonders gut. Deshalb ermutigte sie ihre Begleiterin, von sich zu erzählen. Devi ging bereitwillig darauf ein.
Sie war in eine brahmanische, allerdings nicht sehr wohlhabende Familie mit matriarchalischen Strukturen hineingeboren worden. In dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu waren matriarchalische Haushalte noch immer verbreitet. Dann hatte sie an der Hinduuniversität von Benares Medizin studiert. In England lernte sie Surindar Ghosh kennen, einen Kommilitonen, in den sie sich über alles verliebte. Aber Surindar war ein Unberührbarer. Er gehörte zu einer Kaste, vor der man sich so sehr ekelte, daß der bloße Anblick eines zu ihr gehörenden Menschen für einen orthodoxen Brahmanen als Beschmutzung galt. Surindars Vorfahren waren gezwungen gewesen, ihr Leben während der Nacht zu führen, wie die Fledermäuse und Eulen. Devis Familie drohte, sie zu enterben, wenn sie ihn heiratete. Ihr Vater erklärte, daß er keine Tochter habe, die solch eine Verbindung in Erwägung ziehe. Wenn sie Ghosh heirate, würde er um sie wie um eine Tote trauern. Sie heiratete ihn trotzdem. „Wir liebten uns zu sehr“, sagte sie.
„Ich konnte nicht anders.“ Ein Jahr später war er an einer Blutvergiftung gestorben, die er sich bei einer unzureichend beaufsichtigten Autopsie zugezogen hatte.
Statt sich mit ihrer Familie zu versöhnen, kam es nach Surindars Tod zum endgültigen Bruch. Nach Abschluß ihres Medizinstudiums beschloß Devi, in England zu bleiben. Ihr Studium führte sie wie von selbst zur Molekularbiologie, für die sie ein besonderes Interesse hatte. Bald stellte sich heraus, daß sie eine wirkliche Begabung für diese Disziplin, in der es auf größte Genauigkeit ankam, besaß. Die Kenntnis der Nukleinsäurereplikation führte sie zu Forschungen über den Ursprung des Lebens, und das wiederum brachte sie darauf, Leben auch auf anderen Planeten zu vermuten. „Man könnte sagen, daß sich meine wissenschaftliche Karriere ganz zwanglos ergeben hat. Eines ergab sich aus dem anderen.“
In letzter Zeit hatte sie an der Erforschung organischer Substanzen vom Mars gearbeitet, zu denen Messungen jener Fahrzeuge vorlagen, von denen auch das überwältigende Bildmaterial der Ausstellung stammte. Devi hatte nicht wieder geheiratet, obwohl ihr, wie sie durchblicken ließ, einige Männer den Hof machten. In letzter Zeit war sie mit einem Wissenschaftler aus Bombay befreundet gewesen, den sie einen „Computerwallach“ nannte.
Sie standen auf und schlenderten weiter in den Cour Napoleon, den Innenhof des Louvre. In der Mitte war der gerade erst vollendete, heftig umstrittene pyramidenförmige Eingang zum Museum zu sehen, und rund um den Hof waren in hochgelegenen Nischen Skulpturen der Helden Frankreichs aufgestellt. Unter jeder Statue stand der Name des geehrten Mannes — Frauen waren kaum darunter. In dem einen oder anderen Fall waren die Buchstaben verwittert, oder vielleicht von Passanten, die sich darüber aufgeregt hatten, weggekratzt worden. Bei einigen Statuen war es fast unmöglich, den Namen zu rekonstruieren, um herauszufinden, wer der große Gelehrte war. Bei einer, die offensichtlich am meisten Unmut in der Öffentlichkeit hervorgerufen hatte, waren nur noch die Buchstaben LTA übriggeblieben. Die Sonne ging unter, und es wurde kühl. Obwohl der Louvre noch geöffnet hatte, gingen sie nicht hinein, sondern spazierten am Quai d’Orsay das Seineufer entlang. An den Bücherständen wurden die Rolläden heruntergelassen und das Geschäft für den Tag geschlossen. Sie schlenderten weiter, nach europäischer Manier untergehakt. Nur wenige Schritte vor ihnen ging ein französisches Ehepaar mit seiner kleinen Tochter. Vater und Mutter hielten die Kleine an den Händen und schwangen sie immer wieder hoch in die Luft. Und das Kind jauchzte jedesmal vor Vergnügen, wenn es den Boden unter den Füßen verlor. Die Eltern unterhielten sich währenddessen über das Weltkonsortium. Das war sicher kein Zufall, da in den Zeitungen über fast nichts anderes mehr berichtet wurde. Der Vater war für den Bau der Maschine, denn vielleicht wurden dabei neue Technologien entwickelt und in Frankreich neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Mutter war vorsichtiger, konnte ihre Gründe aber nur schwer in Worte fassen. Der kleinen Tochter mit ihren fliegenden Zöpfen dagegen war es völlig egal, was die Erwachsenen mit den Konstruktionsplänen von einem anderen Stern anfingen.
Der Heer, Kitz und Honicutt hatten für den nächsten Tag frühmorgens eine Sitzung in der amerikanischen Botschaft anberaumt, um sich auf die Ankunft des amerikanischen Außenministers am gleichen Tag vorzubereiten. Die Sitzung war geheim und wurde im „Schwarzen Zimmer“ der Botschaft abgehalten, das elektromagnetisch von der Außenweit abgeschirmt war, eine Vorsichtsmaßnahme, die selbst die raffiniertesten elektronischen Abhörgeräte wirkungslos machte. Zumindest behauptete man das. Aber vielleicht, dachte Ellie, entwickelte man einmal Instrumente, die diesem Hin und Her von Vorsichtsmaßnahmen ein Ende setzten.
Sie hatte die Nachricht am Abend nach ihrem Treffen mit Devi Sukhavati in ihrem Hotel vorgefunden. Sie hatte versucht, Der Heer anzurufen, hatte aber nur Michael Kitz erreichen können. Sie lehne eine geheime Sitzung über dieses Thema ab, hatte sie ihm gesagt, und zwar prinzipiell. Die BOTSCHAFT richte sich eindeutig an alle Bewohner des Planeten. Kitz hielt ihr entgegen, daß dem Rest der Welt keinerlei Datenmaterial vorenthalten werde, zumindest nicht von den Amerikanern. Das Treffen habe nur beratende Funktion, um die Vereinigten Staaten bei den bevorstehenden Verhandlungen über das weitere Verfahren zu unterstützen. Er appellierte an ihren Patriotismus und ihr Eigeninteresse, und zu guter Letzt führte er die Hadden Decision ins Feld. „Soviel ich weiß, liegt dieses Ding noch immer ungelesen in Ihrem Safe“, sagte er mit Nachdruck. Wieder versuchte Ellie, Der Heer zu erreichen, und wieder hatte sie keinen Erfolg. Zuerst lief einem dieser Mann wie ein falscher Fünfziger überall in Argus über den Weg. Dann zog er bei einem in die Wohnung ein. Man glaubte, daß man zum ersten Mal richtig verliebt war. Und im nächsten Augenblick konnte man ihn noch nicht einmal mehr ans Telephon bekommen. Sie beschloß, zu dem Treffen zu gehen, und wenn deshalb, um Ken von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.
Kitz setzte sich begeistert für den Bau der Maschine ein, Drumlin befürwortete ihn vorsichtig, Der Heer und Honicutt gaben sich zumindest nach außen neutral und Valerian kämpfte noch um eine Entscheidung. Kitz und Drumlin sprachen sogar schon darüber, wo man das Ding bauen könnte. Allein die Frachtkosten machten die Herstellung oder auch nur die Montage auf der Rückseite des Mondes untragbar teuer, wie Xi bereits vermutet hatte.